Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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seine Wirtschafterin halt.

      Und in den Beichtstühlen in unserer Kirche, die unsereiner kaum mehr von innen kennt, ist sowieso eine psychotherapeutische Be-handlung, nicht einmal ansatzweise möglich. Das hat auch einen Grund: Die Wissenschaften der Psychotherapie und jene der Theo-logie verhalten sich, wie ich gelesen habe, untereinander angeblich wie zwei aufeinander keineswegs zugehende, aber im Regelfall wie trennende Geschwister. Daher sitzt auch unser Pfarrer Bartl Fuchskrapfen oftmals nicht nur in, sondern auch zwischen den Beichtstühlen.

      Im Laufe der Zeit erfährt auch eine schüchterne Dorfbewohnerin, so wie ich glaube eine zu sein, schön langsam die versteckten Ge-heimnisse unserer Dorfbewohner. Schuld an dieser Informations-vielfalt sind freilich nicht nur die Bezirkszeitungen, sondern vielmehr schon seine Wirtschafterin. Die wird nämlich nicht müde, die kleinsten Geheimnisse über verschiedenste Einfältigkeiten mancher Dorfbewohner, sei es beim Supermarkt oder im Wartezimmer beim Doktor, herumzuerzählen. Ihre Weisheiten bekommt sie angeblich vom Pfarrer selbst. Unbewusst, muss ich selbstverständlich dazwischen schreiben, weil der Mann mit seiner Doppelbelastung seine Beichtstuhlerlebnisse wahrscheinlich im Schlaf von der Theo-logie in die Psychotherapie hinüberrettet.

      Ich versteh ihn ganz gut, unseren Pfarrer Bartl Fuchskrapfen. Aber wer von den eingefleischten Katholischen bei uns hier am Land hat schon das Gespür für den Hintergrund einer Gutmütigkeit von ei-nem Geistlichen. Das ist auch wahrscheinlich einer der Gründe dafür, warum er das rein persönliche Gespräch, mit der kleinen Minderheit der lupenreinen Teufelsaustreiber, vermeidet. Bald hätte ich dazu angemerkt: `Wie der Teufel das Weihwasser.` Aber das tue ich nicht. Das kannst Du, wenn Du das liest, ohne Weiteres, auch gegen meinen Willen wieder herausstreichen.

      Schau, in regelmäßigen Abständen gibt der Herr Pfarrer in den pe-riodisch printmedientreuen Ausgaben seine Stellungnahmen zu aktuellen oder historisch gewachsenen Ereignissen ab. Dies tut er in der inzwischen farblich und politisch sehr bunten Pfarrnachrich-tenlandschaft. Für die ganz Unbelehrbaren seiner Schafe greift er schon hin und wieder zu hammerschlagkräftigen Formulierungen, um diese gehörig nachzusalzen, oder gar stark zu überpfeffern. Zwar sind seine Aufsätze am Rande meist theologisch fundiert, jedoch dermaßen grobschlächtig ausformuliert, sodass diese be-wusst kaum von psychotherapeutischem Belang sein können. Und so bleibt dem Bischof deswegen auch kein Einspruchsgrund über, wenn es auch die Beichtstuhlabnützenden gerne anders gesehen hätten.

      Mein Gott, dem Herrn Pfarrer seine Schreibkünste sind unergründ-lich. Diese erstrecken sich über die verschiedensten Themen der Leidensgeschichte insgesamt, die ihm im Laufe der Zeit aus unserm Dorfleben bekanntgeworden und wieder eingefallen sind. Ganz besonders unterstreicht er jene, die im Kernpunkt das markante, tiefschwarze Klientel betreffen.

      Der Pfarrer Bartl Fuchskrapfen ist auch, zwar nicht immer, aber dafür immer öfter ein geschickter Wortverdreher. Deshalb meint er nicht alleine nur das politisch relevante schwarze Gedankengut der mehrheitlichen Gemeindevertretung. Er könnte ja ohne Weiteres auch Grün, Rot oder Blau gemeint haben. Aber so eine Farbenviel-falt besitzen wird ja nicht in unserer Gemeindestube. Die schriftli-chen Auswürfe, der am Beginn stets mit seinen persönlichen Ge-danken zu Glaubensfragen geschmückt sind, bekommen dann oh-nehin jeder Haushalt zum Lesen und für die darauffolgende zeitlich unbestimmte Selbstentsorgung zugestellt. Darin werden aber auch sehr interessante Standpunkte, nicht nur zu kirchlichen Fragen, sondern vor allem mehrheitlich von seinen engsten Nichtmitarbei-tern aus den Sitzungsprotokollen des Pfarrgemeinderates, abge-druckt. Hin und wieder durchkreuzt die ernüchternde Rhetorik auch das geistig anspruchsvolle Lyrische.

      Du wirst mich auslachen, diese Kurzgedichte sammle ich schon eine Weile und ich muss den unbekannten Autoren mein Lob und Anerkennung aussprechen. Sie werden von Mal zu Mal unverständ-licher.

      Zum Beispiel das hier:

      Weil’s mir gut geht

      ist es auch nicht zu spät

      auf manches zu vertrauen

      und nicht

      auf andere schauen.

      Und gerade das, macht ein Gedicht spannend, meine Freunde. Diese meist fünf Zeilen zu analysieren - ich glaube so sagt man - wenn man diese auf Punkt und Beistrich in einzelne Gedankensplit-ter zerlegen muss, um sich an die eigentlichen Ölfilter heranzutas-ten, benötige ich schon ein oder drei Wochen dazu. Aber dann – habe ich es noch immer nicht kapiert und lege es zu meinen ande-ren Undurchdringlichkeiten dazu.

      Ich gebe es ja zu, freiwillig komme ich äußerst selten, und auch hier nicht sehr oft, in unsere Kirche. Wenn überhaupt, dann bei größeren Hochzeiten oder kleineren Beerdigungen. Dabei kann es schon sein, dass ich mit meiner Sitznachbarin Vroni hinter mir, oder der Trude links vor mir, im Kirchengestühl eine nicht ganz heilige Gesprächsrunde angeregt und dadurch den lieben Herrn Pfarrers Predigt gar nicht recht gehört, geschweige denn verstanden habe. Daran ist aber keineswegs er schuld, sondern eher meine offenbar langsam fortschreitende Schwerhörigkeit.

      Nein, nein, das muss ich Dir rasch noch erzählen:

      Eines Tages, ich glaube es war der Montag vor drei Wochen so gegen halb neun, es kann auch später gewesen sein – der Dienst-tag, also vorgestern war es keinesfalls - da ging ich einkaufen.

      Vor dem Supermarkt stand dieses Mal keine Zeitungsanbettlerin, son-dern ein mittelgroßer Kastenwagen mit einer verführerischen Auf-schrift. Kommen sie zum Gratis-Hörtest.

      Ich ging also näher an das Fahrzeug heran und war gleich vollauf vom Anblick begeistert. Es kam mir nämlich ziemlich zeitgleich schon ein flott aussehender Mann entgegen. Er dürfte so um die Vierzig gewesen sein. Jedenfalls war er mit einem weißen Hemd mit gestickter Kragenaufschrift sowie mit einer scheußlichen Krawatte und dunkler Hose bekleidet. Auf der rechten Seite, in Brusthöhe war ein kleines Schildchen mit der Aufschrift Herr Kleiderstätter angeheftet.

      Unzweideutig, als wäre ich eine Vertraute des Kleiderstätters, hatte er mich auch schon eingefangen und angesprochen. Das ging alles blitzschnell, sogar rasanter als meine Gehirnstrukturen zu funktionieren bereit war. Ich habe ja da hinten, genau wo ich jetzt mit dem Zeigefinger hinzeige, so eine Art von Notfallprogramm selbst installiert. Reaktionszeit überschritten!

      Sehr höflich, das muss ich hier schon betonen, bat er mich, ich möchte doch mit ihm in den Kastenwagen einsteigen. Um Him-melswillen würde der Herr Pfarrer sagen, `Schani steige nie mit fremden Männern in ein fremdes Auto´. Aber, wenn man einen braucht, ist halt weit und breit kein Pfarrer in der Nähe.

      Ich kann Dich beruhigen. Der Herr Kleiderstätter wollte mir im Wa-geninneren nur Apparaturen zeigen, die ich bestimmt noch nie gesehen habe. So war’s dann nicht. Ich war schon einmal bei einem HNO-Doktor und der hatte auch so was Ähnliches.

      Vollkommen gratis machte er mit mir einen fünf Minuten andau-ernden Gehörlosentest. Aber umsonst war er auch. Das Resultat, was anschließend aus dem Drucker herauskam, war seiner be-scheidenen Meinung nach, katastrophal. Das war für mich jeden-falls keine Überraschung.

      Ich bekam in der Folge einen Warenwertegutschein für eine ge-nauere Untersuchung. Er würde, so sagte jedenfalls der Herr Klei-derstätter, für mich extra weitere zwei Stunden für ein genaueres Gehörlosenprofil aufwenden müssen. Mit dem mir ausgehändigten Gutschein bräuchte ich nur fünfzig Prozent der Unkosten belegen. Weil so eine Untersuchung wäre dann nicht mehr gänzlich gratis.

      Was glaubst Du, was dann geschah! Aus meinem hintersten, bereits im Verwirrungszustand befindlichen Gedächtnisabteil schrie man mir förmlich eine Blitzwarnung entgegen. Zusätzlich schleppten Gehilfen dieser Abteilung Bilder in mein Bewusstsein herein, die ich nie ver-gessen werde.

      Ich weiß nicht, ob Du Dich noch daran erinnerst. Es war nämlich so: Damals im vergangenen Mai nahm ich bedenkenlos ein Angebot an, in welchem man mir zugesichert hatte, dass ich ein E-Bike um fünf-zig Prozent günstiger als der Listenpreis, erwerben könne. Das war freilich ein ausgemachter Blödsinn und eine Lehre fürs Leben obendrein. Auf solche Angebote werde ich nicht mehr so schnell hereinfallen.

      Doch der Herr Kleiderstätter machte mir ein so tolles Sonderange-bot, welches ich in dem technisch hochverstrahlten Kastenwagen gar nicht