Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


Скачать книгу

lasse ich ja noch gelten. Aber schau einmal hinein in den Fernseher. Die Nachrichten zeigen das richtige Bild. In letzter Zeit werden von diesen Religionsfanatikern, wenn´s auch offiziell keine sein sollen, nicht nur bei uns, aber sonst sogar in Bruck geradezu überschwemmt. Mein lieber Freund, so schauts aus.

      Und das alles sollen Viren sein? Fiebrige auch noch dazu! Nein, Monster sind das. Verstehst Du mich jetzt! Monster! Und zwar hundsgemeine Pokémon-Go Monster.

      06 Das Gurkerl in Paradeuniform

      Durchdringend und hintergründig steigen im Gegenlicht Nebel empor. In Vereinigung verwaschen, versucht der leise Wind, mutig erzogen, die Gesetze der Kraft, das Aufsteigen zu unterdrücken. Unverbraucht im Willen durchlebt er in meinem Traum ein neues Auf.

      Mein lieber Spitz, so einen Beginn hast Du Dir gewiss nach dieser Überschrift nicht erwartet. Das war mir am Anfang schon klar geworden, doch ich wollte dieses Mal mit einer Überraschung aufwarten. Schuld an diesem literarischen Ausreißer war wirklich nur dieses Sauwetter. Seit vorgestern konnten wir nach langen zwei Wochen in unserem Dorf wieder einmal die Sonne über unsere Köpfe begrüßen.

      Bitte verzeih mir den Ausdruck - Sauwetter. Ich weiß, so ein Sager ist für eine Dame, wie ich glaube, eine zu sein, ungebührlich. Dann schon gleich Schei..Wetter, das versteht auch der hinter Dir. Und eine Dame bin ich erst recht nicht. Schon eher eine von Denkfehlern behaftete Frau.

      Ich habe mir nämlich gedenkt: Es nützt ohnehin nichts. Man muss dem abwechslungsreichen atmosphärischen Launen nur so entgegenkommen, was es uns, und vor allem mir, in seiner meteorologisch schwer verdaulichen Aufmerksamkeit und Freundlichkeit zu bieten hat. Es gab also keinen Umweg und so entschloss ich mich, den unausweichlichen Launen trotz alledem liebevoll und ohne Groll im Bauch meine lyrische Aufwartung zu machen. Ob das mir nun gelungen ist oder nicht, das wird man später einmal erfahren können.

      Was ich eingangs mit diesen paar Zeilen eigentlich sagen wollte, weiß ich heute nicht mehr. Nur eines vielleicht: Für die Allgemeinheit dürfte es kaum von Bedeutung sein. Für mich aber schon, wenn zum Beispiel, wie es im Gedicht heißt … im Gegenlicht die Nebel emporsteigen … da komme ich dann schon ins Grübeln.

      Ein halbes Leben lang schleppe ich schon in einem immer schwerer werdenden Rucksack eine Last mit mir herum, die ich allerdings bewundernswerterweise auch nicht als solche empfinde. Und letztlich auch nicht loswerden möchte.

      Ich habe bislang noch nie mit jemandem darüber geredet. Außer mit meiner Freundin Margot und jetzt halt mit Dir. Margot ist es ja gerade, die mich herausfordert. Sie bedrängt mich ständig. Sie meint, ich solle doch einfach den unliebsam gewordenen Ranzen einfach ablegen, der mich Nacht für Nacht, oder zumindest viele Nächte lang, aufwühlt und ins Schwitzen bringt. Aber wohin damit? Ich könnte die Last auch einen Traummann überlassen, hat sie gemeint. Der könnte mir beim Aufschnüren behilflich sein und in einem Zug meine Ideen herausnehmen. Aber so blöd bin ich auch wieder nicht. Erstens, wo soll so einen Traummann auf die Schnelle aus dem Hut zaubern? Und zweitens, so ein traumdeutender Psychiater kommt mir auf keinen Fall in mein revierfreundliches Wohnzimmer.

      Aber ganz so einfach, wie die Margot sich das vorstellt, ist es halt ganz und gar nicht. Ich feile ja vehement daran, um den Ballast, an jener Stelle, wo er versucht, mich auf den Boden zu drücken, zu vermindern. Unter uns - ich möchte einerseits die schönen Traumreisen samt den damit verbundenen Erlebnissen nicht missen. Aber andererseits wäre ich schon etwas erleichtert, wenn ich nicht gar so viel Schwerarbeit zu leisten hätte.

      Schau, wenn ich zum Beispiel nicht nach Griechenland, sondern auch nicht nach Mexiko reisen möchte, kann ich das ja sofort machen. Vorige Woche war ich sogar nicht in London und da muss es geregnet haben, weil ich beim Aufwachen ganz verschwitzt unter meiner Decke gelegen bin. So gesehen bin ich eine Traumweitgereiste.

      Mittlerweile stehe ich relativ wieder fest mit beiden Füssen am Boden. Obwohl, das muss ich hier auch offenlegen, gerne immer schon eine Brückenbauerin werden wollte.

      Das einzige Hindernis, nämlich einen solchen Beruf, außerhalb meiner Traumwelt, versteht sich, zu ergreifen, war meine überqualifizierte Volksschulausbildung. Doch allein schon der Gedanke Brückenbauerin sein zu wollen, das gab mir schon einen gehörigen Auftrieb.

      Es müssten ja nicht zig tonnenschwere Brücken aus vernieteten Winkeleisenträgern sein. Nein, nein, an das dachte ich sowieso nicht. Meine Konstruktionen sehen eigentlich völlig anders aus. Auch an hundsgemeinen Holzbrücken bin ich schon gar nicht interessiert, weil ich bereits als Kind elterlicherseits verpflichtend zum Holzaufschlichten arg missbraucht worden bin.

      Was glaubst Du wie viele Schiefer ich mir beispielsweise beim Aufstapeln von den schweren Lärchenhölzern in die Hände gerammt habe. Unzählige.

      Na ja, einige Schiefer habe ich mir auch schon öfters außerhalb meiner Traumwelten eingezogen. Allerdings nicht nur in die Hände. Doch die Brücken, die ich immer wieder aus meinem Traumgedächtnis hervorhole, später dann nachzeichne und stets mit den neuersten Zwirntechniken verfeinere, die sind ganz einfach herzustellende Luftbrücken. Ich kann diese nach Lust und Laune zum Beispiel jede Nacht im Schlaf, dass sogar mehrmals in der Woche, wieder abbauen und an einem völlig anderen Nestzentrum neu errichten. Diese Umbauten gehen relativ rasch vonstatten. Meistens arbeite ich fieberhaft an einem oder sogar an mehreren Konstrukten gleichzeitig. Die REM-Phase oder wie das heißt, unterstützt meine Vorhaben ohne jegliches gewerkschaftliches Aufzumucksen.

      Ich bin nämlich eine nächtliche Vielreisende. Ich glaube das weißt Du mittlerweile ohnehin. Für mich ist es ein Klacks, sozusagen ein Schnippen mit den Fingerspitzen. Obwohl ich das einige Male schon probiert habe. Das Schnippen meine ich. So einfach, wie das im Fernsehen ausschaut, ist es bestimmt nicht. Ich sehe hier die Frau Stockerl von den Rosenheimern vor mir, wenn sie mit ihren zwei Fingern der rechten Hand einen Schnalzer erzeugt, den sie wahrscheinlich oft genug üben muss, bis der sitzt und gleichzeitig aber ihre Zauberhände in die Luft schwingt, das ist dann der sprichwörtliche Klacks.

      So ein Klacks ist es für mich auch, wenn ich beispielsweise eine Traumbrücke in Oberbringshausen oder wie jüngst eine Drahtseilzugbrücke aus dem Nichts in Geröskyskinzu, in tiefster Provinz in Ungarn, hochziehen kann. Und das geschieht alles mit einer Leichtigkeit im bewährten Schani-Schwebeverfahren. So was lernst Du in der HTL nie und nimmer.

      Freilich, das erklärt auch meinen Frühstückshunger alle zwei bis drei Tage einerseits, und eine periodisch erscheinende Restmüdigkeit am Morgen, auf der anderen Seite. Vielleicht wäre es besser, so meint die Margot, wenn ich am Rücken schlafen würde und nicht auf der linken Seite. Davon verspreche ich mir allerdings sehr wenig bis gar nichts. Dann hätte ich ja andauernd nur die Unterseiten der Brücken im Visier und das kann auf die Dauer auch nicht gesund sein. Stell Dir vor irgendein gelockertes Teil würde herunterfallen. Nicht auszudenken. Ich habe ein Hochbett.

      Tagsüber komme ich mit meiner Reisefreudigkeit ja kaum über Zell am See hinaus. Höchstens im Jahr dreimal. Meine reisefiebrigen Unternehmungsgelüste entwickeln sich nur nachts. Hauptsächlich bei Vollmond. Wahrscheinlich wegen der guten Ausleuchtung, die für eine Brückenbauerin, wie ich eine bin, unverzichtbar ist. In diesem, von Vollmond beherrschten Zeitabschnitt, ist mein Drang reisen zu wollen, unschlagbar. Es kann schon passieren, dass ich eine Überbrückung bis Krimml schaffe. Vor zwei Wochen war ich sogar beim Brunetti in Venedig.

      Ach ja, den Brunetti kennst Du sicherlich. Er ist ein ganz feiner ruhiger Kerl mit einem Viereinhalbtagesbart und immer mit dunkelblauem Anzug ohne Krawatte unterwegs. Brunetti war sogar bereit, mich mitten in der stockfinsteren Nacht, zwar auch bei Vollmond aber mit schwarzen Wolkenvorhängen überzogenen Himmel, zuerst mit einer Gondel unter die unzähligen Brücken und danach über diese durch das Aqua alta zu führen. Er sprach mit mir in einem akzentfreien Deutsch. Jedenfalls habe ich ihn gut verstanden. Seine Ehefrau soll sogar eine Professorin sein, die habe ich nicht verstanden. Ok! Von einigen persönlichen Erlebnissen hatte er mir bei unserem gemeinsamen Spaziergang über und unter den Brücken von Venedig berichtet. Die habe ich leider auch vergessen.

      Am Morgen bin ich aufgewacht. Noch vor dem Frühstück musste ich erst im Computer nachlesen, was Aqua alta eigentlich zu bedeuten hatte. Meine Füße waren jedenfalls