Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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      Der Grund war eindeutig: Er und seine Jungbäuerin leiden nämlich am chronischen Veganer-Syndrom. Er deutlich weniger als sie.

      Na ja, der Spur Sepp, das möchte ich hier auch klar unterstrichen wissen, ist ein sehr fleißiger Dorfbewohner hoch droben auf der Sonnseite des Tales. Er und seine Frau Marie Theres, sowie die Altbäuerin und der Altbauer, also dem Spur Sepp seine Eltern, be-wirtschaften mustergültig den Hochspurhof.

      Von meinem Schlafzimmer aus könnte ich den Bauernhof gut se-hen, wenn mir nicht die drei blöden gemeindeeigenen Fichten mit ihren zig meterhohen Wipfeln die Sicht verstellen würden. Das macht aber gar nichts. Dafür sehe ich drüben auf der Schattseite auch nicht mehr.

      Kinder gibt es am Hochspurhof bislang keine. Das ist an sich auch kein Wunder nicht, sagen die Leute. Bei diesem kohlkopfjausenden Ehepaar fehlen einfach die Spur-Elemente. All das und noch we-sentlich mehr kann man im Warteraum bei unserem Doktor Alfred Burusmeister aus erster Hand erfahren. Ich persönlich kann und möchte dazu auch mit meinem Senf die Salatpletschen um keine Spur nicht verfeinern. Zum einen weiß ich über die veganische Krankheit viel zu wenig und über die medizinisch notwendige The-rapie noch weniger. Nur so viel vielleicht: Sie ist ansteckend.

      Also aufpassen, wenn man in die Nähe vom Hochspurhof kommt und dort womöglich von der Bäuerin Marie Theres zu einer Jause eingeladen werden sollte. Was wahrscheinlich eher unwahrscheinlich ist.

      Deshalb komme ich gar nicht in Verlegenheit, auf den Berg zum Hochspurhof hinaufzuklettern. Mit meinem neuen E-Bike traue ich mich sowieso nicht auf den Sonnberg hinaufzufahren. Viel schlim-mer stelle ich mir das Hinunterradeln vor. Gut, ich weiß jetzt Be-scheid. Ich weiß, dass ich für Notfälle je eine Bremse für das Vor-der- und Hinterrad zur Verfügung habe. Aber den Stecken von einer Haselnussstaude habe ich lediglich hinten drauf, um die zwei Hunde verjagen zu können.

      Im Winter, wenn zumindest bodenbedeckt der Schnee die steinige Landschaft zu fließenden Formen werden lässt, dann solltest Du unbedingt einmal zum Hochspurhof hinauf gehen. Du kannst auch hinauffahren. Die Ansteckungsgefahr, etwa dort oben Veganer zu werden, ist statistisch um diese Jahreszeit fast null. Viele Schilang-läufer aus dem Dorf und aus der näheren Umgebung fahren mit ihren Autos samt ihren Langlaufschiern dorthinauf und müssen, ob sie wollen oder nicht, beim Hochspurhof vorbei. Die Meisten von ihnen versuchen sogar die Sportler des Jahres nachzuahmen, in dem sie wie verrückt die Hochspurhofloipe hin und her sausen. Für die anfallenden Notarzteinsätze gibt einen freizuhaltenden Um-kehrplatz, der auch im Notfall als Hubschrauberlandeplatz bedient werden kann.

      All das organisiert der Spur Sepp. Warum ich das weiß? Das ist einfach erklärt. Die Tratschereien aus dem Wartezimmer der Ordi reichen dafür nicht aus.

      Nein, es gibt zusätzlich zweimal im Jahr einen Gemeindebrief und hier werden auch dem Spur Sepp seine Leistungen erläutert. Bald kritisiert und dann hin und wieder auch gelobt.

      Der Spur Sepp darf alles dort oben tun. Um der Wahrheit auf die Sprünge zu helfen, sollte er eigentlich im Auftrag der Gemeinde-vertretung, selbstverständlich auch mit dem Segen des Bürger-meisters, trotz seiner veganen Ansteckungsgefahr, im Winter die Loipen und im Sommer insgesamt dreiundzwanzigkilometerlange Wanderwege pflegen.

      Außerhalb seiner gemeindedienstlichen Aufgaben hat er daheim, neben seiner Frau, auch noch den Bauernhof, zugegeben ohne Vie-chereien, zum Umhegen und zu pflegen. Statt Rindviecher gibt es jede Menge Kohlköpfe, die nicht nur auf dem Acker dahin welken. Die Hochspurhofner Jungbauersleute sind nämlich rundum Grünfuttereigenversorger. Sie ernähren sich in den wärmeren Jah-reszeiten von dem Grünzeug, das sie im Garten anbauen und dar-über hinaus kaufen sie im Lagerhaus, seltener schon im Super-markt ein.

      Nicht so wie auf dem etwas mehr als zweihundert Meter weiter unterhalb befindlichen Niederspurhof. Das dort gemähte Gras wird an die Rindviecher, Ziegen, Schweine und Schafe verfüttert und die werden erst danach dem Eigengebrauch zum Verzehr zugeführt. Und Hendln haben die, sag ich Dir, so schöne gibt’s nicht einmal im Zoo in Salzburg. Eine Kleintierhendlzucht haben die Niederspurhofer auch. Wenn keine Vogelgrippe in der Luft liegt, dann kann man sie ganz gut tagsüber vom Weg aus beobachten, wie sie die Körndln vom Boden herauspicken.

      Sowas käme bei den chronischen Veganern gar nicht infrage. Frei-lich gibt’s bei der Familie vom Spur Sepp Junior das nicht. Keine Goas und auch keine Schafe nicht sind am Hof. Nur die Altbäurin füttert halt, von der Jungbäurin gut versteckt, zwei Hendln auf ihrem Dachboden droben. Weil, ohne mit ihren zwei Eiern spielen zu dürfen, das wiederum kann sich auch die Alte nicht vorstellen. Nebenbei muss sie ja noch ihren Spur Sepp Senior versorgen. Er und seine Altbäuerin halten sich ja nicht ausschließlich an die Gebote der Jungen. Das brauchen sie auch nicht, denn sie wohnen schon jahrelang ein paar Schritte vom eigentlichen Bauernhaus entfernt, in einem uralten Austragshäusl.

      So schräg oberhalb, zwischen den beiden Häusern, stand immer schon ein Selchkamin und gleich daneben das Plumpsklo mit Herz-erl. Aber seit die Jungbäurin das Regiment als militante Verteidigerin der veganen Lebensart führt, musste nur die Selch stillgelegt werden. Freilich soll es noch anderen bevorzugt modernen Komfort im Bauernhaus selbst geben. Wie zum Beispiel eine Badewanne. Böse Zungen behaupten jedenfalls, dass diese vor zig Jahren noch am Feld gestanden ist und damals den weidenden Tieren als Tränke gedient haben soll. Das ist aber nur ein Gerücht. Davon hat aber die Jungbäurin offenbar keine Ahnung.

      Das stimmt aber, weil der Installateur aus dem Nachbardorf, den ich persönlich gut kenne und ein weitschichtiger Verwandter meiner Tante Gusti gewesen sein soll, erzählte mir vor zwei oder drei Wochen, dass er im Austraghaus vom Hochspurhof ein fabrikneues Wasserklo eingebaut hatte.

      Die Alternative, wie schon bemerkt, das Häuschen, das steht immer noch fünfzig Meter abseits, nämlich zwischen dem Haupt-und Ne-benhaus. Dort oben sagt man heute noch: „I muass aufs Häusl geh!

      Die spionagebetreibenden Dorfratschn haben am Hochspurhof noch ganz was anderes entdeckt. Quasi im Vertrauen wurde die Sensation im ganzen Dorf über die verschiedensten Multiplikatoren, wie das heutzutage heißt, weitererzählt. Da trägt auch unsere Briefträgerin einen Teil der Mitschuld. Schön langsam wird mir auch klar, warum die Bezirkszeitung nicht mittwochs, sondern erst oft am Freitag in meinem Briefkasten landet.

      Da ist nämlich Folgendes passiert: Seit der Spur Sepp aus dem Krankenhaus, und zwar gegen den Willen der Ärzte, also ausge-rechnet nach seinem Sturschädel, entlassen worden war, da hatte man ihn auf neutralem nachbarschaftlichen Gemeindegebiet beo-bachtet, wie er beim SPAR-Supermarkt eine Spur hinterlassen hat. Und zwar hatte er ein Stück Brot, samt einen halben Kranz Braun-schweiger gekauft. Das wäre ja grundsätzlich nicht verboten ge-wesen. Nur soll er dann dieses überaus schädliche Zeugs heimlich zu seinem Auto geschleppt und dort dann gierig hinter dem Lenkrad in sich hinein gefuttert haben.

      Den Allradler vom Spur Sepp kennt bei uns jedes Schulkind. Am SPAR-Parkplatz soll das auffällige dunkelgraue Fahrzeug, mit seiner kleinen Ladefläche und der Aufschrift hinten – Hochspurhof das Paradies für Veganer - öfters schon beobachtet worden sein. Ver-ständlicherweise spricht sich so ein außergewöhnliches Verhalten eines heißhungrigen Lebakas-Fleischverweigerers schnell im Dorf herum. Wenn nur eine winzige Spur davon der Wahrheit entspre-chen sollte - die Betonung liegt auf sollte - was die Leute über den Spur Sepp Tag für Tag so daher schwafeln, dann wäre sein Verhal-ten gewiss rücksichtslos, zumindest seiner Frau gegenüber.

      Das musst Du Dir so vorstellen: Die bedauernswerte Marie Theres steht daheim am Herd, rührt mit ihrem abgenützten hölzernen Kochlöffel langmächtig in der Kohlsuppe herum, kocht jede Menge Karotten als Beilage, wegen der Vitamine halt, und schält nebenbei jede freie Minute die Erdäpfel. Selbstverständlich bemüht sie sich auch, für ihren fleischverachteten Ehemann das luxuriöseste, vi-taminreichste Essen warmzuhalten. Und er – was macht er? Er sitzt in seinem Auto und haut sich den Bauch mit der Lebakasrindn voll.

      Ich kann mir ja beim besten Willen nicht vorstellen, warum die Ma-rie Theres dreimal im Monat zum Beichten geht. Aus religiösen Gründen bestimmt nicht, weil eine Heilige ist sie auf keinen Fall. Wahrscheinlich nur deshalb, um die Dorfneuigkeiten nach der Beicht aus erster oder übertragener Hand zu erfahren.

      Und der bauernschlaue