Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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gab für mich nur eines. Die Flucht! Zu meiner Freude erreichte mich hier drin im Oberstüberl, gerade noch im entscheidenden Augenblick, eine unmissverständliche Eingebung! Ich möge doch meine Füße in die Hände nehmen und bedingungslos davonlaufen und zehn Eier kaufen.

      Den Wisch, den mir der freundliche Kleiderstätter beim Verlassen der Gehörlosenuntersuchungsanstalt, versehen mit einer Termin-vorlage ins Hauptgeschäft, mit besten Empfehlungen der Firma, in die Hand gedrückt hatte, den verlor ich schon absichtlich im roten Mistkübel, gleich nach dem Eingang in den Supermarkt.

      Entschuldige bitte hier meine kleine Abschweifung, aber es musste sein.

      Also zurück zum Pfarrer. Er ist halt auch schon ein mittelalterlicher Mann. Mitte fünfzig wird er sein und er braucht für die Weitsicht nicht nur ein Gefühl für seine Schäfchen, wie er bei jeder Gelegen-heit immerfort betont, sondern auch eine hartlauerische Sehhilfe. Und so eine hat er auch. Ich weiß es und Du weißt es bestimmt auch. Stell Dir vor, er hat er sogar zwei davon. Eine wie unser Landesbischof, so eine mit rosaroter Einfassung und eine mit schwarzem oder dunkelbraunen Rahmengestell. Zu hohen Festta-gen, beispielsweise bei Hochzeiten, trägt er angeblich die rosarote Brille. Damit schaut er auch wesentlich jünger, dynamischer und intelligenter aus. Diese Meinung hat zumindest die eine Hälfte der Gutgesinnten. Die anderen, nicht gerade von Liebenswürdigkeit belasteten Menschen in unserer Gemeinde, haben mit seiner rosa-roten Weltanschauung dort und da schon auch Probleme. Mir per-sönlich ist das letztlich egal, aus welchem Fenster er herausschaut. Sein mit Falten durchzogenes Gesicht, obenauf mit der kreisrunden Glatze eines Kapuzinerpaters, tritt dadurch eher in den Hintergrund.

      Völliges Gegenteil erzeugt der dunkle Brillenrahmen. Wenn er mit diesem seine Augen zupflastert, dann muss er gezwungenermaßen seinen Kopf leicht absenken. Stattdessen hält er seine gefalteten, aber nicht faltenfreien Hände, andächtig vor sein Gesicht. Mein Gott, er ist halt nur ein Mensch. Aber gleichfalls auch ein armer Teufl.

      Hier denke ich ganz besonders an die äußerliche Erscheinung seiner Haushälterin, weil Pfarrersköchin darf man laut dem letzten Konzil oder war es nur ein Empfehlungsschreiben vom Papst, genau weiß ich das nicht mehr, keineswegs mehr in den Mund nehmen.

      Der Anlass für die angebliche päpstliche Entscheidung war für uns Katholischen relativ klar erkennbar. Kein Pfarrer sollte jemals mehr von der kirchlich zugelassenen Wirtschafterin ohne allgemein verständliche Gemütserregung erkennen zu lassen, eingekocht werden dürfen. Ein Mann muss ein Mann bleiben! Auch mit rosaro-ten Brillen – basta!

      Die gute, angeblich sehr genügsame Seele heißt übrigens Kathi. Mit vollem Namen Katherina Strohreisinger. Das ist in unserem Dorf kein Geheimnis, weil Strohresingers gibt’s jede Menge. Zwar heißen nicht alle so, aber sie sind so.

      Frag mich bitte nicht, wie die Kathi den Laden im Pfarrhaus schau-kelt. Viel Gewicht an Körpermasse trägt sie ja nicht mit sich herum. Vielleicht ist sie Vegetarierin. Keiner im Dorf weiß was Genaueres. Bei einer Köchin, sage ich Dir, ist das ein überaus schlechtes Zeichen, wenn das Schlüsselbein schon so hervortreten muss, um sich nach Essbaren umzuschauen. Andererseits könnte einem zu-fällig vorbeikommenden Hungernden beim Anblick solcher Spiral-knochen schon regelrecht schlecht werden.

      Kathi kann vermutlich gar nicht kochen. Oder sie übt sich mit ihren Künsten streng in der Körner- und Gemüseverwertung. Einen überdimensionierten Pfarrgarten betreut sie ja auch noch. Wenn ich vielleicht einmal in der Woche oder zweimal im Monat dort vorbei-gehe und es ist nicht gerade das Zwölfuhrläuten am Programm, dann kann man getrost davon ausgehen, dass die gute Kathi am Gartenzaun steht und mit vorbeikommenden Dorfbewohnern sich in ein tiefes kräuter-und körndlverbundenes Gespräch bereits hin-einmanövriert hatte. Danach könnte man Zeugnis ablegen, wie der Magen des Kostvernachlässigten im Pfarrhaus vor Hunger und Un-geduld aus dem Fenster seines Arbeitszimmers vom ersten Stock aus in den Garten hinunterknurrt. Angeblich laut fluchen hat man Hochwürden bisher noch nie gehört. Es wäre ihm aber nicht zu verdenken gewesen.

      Ganz gewiss weiß ich es nicht. Gemunkelt wird darüber. Wahr-scheinlich hat die Kathi linksdrehende Spreißelhaxn. Ähnlich wie die Lärchenstecken vom Zaun des Schönschreckbauern. So drückt man sich halt bei uns im Pinzgau bei anatomischen Ungereimtheiten der unteren Extremitäten gerne aus. Aber bitte versteh mich nicht falsch. Wahrscheinlich habe ich nur deshalb gesagt, weil gesehen dürften ihre Stelzen noch kaum wer haben. Ich schon gar nicht. Und unserem Geistlichen Rat mute ich diesen Anblick nicht einmal auf einer kilometerweiten Entfernung und dann nur bei absoluter Finsternis zu.

      Na ja, die Kathi Strohreisinger ist eben eine zaundürre Gestalt mit altmodischem bodenlangen Gewand. Da kann man nichts machen.

      Hingegen schaut ihr Chef gar nicht so schlecht aus. Vielleicht ein bisschen blass an den Dienstagen, wo allgemein im Haus gefastet wird, aber sonst … Na ja, es wird ihm schon so recht sein. Weil zwischen Mittwoch und Samstag, immer um die Abendstunden herum, plant er, wenn möglich sogar selbst, seine außerpfarrhäus-lichen Verpflichtungen schon so ein, dass seine leibliche Zufrie-denheit an den jeweiligen Orten auch gehörig hochgewürdigt wird.

      Zum Beispiel: Am Freitag vor zwei Wochen wurde das fünfund-zwanzigjährige Ordinationsjubiläum von Doktor Alfred Burusmeister in einem würdigen Rahmen gefeiert.

      Neben der rot-grünen Gemeindevertretung und dem tiefschwarzen Regierenden war freilich auch Hochwürden eingeladen.

      Er saß mit seiner feierlichen rosaroten Brille ganz vorne bei den Dorfoberen am Biertisch, der mit weißen Leintüchern abgedeckt und mit Tro-ckenblumen aus dem Pfarrgarten und vielleicht sogar vom Hoch-spurhof geschmückt worden war. Die zwei Ordinationsgehilfinnen spielten diesmal nicht mit Spritzen herum, sondern schenkten Gspritzten an die Gäste aus. Sämtliche Stammkunden des Medizi-ners waren da. Na ja, ich und meine Nachbarin, die unausstehliche Valentina Feitelkramer-Froschkopf, auch. Am Gabentisch lag unter vielen anderen Ess- und Trinkbaren eine überlange geräucherte Wurst. Der Geistliche wurde schon ganz blass, alleine beim Anblick derselben.

      Alle wissen es! Und die Boshaftigkeit überschreitet gemäß jeglicher Tischmanieren die Grenzen des Erträglichen. Gemeint ist hier wirk-lich der arme Beichtvater der Gemeinde. Doktor Burusmeister wusste es freilich am aller Besten, im Pfarrhaus werden ihm solche Leckerbissen, wie Fleisch, ausgerechnet an einem Freitag, nicht angeboten. Deshalb fragte der Doktor den Pfarrer, wo er die Wurst anschneiden möchte. Da nahm das Schicksalhafte seinen Lauf. Wie undisziplinierte Schrotkugeln kam es aus seinem Mund geschossen. Und er meinte es ehrlich: „Dahoam in meiner Pfarrkanzle natürlich, wo denn sonst!“

      Dass so ein Pfarrer, wie unser Fuchskrapfen, auch hin und wieder seine Ruhe und Erholung von der Strohreisinger Kathi dringend notwendig hat, ist selbst für Ungläubige verständlich. Deshalb schmiedet er ja halt auch ab und zu solche geheimen Fluchtgedan-ken. Diese führen ihn dann regelmäßig zu den verschiedensten sporadisch ausgerufenen Anlässen in seine Pfarrgemeinden und halt auch dort und da in Versuchung. Wie zum Beispiel die schon erwähnte Ordinationsfeier. Er muss ja in weiteren vier Gemeinden in der Umgebung seinen Geistlichen Rat mit angemessener Würde repräsentieren.

      Hochwürden ist nämlich dem guten gemütlichen In-sich-hinein-futtern nicht abgeneigt. Das sieht man ihn auch an. Vor allem au-ßerhalb seines Pfarrhauses jagt er gerne den verführerischen Köst-lichkeiten nach. Vornehmlich solchen Delikatessen, die mit dem vegetarischen Firlefanz seiner umsorgenden Strohreisinger Kathi niemals ein Naheverhältnis haben werden und die zu keiner Zeit auf seinen heimischen Tischen ungastlich herumstehen. So was weiß halt jeder bei uns im Dorf.

      Der fromme Mann ist ja mit seinen zirka einen Meter neunzig eine stattliche Beschwerung. Da gibt es nichts zu deuteln. Obendrein wird durch ihn persönlich die vordere Auswölbung seiner recht gut eingebetteten Rippen keinesfalls beim Anfuttern außer Haus ver-nachlässigt. Wenn er zum Beispiel an Feiertagen nach dem Zeleb-rieren vor die Kirche tritt und er da noch mit seinem schwarzen Kaftan samt der violetten Bauchbinde verkleidet ist, dann wäre es für einen Militärhubschrauber, ich denke an so ein handliches Gerät mit vier Propellern drauf, ein leichtes auf dem Bauchansatz von unserem Herrn Pfarrer eine Landeübung zu machen.

      Auf die Idee ist zum Glück noch nicht einmal der Verteidigungsmi-nister, geschweige denn der Spur