Wilhelm Kastberger

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser


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auch noch.

      So arm, wie die Leute im Dorf immer tun, ist die Marie Theres Spur, geborene Birkenberger, aus dem Geschlecht der ehemals hochangesehen Birkenberger aus Niederbayern, auch wieder nicht. Freilich ist sie zaundürr. Beinahe wie Haushälterin vom Herrn Pfar-rer. Der erkennbare, ins Gesicht springende Unterschied, dürfte eher im Gwand der Zwei zu finden sein.

      Die hoch angesehene Hochspurbäuerin Marie Theres schaut, zu-mindest wenn sie ins Dorf herunterkommt, fast immer wie ein achtzehnjähriges Mädel aus. Überhaupt mit ihrer modernen, hori-zontal bewusst zerrissenen, aber niemals unsauberen Jeanshose, würde sie auf die Männer wie ein Magnet wirken. Freilich müsste dann der horizontale Einriss an einer Stelle für erotische Ausstrah-lung sein. Aber solche Stellen gibt’s bei der Frau ja nicht.

      Auch bei ihrer Oberbekleidung ist sie je nach Jahreszeit wählerisch. Da sind gar keine Einnäher für Ausbuchtungen der fraulichen Oberweiten vorgesehen, weil´s die gar nicht für ihre Flachbett-brustkaramellen braucht. Völlig übertrieben kommen mir dann ihre viel zu großen, mehr klobigen ungeputzten Plastiktretern vor, weil lederne Schuhe für eine geweihte Veganerin bereits eine Sünde darstellen.

      Die Couturiers, also die Modedesigner, haben auch mit der Kathi Strohreisinger niemals nie ein Geschäft gemacht. Die sieht man werktags immer nur mit dem graubraunen, leicht fleckigen boden-langen Schürzenrock herumsausen. Zur Kirchzeit hat sie dann meist einen dunkelblauen langen Rock und zu den hohen Feiertagen sogar ein farblich ausgewaschenes, ebenfalls bis zu den Knöcheln reichendes Trachtendirndl an.

      Auch in der Aussprache der Zwei erkennt der aufmerksame Zuhö-rer, aber ganz bestimmt der Herr Pfarrer, feine dialektische Unter-schiede. Nicht so wie bei der Kathi Strohreisinger, deren Derbheit sich mit einer scheinheiligen Hochsprache vermischt.

      Die Hochspurbäuerin Marie Theres wählt in der Frauenrunde vor dem Kirchentor schon eine ausgesuchte veganische Ausdrucksform, wobei sie Kraftausdrücke, wie zum Beispiel Schwein gehabt oder Stierschädel oder gar saumäßig aus ihrem Vokabular, grundlegend verbannt hatte. Solche tierisch vernetzten Wörter, seien sie auch nur liebevoll ausgesprochen, wären ihrer Ansicht gewiss tod-sündenverdächtig.

      Freilich flucht sie auch. Und wie! Dabei ist sie oftmals sogar fuchs-teufelswild. Das belegt wiederum ihr Bedürfnis, öfters als ihre Ve-ganer Kolleginnen, beichten zu gehen. Übrigens das bezeugen auch ihre Schwiegereltern. Die Austragbauern. Sie schmeißt halt dann in einem unbeherrschten Erregungszustand ihrem geliebten Spur Sepp schon mal harmlose Kraftausdrücke an den Schädel oder sonst wohin. Wie beispielweise Du Kohlkopf-du grausiger oder gar das zweideutig auslegbare Wortkarussell Du vadrahte Karottenspindl. Derartige Flüche kommen ihr aber nur über die Lippen, wenn der Gatte nicht so spurt, wie sie es ihm aufgetragen hatte. Dabei ist eher sie spindeldürr und nicht er.

      Ich habe schön langsam den Verdacht, und gelesen habe ich es auch schon, dass man als infizierter Veganer ein armer Teufl ist.

      Deshalb wird man auch solche Kraftausdrücke in Kauf zu nehmen haben, weil die gehören offenbar zum Krankheitsbild dazu. Gegen diese ansteckenden, seuchenartigen veganen Erscheinungsformen gibt es ja kaum Medikamente. Höchstens werden hin und wieder ein paar Ersatzteile in Form von Pillen von den Hausärzten ver-schrieben, die zwar rezeptpflichtig aber nicht krankenkassenab-rechnungsfähig sind. Das war’s aber schon. Vielleicht ist der Spur Sepp allein schon durch die heimlichen Besuche beim SPAR mit seiner Braunschweiger auf der Spur der Besserung. Wünschen würde wir es ihm gewiss.

      Dir habe ich es ja schon erzählt. Freilich, Dir auch! Allerdings ist es bereits eine Weile her und ich weiß nicht, ob Du oder Du dort hinten Dich noch daran erinnerst.

      Letztendlich ist es ja nichts Dramatisches oder gar Verwerfliches. Ganz im Gegenteil. Für die heutige Zeit eigentlich sogar etwas Willkommenes. Man sucht nach mir - oder auch nicht. Jedoch der Auffindungsort bleibt für so manche im Verborgenen.

      Nicht dem Herrn Pfarrer. Wie ich schon mehrmals Dir gegenüber betonen durfte, ist er ja ein g’scheiter Mann und dem bleibt kaum was verborgen. Nur in dieser Sache ist auch er mit seinem Latein ziemlich am Ende. Obwohl, das gehört auch hierher, lateinisch pre-digen kann er, wenn er will. Das versteht dann keine Sau, auch nicht die Frau Veganer. Das hat mir die Kathi Strohreisinger erzählt.

      Im Grunde ist es ja kein Geheimnis, das ich hier offenbaren möch-te. Es ist nur ein bescheidener Wunschtraum meinerseits, der wirklich schon sehr oft in Erfüllung gegangen ist.

      Um die Spannung entsprechend abzukürzen, weil sonst wird die Geschichte ja eselslang, sage ich es frei aus meiner Seele heraus. Ich betreibe jetzt täglich Sport. Da brauchst Du dort hinten gar nicht so zu lachen. Ich tue es ja fast täglich. Das ist nicht ge-schwindelt. Nein, ganz im Ernst und so schlimm, wie ich mir das anfangs vorgestellt habe, ist es auch wieder nicht. Also gut pro Wo-che mache ich an zwei bis vier Tagen Bewegungsübungen. Ich gehe zu Fuß zuerst einmal von der Wohnung über die zwei Stiegen hinunter vors Haus. Dann schau ich zum Himmel und zum Nieder-spurhof hinauf. Das geht ganz schön in die Knochen, sag ich Dir.

      Sport habe ich immer schon gemacht. Eigentlich könnte man es sogar als eine Art von Krafttraining heißen. Man benötigt dazu keine größeren Gerätschaften, wie im Fitnesscenter. Da genügen ganz einfache Haushaltsartikel. Früher übte ich gerne, quasi so neben bei, allerdings beidhändig verstehst Du, mithilfe der Daumen- und Zeigefingermuskulatur, mit zwei Tafeln Ritter-Sport auf einmal. Und die brach ich dann nach wochenlanger Übung auch mühelos ent-zwei.

      Daraufhin erlöste ich die Rippen aus dem gesundheitsschädlichen aluminiumhaltigen Eingemachten und vertilgte sie genießerisch die dunkle Energie. Jedoch immer brav nach Rezeptvorlage, sodass kein schlechtes Gewissen nicht aufzukommen musste. Die schwar-zen Rippen sollen sogar vorbeugend zur Herzstärkung wirksam sein. Nur so eine, wie die vegane Marie Theres, könnte meinem Ritter-Sport niemals was abgewinnen.

      Bei meinen sportlichen Abenteuern in der freien Natur machte ich in letzter Zeit kuriose Entdeckungen. Es kommen mir alle möglichen Leute unter, die sich ganz eigenwillig verhalten. Ob das nun Ältere oder Jüngere sind, das ist egal. Du wirst vielleicht solche Gestalten auch schon umherirren gesehen haben. Die schieben ständig so ein Smartphone, so wie ich eines habe, ganz seltsam vor sich her und spähen mit schier hervortretenden Stilaugen auf das Display. Wenn sie vermuten, etwas erspäht zu haben, das ihnen in ein Suchschema passt, dann schreien sie wie wild auf. Manchmal kniet sich so ein bemitleidenswerter Mensch mitten auf Weg hin, markiert eine vermeintliche Fundstelle mit einer mitgebrachten roten oder gelben Kreide oder auch mit einem Nagellack. Danach schreien sie wieder irgendwelche, für mich jedenfalls unverständliche Urlaute.

      Und hier kommt unser Pfarrer, der Spur Sepp, aber auch die be-vorzugte Beichtgeherin Marie Theres wieder ins Spiel. Die ist dies-bezüglich sehr, sehr auffällig. Die Frau habe ich nämlich auch schon bei solchen mysteriösen Anbetungsritualen angetroffen. Sogar unweit der Arztpraxis von Doktor Alfred Burusmeister und freilich ein paar Tage danach auf ihrem Acker mit den gelben Rüben und Kohlköpfen. Und die begrenzen ja teilweise den Weg zum Nie-derspurhof.

      Na ja, was soll ich Dir sagen. Vor zwei Wochen war ich zufällig in Zell am See. Dort habe ich einige solche Tiefgläubigen gesehen. Manche breiten sogar einen Teppich am Gehsteig aus und legen ihr Handy gleich daneben hin. Andere wiederum fuhren mit einem Elektroboot auf den Zellersee hinaus und fuchtelten genauso mit ihrem Smartphone in der Luft herum. Diese Auffälligkeiten konnte ich mir anfangs gar nicht erklären.

      Wegen dieser mysteriösen Geschehnisse ging ich halt zum Pfarrer, was ich ja schon eingangs bekanntgegeben habe. Ich vermutete nämlich, dass mit dem albernen Verhalten der bedauernswerten Mitmenschen eine neue religiöse Strömung auf uns zu kommt. Und genau so beurteilte es auch unser Geistlicher Rat, der Pfarrer Bartl Fuchskrapfen - nicht.

      `Meine liebe Schani`, hat er gsagt, `sei ohne Sorge´, hat er gsagt, ´das ist nur ein moderner fiebriger Freizeitvirus´, genauso hat er gsagt, fiebrig hat er gesagt, `des käme alles von den über-reagierenden Andächtigen aus Amerika,´ hat er gsagt, ´und das hätte mit der Entstehung einer neuen Religion genauso wenig zu tun, hat er gsagt, wie der Spur Sepp mit einer Braunschweiger.` Und das hat er zum Schluss noch gesagt.

      Ob er sich da nicht im totalen Vergaloppieren verrennt hat? Ich meine den sonst umsichtigen