Andreas Parsberg

Im Zeichen des Ares


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die Straße und ließen sich auf einer Holzbank nieder. Labolas schnüffelte auf der Wiese dahinter, so wie es ein Hund tun würde, jedoch befand er sich in Hörweite.

      „Hast du etwas über den Mord herausfinden können?“, flüsterte Karim, jedoch laut genug, dass es Labolas verstand.

      „Es wurde dem Gefangenen eine Giftspritze in den Arm gejagt, als dieser gerade den Polizeiwagen verließ.“

      „Wie konnte das geschehen?“

      „Gute Frage“, antwortete Labolas. „Die Polizisten bewachten den Verletzten, es hätte kein Fremder herankommen können.“

      „Dann muss es einer der Polizisten gewesen sein, oder?“, fragte Selma.

      „Das ist die einzig logische Erklärung. Einer der Polizisten muss im Dienst der Feinde stehen. Daher habe ich auch keine Spur gefunden, denn alle Fährten haben sich vor dem Polizeiquartier verflüchtigt.“

      „Können wir Kommissar Laskari vertrauen?“

      „Ich kenne Laskari schon sehr lange“, sagte Labolas. „Ich glaube, er ist der Prinzessin treu ergeben, aber ...“

      „Aber?“

      „Die Zeiten sind dunkel geworden. Man kann und sollte keinem mehr trauen. Also seid vorsichtig, egal gegen wen auch immer.“

      „Das werden wir tun. Kennst du das Café Melina, in der Lisiou 22?“

      „Nein. Sollte ich?“

      „Der Ermordete hat sich die Adresse auf eine Packung Streichhölzer geschrieben. Vielleicht ist dieses Café ein heimlicher Treffpunkt.“

      „Dann werde ich dieses Café auskundschaften“, erklärte Labolas.

      „Sollen wir mitkommen?“

      „Nein, das würde auffallen, denn eure Anwesenheit in Athen scheint bekannt zu sein. Ich kann in meiner Tarnung als Schäferhund dieses Café jedoch unbemerkt auskundschaften.“

      „Einverstanden. Was sollen wir zwischenzeitlich tun?“

      „Fahrt zurück ins Hotel und wartet dort auf mich. Dann werden wir unser weiteres Vorgehen besprechen.“

      „Gut. Sei vorsichtig.“

      Labolas nickte und verschwand. Karim winkte ein Taxi heran und gab dem Fahrer die Hoteladresse.

      Während der Fahrt waren die Geschwister sehr schweigsam. Beide hingen ihren Gedanken nach. Von Zeit zu Zeit warf Karim einen raschen, fast scheuen Seitenblick auf seine Schwester. Irgendetwas schien ihn zu beunruhigen.

      „Was ist los mit dir, Karim?“

      „Ich kann es nicht sagen. Etwas stimmt hier nicht.“

      „Du hast ein ungutes Gefühl, richtig?“

      „Ja. Aber ich weiß nicht warum.“

      „Wir sollten ein paar Stunden schlafen, duschen und anschließend etwas essen. Dann sieht die Welt schon wieder hübscher aus.“

      „Vielleicht hast du recht.“

      Am Hotel angekommen, stiegen sie aus.

      „Weißt du was?“, fragte Selma auf dem Weg zur Lobby. „Gehen wir an der Hotelbar noch einen Cappuccino trinken. Was meinst du?“

      „Eine gute Idee“, antwortete Karim. „Ich könnte jetzt einen starken Kaffee gebrauchen.“

      Sie fuhren mit dem Lift zum Dachgarten hinauf, wo sich die Hotelbar befand. Es war herrlich, die Sonne über Athen aufgehen zu sehen, ein orangefarbener Feuerball hinter dem hellvioletten Dunst.

      Einige Touristen saßen in leichter, sommerlicher Kleidung an den kleinen Tischen.

      Selma bestellte zwei Tassen Cappuccino.

      „Wenn man hier ist, könnte man glauben, man sei im Paradies. So völlig anders als in unserer Heimat“, meinte Selma und schloss die Augen.

      „Aber etwas stimmt hier nicht, ich kann es spüren“, erwiderte Karim und blickte sich rastlos um.

      „Kann es sein, dass du dir Sorgen um Faizah machst?“

      „Das mache ich mir ständig. Sie ist so weit weg, und ich kann sie nicht beschützen.“

      „Die Familien machen das. Du kannst dich auf Vater und unseren Bruder verlassen.“

      Karim stand von seinem Stuhl auf.

      „Was ist?“, erkundigte sich Selma.

      „Ich gehe kurz zur Rezeption, vielleicht wurde eine Nachricht für uns hinterlassen.“

      „Mach das. Ich genieße hier noch etwas die aufgehende Sonne.“

      Karim verließ die Hotelbar. Mit dem Lift fuhr er hinunter zum Empfang. Es waren keine Nachrichten hinterlassen worden.

      In einem der tiefen, ledernen Sessel saß ein untersetzter südländisch aussehender Mann in einem unauffälligen, hellen Anzug und blätterte in einem Life-Magazin.

      Karim spürte seinen Blick im Rücken erst, als er von der Rezeption wieder zum Fahrstuhl zurückging. Der Lift war besetzt. Der zweite ebenfalls. Er musste warten.

      Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Mit einem Ruck drehte er sich um. Der Südländer hatte das Magazin gesenkt und sah Karim an. Seine Augen waren ungefähr so ausdruckslos wie die eines Reptils. Sie schienen flach und ohne lebendige Tiefe zu sein und hatten jenen matten Schimmer, den man in den starren Augen einer Schlange oder Eidechse erkennen kann.

      Langsam hob er das Magazin wieder und schien sich darin zu vertiefen. Aber sein Blick hatte Karim gegolten, dessen war sich Karim sicher. Er verspürte auf einmal das Gefühl, dass der Fremde seinetwegen hier .

      Als er vorhin mit seiner Schwester hereingekommen war, hatte der Mann noch nicht in diesem Stuhl gesessen – darauf hätte Karim jeden Eid leisten können.

      Schnurrend kam der Lift herunter. Die Etagenziffern leuchteten auf, dann sah er durch das Glas der Tür den Fahrstuhl herabgleiten, und das Summen erlosch. Die Tür öffnete sich. Irgendwelche Leute strömten heraus und gingen an ihm vorbei, ohne dass er ihnen Beachtung schenkte.

      Mit einem blitzschnellen Schritt war er im Innern des Fahrstuhles. Der untersetzte Fremde war wieselflink aus dem Sessel hochgekommen und näherte sich dem Lift, in dem sich Karim befand. In dem Augenblick, als er die Hand nach dem Knopf ausstreckte, drückte Karim die Dachgartentaste. Summend schlossen sich die Türen und der Lift fuhr nach oben. Der Fremde verschwand aus seinem Sichtfeld.

      Karim fuhr zum Dachgarten hinauf, dann stieg er aus und ging zu Fuß zum dritten Stockwerk hinunter. Die Tür des Lifts hatte er mit einem Metallständer blockiert.

      Der dicke, federnde Treppenbelag dämpfte seine Schritte bis zur absoluten Lautlosigkeit. Karims Zimmer lag im dritten Stockwerk und hatte die Nummer 327. Es war die dritte Tür von der Treppe her.

      Der Korridor war leer.

      Lautlos ging er zur Tür und presste sein Ohr gegen den schmalen Schlitz zwischen Tür und Türstock.

      Er hielt den Atem an.

      Drinnen war alles still.

      Schon wollte er zur Treppe zurück, als sein Blick auf die Türschwelle fiel. Die Tür schloss mit der Schwelle nicht ganz genau ab. Da der Korridor selbst nur matt erleuchtet war, sah er Licht herausdringen.

      Als er das Zimmer am vergangenen Abend verlassen hatte, waren die Jalousien unten gewesen. Absolute Dunkelheit hatte im Zimmer geherrscht. Die Magnet-Zimmerkarte hatte er nicht abgegeben. Diese befand sich in seiner Jackentasche.

      Irgendjemand musste in sein Zimmer eingedrungen sein!

      Von oben hörte er das Schließen der Lifttür, jemand hatte die Blockade entfernt. Dann erklang das leise Summen, mit dem der Fahrstuhl nach unten glitt.

      Jetzt konnte es nur