Andreas Parsberg

Im Zeichen des Ares


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Zimmer zurück. Nachdem er ein paar Sekunden lang nachdenklich auf den Fremden auf dem Teppich gestarrt hatte, nahm er sein Handy aus der Jackentasche und schrieb Selma eine SMS. Er bat die Schwester, sie solle unverzüglich in sein Zimmer kommen.

      Als Nächstes wählte er die Nummer von Kommissar Laskari. Ein paar Sekunden später meldete sich eine müde Stimme: „Ja, bitte?“

      „Hallo, Kommissar. Hier spricht Karim Al Sayed. Ich bin in meinem Zimmer im Delta Hotel. Wenn Sie noch nicht gegessen haben, dann kommen Sie hierher. Ich möchte Sie gern einladen.“

      „Soll das ein Witz sein?“, fragte der Kommissar zurück.

      „Sie werden es nicht bereuen, wenn Sie kommen“, versprach Karim. „Ich serviere Ihnen unbekanntes Fleisch am Spieß.“

      „Wie bitte?“

      „Spaß beiseite. Ich habe hier einen Toten in meinem Zimmer liegen. Sie sollten schnellstmöglich kommen, Kommissar.“

      Karim beendete die Verbindung. Es würde nicht lange dauern und der Kommissar würde mit seinem Stab angeschwirrt kommen. Es klopfte. Selma stand vor der Tür. Karim ließ die Schwester eintreten und erzählte in knappen Worten das Vorgefallene.

      Anfangs war Selma schockiert, machte sich Vorwürfe, dem Bruder nicht beigestanden zu haben, beruhigte sich aber schnell wieder. Die Geschwister waren durch den Bürgerkrieg abgehärtet, etwas Blut brachte die beiden nicht aus der Ruhe.

      „In einigen Minuten wird Kommissar Laskari hier sein“, sagte Karim.

      „Du hast ihn bereits angerufen?“

      „Ja. Über kurz oder lang hätte er es sowieso erfahren.“

      „Hoffentlich wirst du keinen Ärger bekommen, Karim!“

      „Der Kommissar wird das schon regeln. Die Prinzessin hat ihm doch den Auftrag erteilt, seine schützende Hand über uns zu halten.“

      Karim drehte den toten Unbekannten auf den Rücken. Selma sah schweigend zu, wie er seine Taschen durchsuchte.

      Es war nichts darin zu finden, was die Geschwister weiterbringen könnte. Er trug ein kleines Notizbuch in der Tasche, aus dem ein paar Blätter herausgerissen waren. Nur eine griechische Adresse fand er darin. Er notierte diese in seinem eigenen Notizblock.

      Karim wollte das Buch schon zuklappen, als ihm zwischen den letzten Blättern etwas in die Hand glitt. Es war eine kleine Tüte, nicht größer als eine Zuckerpackung, die man zu einer Tasse Kaffee gereicht bekam. Sie hatte keinen Aufdruck. Plötzlich fiel Karim ein, wo er eine ähnliche Tüte schon einmal gesehen hatte: Bei den Habseligkeiten des Mannes, der vor der Polizeizentrale umgebracht worden war.

      Er öffnete die kleine Tüte. Sie schien mit Zucker gefüllt zu sein. Er befeuchtete seine Fingerspitze und nahm etwas von dem Pulver auf, steckte es in den Mund und probierte den Geschmack. Bitter, registrierte er in Gedanken.

      „Was ist das?“, erkundigte sich Selma.

      „Ich bin kein Drogenexperte“, antwortete der Bruder. „Aber ich würde auf Heroin oder Kokain tippen.

      Er faltete das Tütchen wieder zusammen und blätterte weiter im Notizbuch. Er fand Silberpapier, hauchdünne Metallfolie, wie man es zum Einwickeln von Schokolade benützt. Streichhölzer hatte er schon vorher bei dem Toten gefunden. Es war eindeutig die Ausrüstung, die man benötigte, um Heroin zu rauchen. Das Rauschgift selbst, die Metallfolie und Feuer. Alles, was man tun musste, war, ein wenig Heroinpulver auf die spitz gefaltete Folie schütten und ein brennendes Streichholz darunterhalten. Der Süchtige atmet den emporsteigenden Heroinqualm ein und absorbiert das Gift durch die Nasenschleimhaut.

      Es ist ein teuflisch einfacher Vorgang, der sich den polizeilichen Zugriffen praktisch dadurch entzieht, dass er überall vorgenommen werden kann, selbst in einer stillen Ecke einer Toilette. Der Süchtige trägt alles, was er braucht, um seine mörderische Sucht zu befriedigen, immer bei sich.

      Vorsichtig packte er die Sachen wieder zwischen die Blätter des Notizbuches.

      „Es würde mich interessieren, wer dieser Mann war.“

      Selma zuckte mit den Schultern. „Ein Mörder, den man dir auf den Hals geschickt hat, Karim. Die Frage ist nur, warum?“

      6

      Kommissar Laskari, Selma und Karim standen in der Nähe des Fensters, als das letzte Blitzlicht flammte. Der Pathologe der Mordkommission hatte inzwischen alles getan, was zu tun war, und wusch sich im Badezimmer die Hände.

      Der unbekannte Tote wurde auf eine Tragbahre gelegt, mit einem Tuch zugedeckt und hinausgetragen. Alles, was zurückblieb, war ein großer Blutfleck auf dem Teppich.

      Laskari hatte sich auf den Fenstersims geschwungen. Eine Zigarette hing zwischen seinen Lippen. Seine spitzen Knie hätten in einer anderen Situation lächerlich gewirkt.

      „Es gibt kaum eine Möglichkeit, herauszufinden, wer der Mann war. Wir haben eine Verbrecherkartei, sind auch mit Interpol verbunden. Aber durch die Flüchtlingswellen nach Griechenland hat die Datenbank Lücken wie ein mottenzerfressener Damenpullover. Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden haben Sie viel Glück gehabt, Karim. Die Prinzessin hatte recht mit der Annahme, dass Sie in Gefahr sind. Wir sollten besser auf Sie und Ihre Schwester aufpassen. Ich werde mir diesbezüglich Gedanken machen.“

      An der Tür zum Hotelzimmer tauchte Labolas auf. Er sah Karim mit einem besorgten Lächeln an, dann zog er die Augenbrauen hoch und nickte ganz leicht mit dem Kopf. Es war eine kaum merkliche Bewegung, aber sie sagte alles.

      „Entschuldigen Sie mich“, bat Karim und ging zur Tür. Die Polizisten ließen ihn auf einen stummen Wink des Kommissars durch. Karim trat zu Labolas.

      „Na, was gibt es Neues?“, erkundigte sich Karim und zog den Gefährten aus der Hörweite der Uniformierten.

      „Ich war im Café Melina und habe mit dem Besitzer gesprochen. Er machte auf mich einen verdächtigen Eindruck, so, als würde er etwas verbergen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass er die Hände im Spiel hat. Er heißt Georgios Karamanlis. Aber es wird schwer sein, ihn zum Sprechen zu bringen, denn hier fürchtet sich jeder vor Thaz Laraanji, dem Statthalter von Athen.“

      „Was hast du herausbekommen? Was für Menschen verkehren in diesem Café?“

      „Ich habe erzählt, dass ich einen Neffen von mir suche, der vor wenigen Tagen mit einem Schlauchboot aus der Türkei kam und die Balkanroute in Richtung Deutschland nehmen wollte. Georgios Karamanlis und ich haben etwas zusammen getrunken. Aber seine Angst ist so groß, dass sie ihm selbst dann den Mund versiegelt, wenn er nicht mehr nüchtern ist.“

      „Kann ich gut verstehen. Seine Freunde sind nicht sehr wählerisch mit ihren Mitteln. Ich werde mir mal dieses Café selbst ansehen.“

      „Du solltest aber ohne Selma dort hingehen.“

      „Warum?“

      „Es handelt sich um eine von Männern dominierte Gruppe. Frauen werden nicht als vollwertige Gesprächspartner angesehen.“

      „Ich verstehe“, meinte Karim und dachte daran, dass es in seiner syrischen Heimat nicht anders ist.

      „Du solltest allein dort auftauchen und den Mann darum bitten, deine Familie aus der Türkei nach Griechenland zu schmuggeln.“

      „Du glaubst, er hätte die Mittel und Wege dazu?“

      „Wenn nicht er selbst, dann kennt er die Personen, die das können. Und genau diese Kontakte suchen wir, denn sie führen dich zu Thaz Laraanji, der als einträglichen Nebenjob einen Schleuserring von der Türkei nach Griechenland unterhält.“

      „Gut. Ich werde ihn bitten, meine schwangere Frau aus der Türkei nach Athen zu schmuggeln.“

      „Du brauchst dazu viel Geld für diesen Schlepper.“

      „Ich