Melissa Jäger

Raetia


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wie die Blüten und Beeren.“ Sie nahm die nächste Tüte. „Das sind Palmzweige, hierin sind Olivenblätter und getrocknete Früchte des Olivenbaumes. In diesem Wurzelstücke…“ sie stockte, hielt die Nase näher an die Tüte und grübelte.

      Claudius gab ihr einen Hinweis. „Elvas, auf den Tüten sind die Buchstaben der Inhaltsstoffe markiert. Vielleicht hilft dir das?“

      Die Obstetrix besah sich die umkreisten Buchstaben, und auch Alpina blickte ihr über die Schulter.

      „Aconitum!“, rief die Tochter aufgeregt. „Das steht auch in der Rezeptur!“

      „Ja,“ Elvas nickte, „das stimmt! Das ist die Wurzel des Eisenhutes, ein starkes Gift!“

      Alpina deutete auf die letzte verbliebene Tüte. „Diese müsste dann Hirschhorn enthalten“, sagte sie. „Nun fehlt nur noch das Rosenwasser, dann ist die Rezeptur komplett.“ Sie sah Claudius fragend an.

      „Das Rosenwasser war dabei. Ich habe es nicht mitgenommen, denn ich konnte es eindeutig identifizieren. Wofür ist diese Rezeptur?“

      Elvas runzelte die Stirn. „Eine eigenartige Rezeptur. Ich glaube nicht an eine medizinische Rezeptur. Da passt zu wenig zusammen. Wenn du mich fragst, Claudius, ist das eher eine magische Rezeptur. Was steht denn dabei, wie es verarbeitet werden soll?“, fragte sie ihre Tochter.

      Alpina las die Anleitung laut vor und endete mit dem Satz: „Gib deinem Mann davon zwanzig Tage lang dreimal einen gehäuften Löffel voll, und der Erfolg wird dich überzeugen!“

      Elvas schmunzelte. „Es scheint eine magische Rezeptur zur Steigerung der Manneskraft zu sein, wenn du weißt, was ich meine, mein lieber Claudius.“ Sie zwinkerte ihm zu.

      „Unter Verwendung von Aconitum? Das ist doch ein starkes Gift, oder?“

      „Eisenhut kann, vor allem lokal aufgetragen, durchaus die sexuelle Erregung steigern, doch das ist natürlich gefährlich. Wie du weißt, ist Aconitum als Gift auf Pfeilen, Messern oder Schwertklingen absolut tödlich. Alle Teile der Pflanze sind giftig, vor allem die Wurzel. Da aus dieser Rezeptur wohl eine Art Brei hergestellt und dann eingenommen werden soll, ist die Giftwirkung nicht zu unterschätzen. Dennoch denke ich, dass der Zweck der Mischung nicht die Vergiftung der einnehmenden Person ist. Myrte ist eine venerische Pflanze, aber zudem eine Blume der Artemis. Sie steht für Jugendlichkeit. Auch der Olivenbaum soll bis ins hohe Alter körperliche Beweglichkeit fördern. Hirschhorn dient in jedem Fall der männlichen Potenz – das ist Symbolmagie! Rosenwasser ist der Venus heilig. Nur mit den Palmblättern kann ich nicht so viel anfangen. Das Öl aus den Palmfrüchten kann man auftragen – es soll wahrscheinlich erotisierend wirken. Vielleicht ist es doch ein Rezept für eine Einreibung? Wenn du mich fragst, ist dies eine Mischung, die einem älteren, etwas lendenschwachen Mann zu neuen Liebesfreuden verhelfen soll. Vielleicht sollte das Gift in der Rezeptur den Reiz des tödlichen Abenteuers verschaffen? Wer weiß?“

      Claudius nickte. „Du meinst also nicht, dass es als Mittel zur schleichenden Vergiftung eines untreuen Ehemannes gedacht war?“

      Elvas wiegte den Kopf. „Natürlich ist das möglich! Eine sehr hinterhältige Methode! Ein tödliches Gift in geringer Dosierung in ein Potenzmittel verpackt zu verabreichen … das wäre allerdings perfide!“

      Claudius hielt der Obstetrix eine der Tüten mit der interessanten Methode der Beschriftung hin.

      „Weißt du, aus welcher Quelle diese Kräuter und wohl auch die Rezeptur stammen könnten?“

      Elvas Lächeln verschwand. „Zum einen müssen Kräuter und Rezeptur nicht aus einer Hand stammen, und zum anderen würde ich dir das nicht verraten. Du weißt, dass auf Hexerei und Giftmischerei die Todesstrafe steht. Ich werde dir nicht verraten, wer diese Rezeptur verfasst oder wer die Kräuter verpackt hat, selbst wenn ich es wüsste.“

      Der Ritter konnte die Obstetrix verstehen. „Meinst du, das magische Bleitäfelchen, das Essimnus unter seinem Bett gefunden hat, stammt aus derselben Quelle?“

      Elvas sah ihm in die Augen und zog die Augenbraue hoch.

      „Möglich. Aber so ein Bleiplättchen kann jeder herstellen. Ist irgendeine Besonderheit daran zu erkennen?“

      „Ja!“, Claudius nickte überrascht. „Auf der Rückseite sind griechische Buchstaben eingeritzt, während der Fluch auf Latein geschrieben ist. Aber die Buchstaben ergeben keinen Sinn, ich konnte den Text nicht übersetzen!“

      Elvas nickte lächelnd. „Das ist nicht ungewöhnlich. Vielfach sind es nur magische Symbole, entweder stehen sie für Zahlen, also für ein Datum oder eine magische Zahl oder für die Anfangsbuchstaben einer magischen Formel. Es muss nicht einmal sein, dass die Person, die sie verfasst hat, griechisch kann. Vielleicht hat sie nur die Buchstaben abgeschrieben. Zaubersprüche existieren tausendfach, ohne dass sie immer eine logische Bedeutung haben. War das Täfelchen gerollt oder gefaltet?“

      „Nein!“ Claudius schüttelte den Kopf.

      „Merkwürdig! In der Regel werden die Fluchtäfelchen gefaltet oder um einen Knochen gewickelt. Es ist vielleicht nur vorbereitet worden, aber nie zum Einsatz gekommen.“

      Alpina lauschte interessiert. Es war ihr anzusehen, dass sie mit dieser Art der Magie noch nie in Verbindung gekommen war. Claudius, der merkte, dass Elvas in diesen Dingen erfahren zu sein schien, bohrte weiter: „Ist es nicht üblich, die Fluchtäfelchen in Gräbern oder Tempeln zu deponieren oder in der Erde eines Begräbnisplatzes, einer Hinrichtungsstätte oder einer Gladiatorenarena zu vergraben?“

      „Durchaus!“, bejahte Elvas. „Vielleicht sollte es sich zunächst noch mit der Energie des Menschen verbinden, den der Fluch treffen sollte, bevor es den Dämonen und Göttern der Unterwelt übergeben wurde. Oder es handelt sich um eine Falle, eine Fälschung, nur um die arme Caecina in Misskredit zu bringen.“

      Claudius nickte. „Ich kenne die Gerüchte, aber es dürfte schwer werden für Caecina, eine Hinterlist nachzuweisen. Übermorgen werden sich die beiden Parteien mit ihren Advocaten vor dem Propraetor treffen, und Rufus wird in der Vorverhandlung darüber entscheiden, ob es einen Prozess vor dem Geschworenengericht geben wird. Da vor der Abreise des Statthalters in die germanischen Provinzen kein weiterer Gerichtstag angesetzt ist, wird die Hauptverhandlung wohl erst nach der Reise stattfinden. So bleibt beiden Parteien noch Zeit, um Beweise oder Entlastungszeugen zu finden. Ich danke euch jedenfalls sehr herzlich für eure Hilfe!“

      Sein letzter langer Blick galt Alpina, die ihn mit einem schüchternen Lächeln erwiderte.

      ***

      Caius ergatterte beim Festmahl am Abend nach dem Wagenrennen einen Platz neben dem Tribun der Prätorianer, die den kaiserlichen Legaten begleiteten. Licinius Gracchus war ein römischer Ritter, der sich im Daker-Feldzug durch Tapferkeit hervorgetan hatte. Der Centurio fragte ihn nach dem ehemaligen Statthalter Raetias, Titus Flavius Norbanus, inzwischen Finanzprocurator in der Provinz Britannia, den der Kaiser als neuen Präfekt für die Prätorianer vorgesehen hatte. Gracchus sah Caius ein wenig unsicher an. Er schien sein Gegenüber mit Blicken abzutasten, um auszuloten, ob Caius ein Vertrauter des ehemaligen Statthalters gewesen war. Er entschied sich für eine diplomatische Antwort.

      „Nun, bei so eingefleischten Elitesoldaten wäre es sicher leichter, wenn er eine wirkliche Soldatenkarriere vorweisen könnte und nicht nur bei einem Putschversuch den Thron des Kaisers gerettet hätte. Doch die Person des Kaisers ist für die Prätorianer seit jeher wichtig, und ein loyaler Freund unseres Kaisers wird selbstverständlich unterstützt werden.“

      Caius nickte. „Ich habe gehört, dass der neue Palast des Kaisers sehr gelobt wird. Er soll sehr schön und monumental geworden sein.“

      „Oh ja!“ Gracchus Augen glänzten. „Alle bewundern die Domus Flavia! Aber sie ist noch lange nicht fertig. Vor allem die Privaträume der Domus Augustana sind noch eine große Baustelle.“

      Caius war nur als junger Mann einige Male in Rom gewesen. Seitdem hatte er immer Einsätze in den Provinzen gehabt, und in Raetia war er nun bereits seit mehr als fünfzehn Jahren. Er kannte