Melissa Jäger

Raetia


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      ***

      Claudius war an diesem Tag ein gefragter Mann. Nach dem Beschluss, Caecina im Haus des Centurios Achilleus unterzubringen, mussten die notwendigen Papiere ausgestellt werden. Kaum war er damit fertig, kam der Advocatus des Essimnus, um sich die Beweismittel näher anzusehen. Er machte sich Notizen, um später die Anklagerede ausarbeiten zu können.

      Claudius war noch nicht wieder zum Wegräumen gekommen, als der Advocatus von Caecina in Begleitung ihres Sohnes erschien. Er würde die Mutter des jungen Mannes unterstützen. Natürlich wollte auch er die Beweisstücke begutachten. Cnaeus, der Sohn der Angeklagten Caecina, war tief besorgt. Claudius und der Advocatus unterhielten sich lange über die Erkenntnisse, die der Adiutor des Ädils bei seinen Investigationen gesammelt hatte. Er berichtete von Elvas Kräuterkenntnissen und ihren Aussagen bezüglich der vermutlichen Wirkung des Kräutergemischs, das sich anhand der Rezeptur herstellen ließ. Iulianus nickte interessiert. Er war sich sicher, dass die Gattin des ehemaligen Quaestors einer Intrige zum Opfer fallen sollte, befürchtete aber, dass er nicht in der Lage sein würde, eine Verurteilung zu verhindern. Er bat den Ritter: „Claudius, du musst mir helfen, diese Kräuterhexe zu finden. Das ist die einzige Chance, Caecinas Leben zu retten!“

      Claudius war nicht wohl zumute bei der Aussicht, die Frau ans Messer zu liefern, die Elvas und Alpina zu schützen versuchten, auch wenn er sich, wie Iulianus, ebenso sicher war, dass die Frau des Essimnus unschuldig war. Er atmete tief durch.

      „Gut, wir wollen es versuchen! Wo sollen wir deiner Meinung nach anfangen?“

      Der Advocatus zuckte die Achseln. „Was schlägst du vor?“

      „Ich denke, wir sollten uns durchfragen nach Kräuterläden oder Händlern, die Kräuter auf dem Markt verkaufen. Dann kaufen wir etwas und sehen, wie sie die Tüten beschriften. So können wir herausfinden, welcher Laden der Richtige ist. Ob der Besitzer allerdings auch das Fluchtäfelchen hergestellt hat, wird sich so nicht beweisen lassen.“

      Iulianus klopfte Claudius auf die Schulter. „Ich danke dir, Claudius, danke!“

      Sie verließen das Praetorium und begannen, die Menschen nach Kräuterläden zu fragen sowie die Marktstände auf dem Lebensmittelmarkt und die Läden rund um das Forum abzuklappern. Neben einer Gemüsehändlerin, die auch Küchenkräuter verkaufte, wurden ihnen der Laden des Soterichus und ein Geschäft in der Nähe der Frauentherme genannt, das von einer Ägypterin betrieben wurde.

      Die Gemüsehändlerin entpuppte sich als falsche Adresse, sie verkaufte ausschließlich Gewürzkräuter. Soterichus‘ Laden konnten sie ebenfalls links liegen lassen. Claudius wusste, dass der Luxuswarenhändler Stoffsäckchen und unbeschriebenen Papyrus minderer Qualität zum Verpacken seiner Kräuter benutzte. Also machten sie sich auf den Weg in die Via Thermae Feminarum.

      Der Laden der Ägypterin war von außen eher unscheinbar. Ein paar Körbe mit getrockneten Beifußstängeln und immergrünen Zweigen sowie Buchsbaumbündeln für Kränze und Girlanden kündeten von ihrem Gewerbe. Das Schild über der Tür trug den Namen “Sitres Wunderladen“.

      Ein Glöckchen über der Tür klingelte hell, als sie den vollgestopften Laden betraten, und Claudius ahnte sofort, dass sie hier richtig waren. Interessiert betrachtete er die Votivfiguren, Amulette, Kerzen und Lampen, die Kräuterkisten und Säcke, die an den Wänden in Regalen und am Boden des Ladens ausgestellt waren.

      Der dunkle, schwere Vorhang, der den Verkaufsraum von weiteren Räumen des Hauses trennte, bewegte sich und eine Frau erschien. Dem Ritter verschlug es förmlich den Atem, als er die stark geschminkte Frau sah, die ein wenig wie eine in die Jahre gekommene ägyptische Pharaonin wirkte. Sie lächelte freundlich und entblößte ein schlechtes Gebiss.

      „Oh, meine edlen Herren!“ Sofort hatte sie an der purpurgestreiften Toga beider Männer erkannt, dass sie es mit Rittern der römischen Oberschicht zu tun hatte. „Was kann ich fürr Euch tun?“

      Sie hatte sich, wie es die Höflichkeit gebot, an den Älteren der beiden gewandt, an Iulianus. Der blickte sich hilfesuchend nach Claudius um. Der junge Ritter räusperte sich.

      „Werte …“, er machte eine Pause und wartete, bis die Frau ihren Namen ergänzte.

      „Sitre, verehrter Ritter!“, säuselte sie.

      Claudius setzte neu an. „Werte Sitre, wir haben ein etwas delikates Anliegen…“, erneut machte er eine Kunstpause. Sie lächelte und zwinkerte ihm zu.

      „Ich ahne schon, um was es geht. Ist es fürr Euch oder fürr Euren Frreund hier?“, fragte sie mit einem süffisanten Lächeln.

      Claudius runzelte die Stirn. „Macht das einen Unterschied?“

      Die Metallplättchen an den Zöpfen ihrer Perücke klimperten, als sie nickte.

      „Ihr werdet vermutlich eherr unterr einerr Form von Errschöpfung durch den ausgiebigen Genuss derr Liebe leiden, Euerr Frreund braucht vielleicht eherr etwas zurr Steigerrung des Liebesvermögens, wenn Ihr wisst, was ich meine?“

      Sie zwinkerte Iulianus zu, der bis in die Haarspitzen hinein errötete. Claudius kam zum Geschäftlichen zurück. „Was habt ihr denn da so zu bieten, Sitre?“

      Die Ägypterin mit dem schnarrenden Latein beugte sich ein wenig vor. Ihre dunklen Augen blitzten, als sie fragte: „Soll es zum Einreiben sein oder ein Trank?“

      Claudius antwortete mutig: „Vielleicht beides? Wirken nicht beide gemeinsam umso besser?“

      Sie nickte eifrig. „Sicherr, mein edlerr Herr! Da könnte ich den „Trank zur Förderung des Coitus“ zusammen mit einer „Salbe zur Steigerung des Liebesvermögens“ empfehlen.“

      Sitre wirkte nun ganz wie eine Geschäftsfrau. Erwartungsvoll musterte sie Claudius, der sogleich zur Gegenfrage ansetzte. „Was ist denn da so enthalten?“

      Die Ägypterin verzog verächtlich den Mund. „Ich werde Euch nicht alle Geheimnisse meinerr Kunst verraten, aberr in dem Trank sind Morcheln und die Samen derr Pinie enthalten sowie Ingwerr und einige Kräuter, die vorr allem Männern gut tun. Die Namen würden Euch ohnehin nichts sagen. Die Salbe enthält ebenfalls Ingwerr sowie Pfefferr und Blütenblätter diverrserr Blüten. Außerrdem die Blase eines Schakals, die ich eigens aus Aegyptus kommen lasse. Das hat natürrlich seinen Prreis, edler Herr!!“

      Sie sah Claudius streng an, und es schien, als wolle sie nicht mehr preisgeben. Er biss sich auf die Lippen. Das war nicht das Rezept, das auf dem Papyrus gestanden hatte. Also startete er einen letzten Versuch.

      „Wie ist es, wenn derjenige, der die Rezeptur einnimmt, bereits ein wenig… sagen wir sexuell geschwächt ist?“

      Sitre zog die Augenbrauen hoch. Aber auch die Zusammensetzung des Trankes gegen Impotenz, den sie ihm nun offerierte, enthielt kein Aconitum. Also bat Claudius die Ägypterin um den „Trank zur Förderung des Coitus“, und Sitre nahm die Ingredienzien aus den vielen Kisten, Säcken und Tontöpfen. Sie wog sie mit einer Handwaage ab. Aus einem Stapel zurechtgeschnittener Papyrusblätter faltete sie einige Tüten und markierte auf der Vorderseite einzelne Buchstaben mit einem Kreis.

      Ja! Claudius triumphierte. Sie war die Gesuchte! Als Sitre die Kräuter in den Tüten verstaut hatte, fragte der Ritter unschuldig: „Was bedeuten die Kreise auf der Tüte?“

      Sie sah nicht auf, sondern fuhr unbeirrt mit ihrer Arbeit fort. „Das sind die Namen der Kräuter. Ich gebe Euch anschließend eine Rrezepturr, wie Ihr sie verwenden und zuberreiten müsst. So könnt Ihr errkennen, in welcherr Tüte welche Zutat zu Eurem Trrank ist.“

      Claudius lächelte und bedankte sich. Er warf dem Advocatus einen triumphierenden Blick zu. Als sie die Tüten beschriftet und befüllt hatte, nahm Sitre ein unbeschriebenes Blatt Papyrus und schrieb die Rezeptur auf. Der Zettel sah genauso aus wie der, den Essimnus als Beweismittel angeschleppt hatte. Die Ägypterin sah Claudius erwartungsvoll an.

      „Brraucht Ihr noch etwas? Eine Salbe, eine aphrodisische Rräucherrung, einen Badezusatz oder ein Phallusvotiv, um es an den Zaum Eures Pferrdes zu