Melissa Jäger

Raetia


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dann lächelte sie mit ihren schwarzen und schiefen Zähnen.

      „Ich? Wo denkt Ihr hin, mein Herr? Das ist doch verrboten!“

      Der Adiutor des Ädils nickte verständnisvoll.

      „Entschuldigt die Frage. Nun gut, fürs Erste soll mir das genügen! Was bekommt Ihr dafür?“

      Sie nannte eine stolze Summe, und Claudius zog seinerseits die Augenbrauen hoch. Sirte versicherte ihm schnell, dass ihm mit diesem Trank die Vereinigung mit jeder gewünschten Partnerin gelingen werde und das Gebräu jedes Ass wert sei. Seine sexuellen Leistungen würden eine ungeahnte Steigerung erfahren.

      Der Ritter zahlte den verlangten Betrag und bedankte sich. Dann verließen beide Männer den Laden, begleitet vom Gebimmel des Türglöckchens, das an der Spitze eines überdimensionierten Penis eines bronzenen Priapus über der Tür hing.

      ***

      Claudius kam zu spät zum Festgelage zu Ehren der Anna Perenna. Er war nach dem erkenntnisreichen Besuch bei der Ägypterin mit dem Advocatus in die Forumstherme gegangen. Dort hatten sie über die gewonnenen Erkenntnisse diskutiert, und Iulianus hatte im Kopf bereits seine Verteidigungsrede vorbereitet. Er würde in jedem Fall versuchen, die Anklage wegen Giftmischerei und Hexerei auf die Ägypterin abzuwälzen. Die Beweisführung sah gut aus, zumindest was die Tüten mit den Kräutern und die Rezepturen betraf. Was das Fluchplättchen anging, hätte er noch mehr Zeit für weiterreichende Nachforschungen haben müssen. Vielleicht hätten sie die Ägypterin mit einer Anschuldigung überraschen sollen? Da sie Claudius keine Bleitafel ausgestellt hatte, konnten sie nicht beweisen, dass sich Sitre der Hexerei schuldig gemacht hatte. Wenn sie das abstritt, konnte es eng für die Gattin des Essimnus werden.

      All das ging Claudius durch den Kopf, als er den geschmückten Festsaal betrat. Die Luft war aufgeheizt und schwer vom Weindunst, die Stimmung bereits sehr ausgelassen. Tänzerinnen aus der Provinz Baetica tanzten leicht bekleidet. Sie begleiteten ihren Auftritt mit Kastagnettengeklapper. Caius Iulius Achilleus winkte ihm von einer bequemen, mit Kissen gepolsterten Kline zu, die er mit dem Ädil Vindelicus teilte. Claudius bahnte sich einen Weg durch die zechenden Soldaten, die städtischen und kaiserlichen Beamten, die Tänzerinnen und Flötenspielerinnen. Noch bevor er sich einen Klappstuhl organisieren konnte, war bereits ein hübscher, junger Sklave an seiner Seite, der ihm eine silberne Trinkschale reichte und aus einem Mischkrug Wein ausschenkte. Achilleus und Vindelicus prosteten dem Ritter zu.

      „Du bist spät dran, mein lieber Claudius!“, lallte der Centurio mit schwerer Zunge. „Wo du doch noch so jung bist, musst du dich jetzt aber ranhalten!“

      Er lachte scheppernd und winkte dem Sklaven, um sich nachschenken zu lassen.

      Als der Ritter bei seiner dritten Trinkschale angelangt war, kam die Theatertruppe des Statthalters. Glycera war wie immer eine Augenweide. Man spielte den Mythos der Anna Perenna. Glycera spielte Minerva, Chloe die alte Anna Perenna. Entsetzt betrachtete Claudius Chloe. Sie sah aus wie ein Schatten aus dem Totenreich. Die ehemals so schöne Dienerin Glyceras war abgemagert. Dunkle Ringe zeigten sich unter ihren Augen und die Wangen wirkten leer und hohl. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, als könne sie nicht fokussieren. Was war mit Chloe los? Obgleich sie geschminkt war und die Haare kunstvoll zu einer griechisch anmutenden Frisur drapiert trug, wirkte sie wie eine leere Hülle. Sie schien ihre Reize, ihre Persönlichkeit verloren zu haben. Den Applaus der Versammelten nahm sie völlig teilnahmslos hin.

      Die Musiker spielten wieder, und die ausgelassenen Gäste begannen, die Schauspielerinnen zum Tanzen aufzufordern. Lachend bewegten sie sich im Reigen, sie sangen, und die Männer rissen zotige Witze. Claudius wurde vom Ädil in die Reihe der Tänzer gezogen. Bei der Seitwärtsbewegung in Schlangenlinien durch den Raum kam der Ritter Chloe einige Male sehr nahe. Sie mied jeden Blick in die Augen der anderen Tänzer, wirkte wie betäubt. Ein einziges Mal schien sie aus ihrem Zustand zu erwachen, als ihr Tanznachbar die Hand in ihre hochgeschlitzte Tunika schob und offensichtlich ihre Scham zu erreichen suchte. Entsetzt starrte sie den Mann an, der zum Gefolge des kaiserlichen Legaten gehörte, dann wand sie sich aus seinem Griff und floh aus dem Raum. Zunächst wollte Claudius ihr folgen, doch der Ädil ließ ihn nicht los, vielmehr schob er ihn zum nächsten Mischkrug und füllte erneut ihre Trinkschalen.

      Wie erwartet führte der intensive Weingenuss schnell zu enthemmtem Verhalten. Vor allem die Prätorianer schienen sich mit den Frauen amüsieren zu wollen. Sie scheuten nicht einmal davor zurück, vor allen Anwesenden eine der Tänzerinnen, Musikerinnen oder Schauspielerinnen zu sexuellen Handlungen zu nötigen. Selbst die hübschen Mundschenke waren vor Übergriffen nicht sicher. Angewidert wandte sich Claudius zum Gehen. Er hatte genug getrunken und gesehen. Als er dem Ausgangs der Basilika zustrebte, hörte er erstickte Schreie aus der Stube der Wachen. Neugierig versuchte er zu erkennen, was sich dort im Schein der Fackeln abspielte. Einer der Wächter hielt der knienden Chloe die Arme auf den Rücken, während ein anderer einen Dritten aufforderte: „Stopf ihr nur ordentlich das Maul!“

      Entsetzt musste Claudius mit ansehen, wie der so Angefeuerte der knienden Frau seinen Penis in den Mund stieß. Die erstickten Schreie der Schauspielerin heizten den Übermut der drei Männer erst recht an. Der Ritter wusste, dass er gegen drei gut trainierte Wachsoldaten keine Chance hatte. Die einzige Möglichkeit, dem Treiben ein Ende zu setzen, bestand darin, mit seiner Autorität zu überzeugen. Als er die Stube der Wachmänner betrat, hatten die Männer gerade gewechselt. Derjenige, der eben noch angefeuert hatte, stellte sich vor die hustende und würgende Schauspielerin und hob seine Tunika.

      „Los, mach schon! Du bist noch nicht fertig, Kleine!“ Sein Ton war barsch und duldete keinen Widerspruch. Unbarmherzig schob er seinen erigierten Penis in ihren zum Schreien geöffneten Mund.

      Claudius holte tief Luft. „Custodes! Habt Acht!“, rief er im Befehlston.

      Erschrocken parierten die Wächter. An Claudius purpurgestreifter Toga erkannten sie den gesellschaftlichen Rang des Mannes, der sie störte.

      „Was geht hier vor?“, fragte der Ritter ungehalten.

      Der Wächter, der Chloe festgehalten hatte, fand als erster wieder Worte.

      „Na, was wohl? Es ist das Fest der Anna Perenna, wir haben unseren Spaß, nicht wahr, Kleine? Aber ich bin sicher, die Süße hier kann Euer gutes Stück auch noch schlucken!“

      Aus Chloes Augen stürzten die Tränen. Sie rappelte sich auf und versuchte, sich mit ihrer heruntergerissenen Kleidung notdürftig zu bedecken. Claudius sah die drei Soldaten wütend an. „Ganz offensichtlich habt ihr nicht gefragt, ob sie mit euch Spaß haben will! So wie es scheint, ist der Spaß eindeutig einseitig, nicht wahr?“

      Chloe stellte sich schluchzend an seine Seite. Die Soldaten schwiegen betreten.

      „Ich glaube, es ist besser, ihr sucht euch ein Mädchen, das eure wüsten Spiele freiwillig mitmacht. Valete!“

      Das „Valete“ der Wachsoldaten klang wütend und frustriert, aber Claudius hatte erreicht, was er wollte. Er führte die Dienerin Glyceras zur Tür der Basilika.

      „Hast du keinen Mantel, Chloe?“, fragte der Ritter.

      Die Schauspielerin schüttelte den Kopf und rannte dann wortlos an ihm vorbei in die Nacht.

      ***

      Chloe rannte wie von Dämonen gehetzt zum Haus der Schauspielerin Glycera. Sogleich bereitete sie sich aus den gekauften Mohnkapseln und Wein einen Trank. Der Schreck, die Angst und der Ekel vor den Männern saßen ihr in den Knochen. Zitternd erwärmte sie den Wein mit den Mohnkapseln, und bereits als ihr der bittere Duft des Schlafmohns in die Nase stieg, beruhigte sie sich. Chloe milderte die Bitterkeit des Trankes mit Honig. Nach einer Wartezeit goss sie ihn in einen Becher und betete zu Hypnos, dem Gott des Schlafes.

      „Hypnos, du Ruhe der Welt, Schlaf, du sanftester aller Götter, Friede der Seele, den die Sorge flieht, der du streichelst die Körper, die vom harten Dienst erschöpft sind. Mach mich wieder stark und kräftig! Schenke mir eine erholsame Nacht! Hilf mir zu vergessen!“

      Dann küsste sie den Becher, und langsam, Schluck für Schluck, lief