Melissa Jäger

Raetia


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Mobiliar und Luxusgegenständen, die sie in die Provinzen mitnahmen. Diese lange Reihe einfacher Karren und Fußgänger mit und ohne Maultiere kam entschieden langsamer voran als die Soldaten mit und ohne Pferd. Das Klappern der Hufe auf dem Straßenpflaster begleitete sie den Weg vom Stadttor bis zur Brücke über den Vindo. Dort ging es in ein hölzernes Klopfen über. Schon kurz hinter den letzten Grabmälern, die die Straße nach Gontia säumten, nahm Caius den Helm und die darunter liegende Filzkappe ab und verstaute sie in einem Lederbeutel. Etappenziel war Gontia, wo sie das Nachtlager aufschlagen würden. Das Castrum dort lag verwaist, seit die Ala II Flavia in ihr neues Lager in Aquileia umgezogen war. Für den übernächsten Tag war eine Inspektion der tausend Mann starken Elitereitereinheit durch den kaiserlichen Legaten geplant. Mit einem Übungswettkampf aller am Zug beteiligten Einheiten sollte die Kampfkraft der unterschiedlichen Einheiten überprüft werden. Auch die kleine Garnisonsbesatzung des Danuviusübergangs bei Phoebiana würde teilnehmen.

      Als es zu nieseln begann, zog Caius Iulius Achilleus den Umhang aus der Satteltasche. Ein Glück, dass er Reithosen trug. So wurden die Beine nicht so kalt und nass. Mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze lauschte er dem leisen Klingeln der Glöckchen und Amulette, die am Riemenzeug seines Pferdes hingen, um jegliche Dämonen von ihnen fernzuhalten. Das gleichmäßige Klingeln begleitete das Gemurmel und Gelächter seiner Mitreiter.

      ***

      Elvas wartete bereits ungeduldig auf Alpina, die den Abzug des kaiserlichen Gesandten und ihres Vaters aus nächster Nähe beobachtet hatte. Als das Mädchen nun das Vestibül betrat, erkannte sie sofort den Ernst der Lage. Neben der Mutter stand die Frau eines Schusters aus dem Viertel am Westtor der Stadt. Diese berichtete Alpina, dass bei ihrer Schwiegertochter die Wehen eingesetzt hätten – viel zu früh. Die große, blonde Frau, die eine germanische Tracht trug, hatte nervöse, rote Bäckchen und schwitzte. Alpina fragte nicht lange, sie ging mit ihrer Mutter zurück auf die Straße. Beide folgten der Germanin zu der Schusterwerkstatt. Ein kräftiger Mann mit schütterem Haar erwartete die Frauen in der Werkstatt, durch die man auch ins Wohnhaus der Handwerkerfamilie gelangte. Ein schmaler Gang führte den kleinen Wohnraum des Hauses, das keinerlei Luxus aufwies. Die blonde Germanin steuerte auf eine kleine Kammer zu, die dem Paar offenbar als Schlafraum diente. Das Lager war mit Fellen und Decken ausgelegt. Darauf krümmte sich eine sehr junge Frau. Sie mochte wohl etwa siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein. Ihre rotblonden Haare waren in dicken Zöpfen um den Kopf gelegt, der Atem ging hektisch und stoßweise.

      „Sie spricht nicht viel Latein“, sagte die Schwiegermutter der Kreissenden mit deutlich germanischem Akzent. „Ich werde übersetzen.“

      Elvas nickte. Sie sah die schwer atmende junge Frau an und stellte die üblichen Fragen: wie viele Monde sie bereits schwanger sei, seit wann sie Wehen habe, ob Fruchtwasser oder Blut abgegangen sei und einiges mehr. Nach Aussage der Schwiegermutter war Ferun, wie sie die rotblonde Schwangere nannte, etwa im siebten Monat. Sie habe urplötzlich Übelkeit verspürt, sich erbrochen und dann heftige Bauchschmerzen bekommen. Dazu sei der Urin sehr dunkel und übelriechend und sie habe Schüttelfrost. Die Obstetrix hörte aufmerksam zu und nickte bedächtig. Dann setzte sie sich an die Bettkante und nahm die Hand der rotblonden Frau. Sie lächelte aufmunternd, während sie den Puls fühlte.

      „Sag ihr bitte, dass ich sie untersuchen muss. Sie soll keine Angst haben, es tut nicht weh!“

      Nach der Übersetzung schlug die junge Frau die Decke beiseite. Sie trug eine einfache graue Tunika mit langen Ärmeln. Die Flecken unter den Achseln ließen erkennen, dass sie geschwitzt hatte, auch wenn sie in diesem Augenblick zitterte. Elvas schob vorsichtig die Tunika hoch und tastete die Lage des Kindes ab. Dann legte sie ein Ohr auf den Bauch der Frau. Wieder und wieder wechselte sie die Position ihres Ohres, dann rief sie Alpina zu sich.

      „Liebes, versuch du es bitte! Ich kann keine Herztöne hören. Doch vielleicht sind sie nur so leise, dass ich sie nicht wahrnehmen kann. Du bist noch jung, probiere du es!“

      Alpina ließ sich neben der Frau nieder. Sie legte ihr rechtes Ohr in Höhe des Nabels an. Das gewohnte schnelle Pochen des kindlichen Herzens blieb aus. Sie konnte zwar deutlich den beschleunigten Herzschlag der Schwangeren hören, doch das Herz des Kindes schien still zu stehen. Alpina hielt den Atem an. Sie befahl ihrem eigenen Herzen Ruhe zu bewahren, um sich nicht irritieren zu lassen und versuchte erneut, sich auf das leise Klopfen eines Kinderherzens einzustellen – nichts!

      Wieder und wieder schob sie ihr Ohr an andere Stellen des gerundeten Bauches – ohne Erfolg. Totenstille. Als sie schließlich zu ihrer Mutter aufsah, wusste die längst die grausame Wahrheit: das Kind war tot.

      Elvas nickte ihrer Tochter nur schweigend zu und gab ihr durch eine Kopfbewegung zu verstehen, dass sie beiseite treten solle. Alpina überließ ihrer Mutter den Platz an der Bettkante. Elvas nahm erneut die Hand der jungen Frau, die unsicher von einer zur anderen sah.

      Mit dem Blick in die Augen der Schwangeren sagte sie ruhig und voller Mitleid: „Es tut mir sehr leid, Ferun, das Kind in deinem Bauch lebt nicht mehr! Das ist sehr traurig, ich weiß das, aber die Anzeichen sind eindeutig. Es gibt keine Herztöne mehr zu hören und auch das Fieber, das Erbrechen und die Bauchschmerzen zeigen den Tod des Kindes an. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass es so schnell wie möglich geboren wird, denn andernfalls wirst du deinem Kind ins Schattenreich folgen. Die unabwendbare, grausame Diana Lucina hält ihre Fackel bereits sehr schräg. Wenn wir nicht wollen, dass sie diese verlöschen lässt, müssen wir schnell handeln!“

      Die blonde Germanin übersetzte Elvas Worte, und die Obstetrices konnten erkennen, wie sie alle Hoffnungen des Mädchens auf einen Schlag vernichteten. Ungläubig weiteten sich die Augen der Schwangeren. Entsetzt presste sie ihre Hände auf den runden Bauch. „Nein!“, schrie sie aufgebracht. „Nein!“

      Sie schubste Elvas von sich und rief ihrer Schwiegermutter hysterisch etwas in der fremden Sprache zu. Eine Weile ging es zwischen den beiden Frauen hin und her, bevor die Ältere sich an Elvas wandte: „Versteht sie nicht falsch, werte Iulia Elvas, sie kann es nicht glauben. Lasst ihr ein wenig Zeit, es zu verarbeiten!“

      Elvas schüttelte energisch den Kopf. „Zeit haben wir nicht! Es ist schon viel zu viel Zeit vergangen! Bitte versuche sie zu überzeugen, dass wir schnell handeln müssen! Ich werde einen Trank kochen, der die Wehen verstärkt und hoffentlich die Geburt des toten Kindes auslöst, aber ich habe noch eine schlechte Nachricht: das Kind liegt quer – so kann es nicht geboren werden! Ich werde versuchen, es zu drehen und dann die Fruchtblase zu öffnen, doch ich kann nicht versprechen, dass es gelingen wird. Außerdem brauchen wir unbedingt den Medicus! Das Leben deiner Schwiegertochter hängt davon ab, dass sie die richtigen Medikamente und eine adäquate Behandlung bekommt. Das übersteigt meine Fähigkeiten als Obstetrix bei weitem!“

      Sie wandte sich an Alpina. „Bitte, Liebes, geh und hole mir den Medicus! Ich fürchte, wir schaffen das hier nicht alleine!“

      Die blonde Germanin sah Elvas streng an. „Da muss ich zunächst meinen Sohn fragen, Obstetrix! Ein Medicus verlangt viel mehr Geld, als Ihr verlangt. Wir sind nicht so reich, Iulia Elvas!“

      Elvas nickte und bat Alpina gleich mitzugehen. Sie gingen gemeinsam zur Werkstatt des Schusters. Die Frau erklärte dem nervösen Mann, worum es ging, und Alpina wartete gespannt auf seine Antwort.

      „Wenn der Medicus meine Frau retten kann, dann soll er kommen!“, entschied er.

      Alpina dämpfte seine Erwartungen.

      „Das wird auch der Medicus euch nicht versprechen können, und er wird seinen Preis verlangen, ganz gleich ob er helfen kann oder nicht. Ich kann euch nur eines sagen: wenn meine Mutter den Medicus ruft, dann nur weil es dringend ist.“

      Der Mann mit dem schütteren Haar nickte besorgt. „Ich verstehe! Geh nur und hole den Griechen!“

      ***

      Zum Glück war das Valetudinarium nicht allzu weit entfernt. Alpina hastete durch die Straßen. Sie wusste, dass sich das Gebäude im Komplex rund um die Principia der Leibgarde befand, war aber noch nie dort gewesen. Es war nicht schwer zu finden, der quadratische, flache Bau lag unweit der Diensträume ihres Vaters. Über der Eingangstür prangte ein