Melissa Jäger

Raetia


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und seinen Nachfolger, den „Herrn und Gott“ Domitianus sowie die kaiserliche Familie. Auf einen Wink hin stand der Advocatus Gallus auf und brachte seine Anklage zu Gehör. Seine Worte wurden begleitet vom zustimmenden Nicken des Sevirs und ehemaligen Quaestors, Publius Tenatius Essimnus. Gallus wies auf die präsentierten Beweisstücke hin, die in der Hauptverhandlung eine entscheidende Rolle spielen sollten. Der Schreiber kritzelte eifrig auf seine Wachstafeln. Nun war die Verteidigung an der Reihe. Caecina und ihr Advocatus hatten sich darauf geeinigt, dass zunächst Caecina ihre Unschuld beteuern sollte, und dass der Iulianus danach die wichtigsten Punkte der Verteidigung zusammenfassen würde. Dabei würde er auch die Kräuterfrau ins Spiel bringen.

      Caecina stand auf. Die Tränen musste sie nicht hervorpressen, sie liefen ganz von selbst.

      „Verehrter Legatus Augusti pro praetore, Caius Velius Rufus, mein lieber Mann, pater familias, verehrte Nobiles vom Stadtrat…“ Ihre Stimme erstickte in einem Schluchzen. Sie musste erneut ansetzten. „Die mir vorgeworfenen Anklagepunkte sind allesamt falsch! Ich bin keine Mörderin! Ich habe nicht versucht, meinen Gatten umzubringen! Ich liebe ihn und bin ihm seit 18 Jahren eine treu sorgende Ehefrau. Der Vorwurf, ich hätte ihn mittels einer giftigen Kräuterrezeptur töten wollen, ist an den Haaren herbeigezogen! Die hier als Beweismittel gezeigte Rezeptur und die Kräuter in den Tüten kaufte ich auf seinen Wunsch. Es ist eine Rezeptur zur Stärkung sexuell geschwächter Männer!“

      Ein Raunen ging durch den Raum, und Claudius konnte sehen, dass sich die meisten Anwesenden ein Lächeln verkneifen mussten. Caecina setzte neu an.

      „Ich kaufte die Kräuter auf seinen Wunsch bei einer Kräuterfrau. Dass die Rezeptur eine giftige Pflanze enthält, habe ich nicht gewusst. Niemals hätte ich meinem Gatten ein Gift gegeben! Glaubt mir, verehrte Nobiles, verehrter Legatus Augusti pro praetore!“

      Sie musste sich erneut unterbrechen, zog ein Tuch hervor, wischte sich die Tränen ab und schnäuzte sich. Dann kam sie auf das Fluchtäfelchen zu sprechen.

      „Von dem Bleiplättchen mit der abscheulichen Verwünschung weiß ich rein gar nichts! Ich habe es weder selbst angefertigt, noch anfertigen lassen. Ihr müsst mir glauben! Ich bin unschuldig! Niemals habe ich versucht oder auch nur daran gedacht, meinen Gatten zu töten!“

      Weinend brach sie zusammen. Iulianus bemühte sich, sie wieder zu beruhigen. Dann stand er auf und sprach die Versammelten noch einmal direkt an. Er wiederholte die vorgebrachten Beteuerungen Caecinas und setzte dann zum Verteidigungsschlag an.

      „Tenatia Caecina ist zu so einer Tat gar nicht fähig! Sie ist die liebevollste, treueste und ehrlichste Ehefrau, die sich ein Mann nur wünschen kann! Nein, verehrter Statthalter, verehrte Nobiles, hinter diesem vorgetäuschten Mordversuch steckt ein Profi! Rezept und Kräuter wurden gezielt ausgesucht, um meine Mandantin in Verruf zu bringen. Es sollte so aussehen, als plane sie, ihren Gatten zu ermorden. Die Art der Beschriftung der Tüten und die Zusammenstellung der Kräuter sind das Werk einer Hexe, die eine sexualmagische Rezeptur anfertigte, die mäßig dosiert wohl ungefährlich, in hohen Dosen aber durchaus tödlich wirken kann. Ich bitte Euch, Legatus Augusti pro praetore, gebt mir die Gelegenheit, in einer Hauptverhandlung Beweise vorzulegen und Zeugen vorzuladen, die genau diesen Umstand beweisen werden. Ich werde versuchen, Tenatia Caecina, die von Grund auf ehrlich ist, von dem Verdacht des Schadenszaubers, der Giftmischerei und letztendlich auch des Mordversuchs reinzuwaschen!“

      Geschickt versuchte der Advocatus, nicht voreilig seine Trümpfe auszuspielen. Mit keinem Wort erwähnte er, dass er bereits wusste, von wem die Rezeptur und die Kräuter stammten.

      Rufus nickte. Er wandte sich an die beiden Duoviri, die ebenfalls signalisierten, dass sie eine Hauptverhandlung für notwendig hielten.

      „So soll es sein. Ich sehe die Notwendigkeit einer Hauptverhandlung für gegeben. Da ich noch nicht weiß, wann ich von meiner Reise in die germanischen Provinzen zurück sein werde, kann ich noch keinen festen Termin für die Hauptverhandlung festlegen. Sobald ich zurück bin bestimme ich einen Termin. Bis dahin haben beide Seiten Zeit sich vorzubereiten.“

      Ein Liktor mit den Fasces, dem Rutenbündel, welches die Vollstreckungsgewalt symbolisierte, beendete die Vorverhandlung.

      ***

      Als Alpina nach Hause zurückkehrte, fand sie das Atrium angefüllt mit Menschen. Ihr Vater hatte den Advocatus Iulianus, den Sohn Caecinas, den Ädil Vindelicus und Claudius zu sich eingeladen. Mirne und die junge Sklavin von Caecina versorgten alle mit Wein. Alpina hatte Claudius schon eine Weile nicht mehr gesehen. Er kam ihr größer vor als in ihrer Erinnerung. Vielleicht lag es auch nur an seinem edlen Aufzug. Er trug die ritterliche Tunika mit den schmalen Purpurstreifen und eine blütenweiße Toga darüber. Außerdem schien er beim Tonsor gewesen zu sein. Sowohl die dunklen Haare wie auch der Bart waren frisch gekürzt.

      „Alpina!“ Claudius hatte sie sofort entdeckt. Mit wehender Toga kam er auf sie zu.

      „Claudius! Schön, dich zu sehen! Wie ist es ausgegangen?“

       Der Adiutor ergriff Alpinas Hände und sah ihr in die Augen. Sie spürte, wie ein Schwarm Hornissen in ihrem Magen auf und ab flog.

      „Gut, soweit man das sagen kann. Es wird nach Rufus‘ Rückkehr eine Hauptverhandlung geben.“

      Gemeinsam gingen sie zu den anderen. Alpina wurde freudig begrüßt. Sie gratulierte Caecina und dem Advocatus, dann ließ sie sich einen Becher gemischten Weißweins reichen. Mit dem Becher in der Hand stellte sie sich zu Cnaeus Essimnus und fragte ihn nach seiner Schwester Gavia. Der junge Mann sah sich verlegen um, dann antwortete er leise: „Sie ist nach wie vor im Haus. Vater lässt sie nicht raus. Er hat wohl Angst, dass Gavia für ihre Mutter Partei ergreifen könnte.“

      Alpina war aufgebracht. „Er kann sie doch nicht die ganze Zeit einsperren! Die Hauptverhandlung wird erst nach der Reise des Propraetors stattfinden. So lange kann er sie doch nicht im Haus behalten und alle Briefe abfangen, die man ihr schickt!“

      Cnaeus war das Thema sichtlich unangenehm. Er erwiderte so leise, dass Alpina sich bemühen musste, ihn zu verstehen: „Doch, Alpina, das kann er, und ich fürchte, er wird es auch tun!“ Dann ließ er sie stehen und begab sich zu seinem Mentor.

      Die Haussklavin Mirne wurde ausgeschickt, um in der nächsten Taberna einige Leckereien zu besorgen, damit sich die hungrigen Gerichtsbesucher stärken konnten. Alpina ahnte, dass sie dieser Gesellschaft nicht so schnell entkommen würde. Sie hörte den unterschiedlichen Ausführungen der Verhandlungsteilnehmer mit gespielter Aufmerksamkeit zu und überlegte angestrengt, wie sie sich möglichst unauffällig davonschleichen konnte, um Ilara die Kräuter zu bringen. Claudius wich nicht von ihrer Seite, bis Iulianus sich schließlich an ihn wandte und ihn in ein Gespräch über die Verteidigungsstrategie verwickelte. Das Mädchen nutzte die Gelegenheit und stahl sich davon. Sie ging in Elvas Kräuterkammer, nahm sich Weidenrinde und Gänsefingerkraut, packte beides ein und verließ das Haus heimlich durch den Eingang bei der Küche.

      Das Leben in der Stadt war in Gang gekommen, die Menschen standen in Grüppchen beisammen oder gingen ihren Geschäften nach. Als Alpina Ilaras Haus erreichte, war Tiberius gerade dabei, mit dem Medicus Demetrios aufzubrechen. Der Leiter des Valetudinariums hatte sich bereit erklärt, den Sevir Augustalis in seine Villa rustica zu begleiten. Tiberius verabschiedete sich mit einer Umarmung von seiner Schwiegertochter und Alpina und schwang sich dann auf den Rücken seines prachtvollen geschmückten Pferdes. Ilara hatte sich in eine Palla und einen Schleier gehüllt. So verbarg sie, dass sie unfrisiert war. Schnell zog sie sich mit Alpina ins Haus zurück. Sie war blass und zittrig. Gemeinsam begaben sie sich in die Schlafkammer. Celsa bereitete nach den Anweisungen Alpinas einen Trank für Ilara, die sich bereits wieder unter Krämpfen krümmte und wand. Als sie den Becher mit heißer Flüssigkeit in den Händen hielt, klopfte es an der Kammertür.

      „Herrin, Eure Freundin Balbina ist gekommen. Wollt Ihr, dass ich sie zu Euch führe?“

      Ilara seufzte und sagte leise zu Alpina: „Nun ja, es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben. Sie wird noch nicht gehört haben, dass Tiberius mit dem Medicus zu Tibulla geritten ist. Sicher macht sie sich große Sorgen.“ Laut rief sie: „Aber