Melissa Jäger

Raetia


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Tribun nickte. „Mit dem herrlichsten Blick, den man sich vorstellen kann! Auf der einen Seite blickt man auf das Kapitol und das Forum, auf der anderen Seite auf den Circus Maximus.“

      Gedankenverloren nickte Caius. Er versuchte sich die grandiose Aussicht vom Kaiserpalast vorzustellen.

      „Sag, stimmt es, dass Domitianus eine Vorliebe für leichte Mädchen hat?“

      Gracchus wog den Kopf hin und her, dabei lächelte er wissend. „Nun ja, du weißt, es gibt viele Gerüchte über den Mann, der die Welt regiert. Das ist auch ganz normal. Ich kann nur so viel sagen: Seit dem Tod von Iulia ist er nicht mehr der Gleiche!“

      „Dann stimm es, was die Leute sagen? Sie munkeln, er habe seine Nichte geschwängert!“

      Caius sah den Offizier durchdringend an. Gracchus hob abwehrend die Hände.

      „Das weiß niemand! Nur so viel: das Verhältnis der beiden ging weit über das Onkel-Nichte-Verhältnis hinaus. Offiziell ist sie bei einer Fehlgeburt gestorben, aber die Gerüchte wollen nicht verklingen, nach denen er sie zur Abtreibung des gemeinsamen Kindes gezwungen habe. Wie dem auch sei, zunächst war Domitia Longina, die Frau des Kaisers, nicht unglücklich über Iulias Ableben, aber inzwischen verflucht sie ihren Gatten bereits wieder Tag für Tag, weil er sich nicht schämt, eine Lupa nach der anderen in sein Bett zu holen.“ Er zwinkerte Caius zu und flüsterte: „Man sagt sogar, er enthaare sie persönlich im Schambereich!“

      Ungläubig schüttelte der Centurio den Kopf. „Das ist aber nicht wahr, oder?“

      Gracchus hob die Schultern. „Wenn du mich fragst, hat er nur Iulia wirklich geliebt. Und an ihrem Tod die Schuld zu tragen, hat ihn zerstört. Alle anderen Frauen sind nur Spielzeug für ihn. Dabei verkennt er die Gefahr, die Frauen für mächtige Männer wie ihn darstellen können…“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause.

      „Wie meinst du das, Gracchus?“

      Der Tribun wurde ernst. „Was denkst du, wie viele Kaiser bereits durch die Intrigen ihrer Mütter, Gattinnen oder Geliebten zu Tode gekommen sind?“

      „Du glaubst doch nicht, dass Domitia Longina ihren Mann ermorden ließe, wo er sie doch wieder zu seiner Gattin gemacht hat, nach der Eskapade mit diesem Schauspieler Paris?“

      „Wer weiß?“, sagte Gracchus nachdenklich.

      Dann widmeten sich beide Männer dem hervorragenden Wein und den besonderen Köstlichkeiten, die der Statthalter aufbot.

      Monat März, an den Iden des März, Festtag der Anna Perenna

      Schon am Abend hatte sich bei Alpina mit Kopf- und Bauchschmerzen die Mondblutung angekündigt. Nun zeigten sich die ersten Spuren der Blutung auf ihrem Bettlaken. Sie wollte trotzdem unbedingt Ilara besuchen. Elvas war bereits fertig und macht Alpina unmissverständlich klar, dass sie mitkommen wollte. Alle Überredungsversuche waren zwecklos. Die Mutter blieb stur. Sie hatte einen Korb mit Heilpflanzen gepackt und drückte ihrer Tochter wortlos ihren Mantel in die Hand.

      Es war der Festtag der Anna Perenna, der in Rom mit Ausflügen aufs Land, Zelten und Picknick begangen wurde. Das Wetter in Raetia war für solche Aktivitäten im Frühjahr in der Regel noch zu kalt und feucht. Stattdessen feierten die Männer abends mit ausgiebigen Trinkgelagen. Man trank so viele Becher Wein, wie viele Jahre man noch leben wollte. Dazu rissen die Männer Zoten und erzählten sich derbe Geschichten.

      Caius würde den Abend mit dem Legaten des Kaisers, den zukünftigen Statthaltern, der Prätorianergarde und der männlichen Elite der Stadt verbringen. Frauen waren bei dieser Art Feier nicht erwünscht, doch Velia Crispina hatte zu Ehren der alten Anna Perenna die Frauen der Nobiles zu einem Treffen in ihre Gemächer eingeladen.

      Das Wetter war besser als am Vortag. Es gab zwar noch den einen oder anderen Regenschauer, aber es war wieder wärmer geworden.

      Als Celsa die Tür öffnete, erkannte Alpina an ihrem Gesichtsausdruck, dass Ilara nicht übermäßig erfreut sein würde, dass die Mutter mitgekommen war. Sie nahm beiden die Mäntel ab, und als Elvas auf Ilaras Kammer zustürmte, hielt die Sklavin Alpina zurück. „Es hat funktioniert, die Blutung kam heute Morgen.“

      Ilara saß auf ihrem Bett und funkelte Alpina böse an, die hinter der Mutter die Kammer betrat.

      „Liebes, wie geht es dir?“ Elvas war ernstlich besorgt. Sie setzte sich zu Ilara aufs Bett.

      „Gut, Mutter! Ich scheine nur irgendetwas nicht vertragen zu haben. Alpina hat mir hervorragend geholfen!“

      Das Lächeln, das sie ihrer Schwester schenkte, schien echt zu sein. Alpina schob sich an den Sitzenden vorbei zum Nachttisch hin. Dort lagen noch ein paar selbstgeformte Pessare. Je näher Alpina der danebenstehenden Schale kam, desto deutlicher wurde der streng würzige Geruch nach Mastix, Myrrhe und Galbanum im Myrtensud. Alpina steckte heimlich die Pessare ein und schob die Schale so weit wie möglich an die Hauswand.

      Elvas erkundigte sich eindringlich nach Symptomen und Befindlichkeiten. Ilara gab eher ungehalten Auskunft. Es war zu erahnen, dass sie ihre Mutter schnell wieder loswerden wollte. Als Elvas den Nachttopf erblickte, stutzte sie. „Du hast deine Monatsblutung?“

      Ilara nickte. „Ja, sie kam heute Morgen. Aber das hatte sicher nichts mit meiner Gastritis zu tun!“

      Elvas sah nachdenklich auf den Nachttopf. „Nun, ich lasse dir noch Melissen- und Minzeblätter da. Die kannst du sicher noch gebrauchen. Schone dich noch, mein Liebes!“

      Sie stand auf und blicke sich suchend im Zimmer um. Alpina versuchte sich so hinzustellen, dass sie der Mutter den Blick auf die Schale auf dem Nachttisch verwehrte.

      „Lass uns gehen, Alpina!“, sagte Elvas schließlich widerstrebend. Sie nahm ihren Korb und drehte sich zur Tür. Als Alpina schon beinahe draußen war, drehte sich die Mutter noch einmal um.

      „Na so was, jetzt hätte ich beinahe vergessen, dir die Kräuter dazulassen.“

      Sie schob Alpina beiseite und ging auf Ilaras Nachttisch zu, um ihr die Kräuter hinzulegen. Da entdeckte sie die Schale.

      „Was ist das denn?“ Elvas hob die Schale mit dem Kräuter-Harzsud hoch. „Hm, riecht nach Myrrhe, Galbanum und Mastix in einem Kräutersud… Ilara, wofür hast du das verwendet? Du hast das doch nicht eingenommen, oder? Dann würde mich gar nichts mehr wundern! Diese Harze in geringer Menge eingenommen sind zwar gut bei einer Lebensmittelvergiftung, aber diese Mischung ist zu konzentriert…so kann sie eine üble Gastritis auslösen.“ Sie grübelte. Dann sah Ilara streng an. „Sag mir, Ilara, dass das nicht wahr ist!“

      Ilara setzte eine Unschuldsmiene auf. „Was denn, Mutter? Ich habe das gegen die Übelkeit als Kataplasma aufgetragen. Es war Alpinas Idee. Sie hat es aus einem ihrer schlauen Bücher!“ Sie warf Alpina ein entwaffnendes Lächeln zu.

      Elvas fuhr herum. Was? Aus was für einem Buch stammt diese Rezeptur? Hat Hippokrates das verbrochen?“

      Alpina schluckte. Sie wollte Ilara nicht verraten, auch wenn sie wütend auf ihre Schwester war. „Ja, das stimmt. Es stammt von Hippokrates und ist zur Ausleitung schädlicher Säfte aus dem Körper gedacht. Bei Übelkeit und Erbrechen als Kataplasma auf den Bauch aufgebracht. Wie du siehst, hat es Ilara bereits gut geholfen!“

      Elvas zuckte die Achseln. „Nun gut, es scheint zumindest nicht geschadet zu haben.“ Sie legte zwei Tütchen mit Melisse und Minzeblättern auf den Nachttisch und wandte sich erneut zum Gehen. „Gute Besserung, Ilara!“

      ***

      Nach der üblichen morgendlichen Begrüßung seiner Klienten machte sich der Ädil Vindelicus mit seinem Adiutor auf den Weg zum Praetorium. Claudius informierte den Vorgesetzten über die Inhalte der Briefe, die er im Hause des Essimnus beschlagnahmt hatte. Sie waren alle privater Natur und ohne jegliche Relevanz für die vorgebrachten Anschuldigungen. Dann erzählte er Vindelicus von seinem Besuch bei den Obstetrices im Hause des Centurios Achilleus und was die Frauen zu den Kräutertüten