Melissa Jäger

Raetia


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die Haut durchnässt und frierend stapfte Claudius an der Seite des Ädils zurück zur Stadt. Es war abzusehen, dass die Therme in den kommenden Stunden brechend voll sein würde. Claudius entschloss sich deshalb, im hauseigenen Balneum ein Bad zu nehmen. Sein Sklave Silvanus sorgte für das warme Wasser und kümmerte sich um die nasse und verdreckte Kleidung.

      ***

      Der Unterricht fiel wegen des Festtages aus. Alpina machte sich also gleich nach dem Frühstück auf den Weg zu Ilara. Elvas würde Caius zum Marstempel begleiten, auch wenn der Centurio der Reitergarde so eingespannt war, dass er sie kaum wahrnehmen würde. Alpina war klar, dass Ilara das Haus heute nicht verlassen würde. Vorsichtshalber packte sie einige Kräuter gegen Übelkeit, Erbrechen und Krämpfe ein und legte auch einige Heilpflanzen dazu, die helfen würden, die starken Blutungen zu lindern. Da die Sklavin Mirne die Eltern begleiten würde, musste Alpina alleine zum Haus ihrer Schwester gehen. Die Straßen rund um den Tempel des Mars und um das Forum waren schon gut gefüllt. Alpina schob sich voran. Vor allem die überdachten Säulenhallen des Forums und vor den Läden waren stark frequentiert. Jeder versuchte, dem nasskalten Wetter auszuweichen. Alpina hingegen zog die Kapuze ihres Wollfilzmantels tief ins Gesicht und schob sich vorwärts durch die Menschenmenge.

      Es dauerte ungewöhnlich lange, bis Celsa auf Alpinas Klopfen die Tür öffnete. Die Dienerin sah blass und sorgenvoll aus. „Gut, dass Ihr kommt, Domina Alpina, es geht ihr sehr schlecht!“

      Sie nahm Alpina den Mantel ab und hastete voran. Alpina hatte Mühe zu folgen.

      Als Celsa die Tür zu Ilaras Kammer aufschob, konnte Alpina die ältere Schwester würgen hören. Ilara saß auf der Bettkante und hielt eine Tonschale auf dem Schoß. Man konnte den bitteren Geruch von gelber Galle wahrnehmen. Ilara blickte auf. Die langen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht und bedenklich nahe an die Schale auf ihrem Schoß.

      „Alpina! Wie gut, dass du da bist!“ In ihren Ausruf der Erleichterung mischte sich bereits wieder ein Würgen.

      Alpina trat näher und streichelte der Schwester mitleidig über den Rücken.

      „Wie lange geht das schon so?“, fragte sie mehr die Dienerin als Ilara, die bereits wieder Schleim und Galle in die Schüssel spuckte. Celsa erklärte, dass das Erbrechen gegen Morgen eingesetzt hatte.

      Alpina fragte weiter: „“Blutungen? Krämpfe?“

      Dieses Mal war es Ilara, die antwortete. „Nein, noch nichts! Ich wollte heute noch mal von diesem Zeug trinken, aber ich kann ja nichts bei mir behalten!“

      Alpina entkorkte eine Phiole mit dem aetherischen Öl der Poleiminze und hielt sie der Schwester unter die Nase. Ilara atmete tief ein. Sie versuchte zu lächeln.

      „Danke, dass du gekommen bist, Schwesterchen!“

      Kurzfristig schien sich die Übelkeit zu legen, doch noch bevor Alpina den Puls der älteren Schwester kontrollieren konnte, hing Ilara wieder über der Schüssel. Die angehende Obstetrix gab Celsa ein Säckchen mit Kräutern.

      „Bitte, nimm ein Scrupulum davon und koche es mit Wasser für einen großen Becher auf!“

      Als Ilara erschöpft aufsah, fragte Alpina: „Weißt du jetzt, warum es besser ist, vorzubeugen, als im Nachhinein noch etwas gegen eine Schwangerschaft zu unternehmen ?“

      Die Schwester nickte. „Ja, jetzt bin ich klüger!“ Sie würgte erneut.

      Celsa brachte bald den Trank aus der Minze, die in dem Säckchen gewesen war. Alpina versuchte ihrer Schwester die Flüssigkeit mit dem Löffel einzuflößen, doch es dauerte noch mehr als zwei Stunden und benötigte einen weiteren Becher des Heiltrankes, bis Ilaras Erbrechen aufhörte.

      Als Alpina das Haus der Schwester gegen Mittag verließ, ging es Ilara zwar wieder besser, doch hatte die ersehnte Blutung noch nicht eingesetzt. Ilara versuchte immer wieder, ihre Schwester nach anderen Methoden zur Beendigung einer Schwangerschaft zu fragen. Aber Alpina erklärte der Unglücklichen, dass es wohl kaum Sinn machen würde, weitere Tränke auszuprobieren, da Ilara sie vermutlich ohnehin nicht bei sich behalten könnte. Alpina hatte in den Schriften des Hippokrates von diversen Vaginalspülungen und Pessaren gelesen, die man verabreichen konnte, um die Blutung zu fördern. Der Vater der Medizin hatte jedoch ausdrücklich die Verabreichung von Abtreibungsmitteln verboten. Im hippokratischen Eid, den alle Medici, die nach der hippokratischen Methode arbeiteten, schwören mussten, war explizit die Rede davon, dass man keiner Frau ein fruchtabtötendes Pessar geben dürfe. In der Praxis sah es hingegen anders aus. Selbst wenn sich die Medici verweigerten, bekamen die Frauen doch immer Hilfe und Rat bei Freundinnen, Kräuterfrauen oder den Obstetrices.

      Dennoch versprach Alpina nachzulesen, was der Vater der Medizin zur Hervorrufung einer Blutung empfahl und eilte davon.

      Die Straßen waren nun nahezu menschenleer. Entweder befanden sich die Bürger der Stadt bei der Rennbahn oder sie hielten sich, des nassen und kalten Wetters wegen, im Inneren der Häuser auf. Die Geschäfte waren wegen des Festtages ohnehin größtenteils geschlossen.

      Auch im Haus der Familie der Iulier war es nicht übermäßig warm in diesen Tagen. Einzig das Tablinium und das Tricinium waren über eine Fußbodenheizung temperierbar, die übrigen Räume blieben kalt und konnten nur bei Bedarf mit Kohlebecken notdürftig gewärmt werden.

      Alpina hastete in ihr Zimmer und griff nach der Buchrolle des Hippokrates, die Eirenaios ihr nach dem Tod des Medicus Atticus geschenkt hatte. Atticus hatte alle seine Bücher dem Freund vermacht, und da Eirenaios wusste, dass gerade dieses Buch in Alpinas Händen gut aufgehoben war, hatte er es weitergeschenkt.

      Sie schlug in den Schriften „de natura muliebri“ – „über die Natur der Frauen“ – nach. Dort fand sie diverse Rezepturen für vaginale Spülungen und Pessare, die eine Blutung hervorrufen konnten.

      Sie las: „Myrte-, Lorbeer- und Efeublätter in warmem Wasser… Blätter des Sumach, Granatapfelblätter und Brombeerblätter in Honigwasser… Holunder und Masitx in Wasser aufkochen und lauwarm einen Einlauf machen… Feldzypresse, Mastix und Früchte der syrischen Zeder in Wasser kochen…“ Es folgten noch weitere Anleitungen. Alpina runzelte die Stirn. Welche der Anleitungen war wohl die effektivste? Manche Zutaten waren zudem schwer aufzutreiben, da sie aus fernen Ländern teuer importiert werden mussten. Sie würde diese nicht in Elvas Vorräten finden. Alpina durchsuchte die Vorratskammer und fand Lorbeer- und Efeublätter, aber keine Myrte. Holunderblätter waren da und ein Döschen mit ein paar Mastixharzkugeln. Alpina packte ein, was sie finden konnte und machte sich erneut auf den Weg zu Ilara.

      Was tat sie da überhaupt? Sie unterstützte den Ehebruch ihrer Schwester mit dem eigenen Schwiegervater! Sollte sie nicht viel eher Ilara das Kind bekommen lassen? Sie wollte Obstetrix werden, Geburtshelferin, und was tat sie nun? Sie trieb das Kind ihrer Schwester ab! Doch Alpina war sich sicher: Ilara würde eine andere Lösung finden, das Kind los zu werden, und das konnte womöglich schlimm ausgehen. Noch dazu war Ilara erst sechzehn, und Elvas hatte sie eindringlich davor gewarnt, zu früh schwanger zu werden. Solange der Körper den Strapazen einer Schwangerschaft und Geburt noch nicht gewachsen war. Und nun das!

      Auf dem Weg zurück zu Ilaras Haus fiel Alpina die Meretrix Glycera ein. Sie und ihre Dienerinnen kannten mit Sicherheit diverse Rezepte zur Abtreibung eines Kindes. Hatte Elvas nicht erzählt, dass Glyceras Dienerin Chloe versucht hatte, das Kind abzutreiben, das sie letztes Jahr von einem der Freier empfangen hatte. Es war aber wohl schon zu spät dafür gewesen. Nur ungern erinnerte sich Alpina an die schwere Geburt, die Chloe erdulden musste. Glycera hatte darauf bestanden, dass ihre Dienerin das Kind aussetzte. Alpina bog ab und stand schon kurze Zeit später vor Glyceras Haus. Der Wächter der schönen Schauspielerin war nicht da. Alpina klopfte, obwohl sie wenig Hoffnung hatte, Glycera und ihre Dienerinnen anzutreffen. Sicher waren alle beim Wagenrennen. Als sie schon gerade wieder gehen wollte, wurde die Tür plötzlich einen Spalt breit geöffnet. Chloe spitzte durch die schmale Öffnung. Ihre Pupillen waren unnatürlich geweitet, die Haare gelöst und ungepflegt. Es dauerte, bis sie Alpina erkannte und die Tür so weit öffnete, dass die angehende Obstetrix hineinschlüpfen konnte.

      „Was wollt Ihr?“, fragte