Ellen Sommer

Ich träum von dir...


Скачать книгу

dass ich mich nach ihrer Mail immer noch nicht bei ihr persönlich gemeldet hatte. Entschlossen stapfte ich die Treppe runter und ging ums Haus herum. Es wurde schon dämmrig und auf einmal gingen im ganzen Garten die Lichterketten in den Hecken und den Buchsbäumen an, sodass ich fast geblendet war. Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte Judys Nummer. Nach ein paar Mal Klingeln ging ihre Mailbox dran. So ein Pech, jetzt war sie nicht erreichbar. Oder hatte sie mich mit Absicht weggedrückt? Ich begann, eine SMS zu tippen, denn hier hatte ich ja kein WLAN, sodass ich ihr nicht per WhatsApp eine Nachricht schicken konnte. Da hörte ich Oma rufen: „Lille, wo steckst du?“ „Hier bin ich, Oma!“ „Kannst du mir bitte beim Tragen helfen, ich bin so weit.“ Ergeben steckte ich das Handy wieder in die Jackentasche und trabte zum Haus zurück, wo Oma mit einem Arm voll Tannenzweigen und drei riesigen Tüten voller Deko in der Tür stand. Ich schleppte ihr die Tüten zum Auto, nachdem wir uns noch ausführlich bei Frau Holler bedankten und verabschiedeten. „Willst Du die Sachen heute noch alle aufhängen?“, fragte ich sie leicht entsetzt, während ich ihr Radio anschaltete. Diesmal hatte ich den richtigen Knopf erwischt und ich klopfte mir innerlich auf die Schulter, dass ich nicht wieder den Sender verstellt hatte. „Nein, die Sachen kommen erst einmal ins Gartenhäuschen. Morgen, während du in der Schule bist, kann ich dann loslegen.“ „Ja, dann hast du freie Bahn und kannst dich so richtig austoben“, antwortete ich. „Machst Du das jedes Jahr so, oder ist das jetzt nur wegen mir?“ „Ich mache es nur alle 5 Jahre so, denn ich wechsele mich mit Selma, Luise und den anderen ab. Jedes Jahr ist eine andere dran mit der Weihnachtsfeier. Und dieses Jahr bin ich wieder mal an der Reihe. Die Damen kommen am Heiligen Abend und bleiben bis zum 26.12.“ „Wie jetzt, wir kriegen Besuch zu Weihnachten? Und die schlafen auch bei uns?“ „Du klingst jetzt völlig entsetzt. Hattet ihr nicht sonst auch Weihnachten mit den Eltern deiner Freundin gefeiert?“ „Ja, aber nicht am 24., sondern immer nur am ersten Weihnachtsfeiertag. Und Judy und ihre Eltern kamen nur zum Brunch, wenn wir nicht bei ihnen waren.“ Das hätte ich Oma nicht zugetraut. Ich fragte mich, wo die Damen alle schlafen sollten. „Selma und Luise schlafen nicht bei uns, die wohnen ja gleich um die Ecke, aber Maria und Helena werden im Gästezimmer übernachten, denen kann ich in ihrem Alter nicht zumuten die weite Reise mehrmals zu machen.“ OK, das musste ich jetzt ganz in Ruhe verdauen. Ruhig würde es jedenfalls nicht werden. Das wusste ich mittlerweile von den Kaffeekränzchen mit den Damen, die teilweise schon recht schlecht hörten und entsprechend laut sprachen. Das Weihnachtsfest nahm ganz neue Dimensionen an und ich überlegte, ob ich Oma bitten sollte, mir zu Weihnachten nur ein Heimfahrticket nach Landshut zu schenken, damit ich in Ruhe mit Judy und ihren Eltern feiern konnte. Doch da fiel mir ein, dass ich unmöglich Chris alleine lassen konnte, der sicher nicht mit seiner Tante feiern würde. Apropos Tante! Er hatte mir gar nicht erzählt, wie die Schlüsselübergabe heute war. Vor lauter „Fast-Unfall“ hatte ich vergessen, ihn zu fragen. Schade, jetzt war ich ganz neugierig und musste bis morgen warten, denn er ging bei der Arbeit definitiv nicht ans Handy. Daheim versuchte ich noch einmal, Judy zu erreichen, aber wieder ging sie nicht ans Handy. Ich setzte mich also an den Rechner und schrieb ihr eine richtig ausführliche Mail. Hoffentlich las sie die wenigstens durch. Judy konnte ziemlich nachtragend sein, wenn sie sich über jemanden geärgert hatte und ich war mir nicht so ganz sicher, ob sie sauer auf mich war, oder einfach nur so viel um die Ohren hatte. Oma rief zum Abendessen und ich musste schneller aufhören, als gedacht. Nach dem Abendessen schickte ich Chris noch eine kurze SMS, erwartete aber keine Rückantwort und ging mal ganz früh ins Bett.

      Lille

      Chris wartete in Mathe schon auf mich, denn heute hatte der Schulbus Verspätung. Sara und ich schlichen ziemlich betreten in den Klassenraum und erwarteten ein riesiges Donnerwetter von Herrn Heitmann. So wie es aussah, fehlten aber noch eine ganze Menge aus der Klasse und er machte gar keinen großen Aufstand. Glück gehabt! Ich sank schweigend neben Chris in die letzte Reihe und kramte erst einmal mein Schreibzeug und die Hausaufgaben raus. War klar, dass sowohl Sara als auch ich gleich drankamen. Sie hatte nur die Hälfte der Aufgaben richtig und Herr Heitmann notierte sich gleich ein dickes Minus auf seinem Plan. „Oh, je, die arme Sara“, dachte ich und überlegte, ob ich ihr fürs Wochenende eine gemeinsame Lernrunde anbieten sollte, aber sie würde bestimmt wieder ihr ganzes Wochenende mit Jack verbringen wollen. Chris nickte mir kurz zu, als ich mit meinem Teil fertig war und ich fragte mich, wieso dieser Mensch sowohl in Mathe als auch in Kunst so gut sein konnte. Das war doch fast schon ungerecht. Letztendlich kam ich mir bei dem Gedanken aber gleich fies vor, denn Chris hatte sicherlich bisher schon so einiges mitgemacht, worum ihn niemand beneidete und man konnte fast sagen, dass es doch so was wie ausgleichende Gerechtigkeit gab, dass er so viele Talente abbekommen hatte. Ich lächelte zu ihm rüber, achtete aber genau drauf, dass Herr Heitmann das nicht sah. Sara hatte mich im Schulbus gelöchert, wie es eigentlich bei dem Laternenfest in Chris WG gewesen sei und ich hatte versucht, möglichst wenig zu erzählen. Ging ja eigentlich niemanden was an, dass Chris und ich einen mehr als netten Nachmittag gehabt hatten. Selbst Oma hatte nichts Genaueres wissen wollen und das rechnete ich ihr hoch an. Momentan lief es ganz gut. Vor uns erklärte Nils gerade Sara die nächste Aufgabe und sein Kopf berührte fast ihren, damit er nicht zu laut sprechen musste und Herr Heitmann mitbekam, dass er ihr was erklärte, was in Stillarbeit erledigt werden sollte. Seitdem Chris mich drauf angesprochen hatte, dass Nils was von Sara wollte, fiel es selbst mir auf. Nur Sara merkte nichts davon, die sah momentan nicht anderes als ihren „Super-Jack“. Ich würde sie wohl darauf in einer ruhigen Minute ansprechen müssen. Nach Mathe kam ich aber nicht dazu, denn in der Pause war sie wieder komplett mit Jack beschäftigt. Chris und ich gingen gleich raus, um nicht wieder in ein Kreuzverhör zu geraten. „Da habe ich heute gar keinen Schnief drauf“, erklärte mir Chris und ich überlegte, was er mit „Schnief“ meinte, bis mir klar war, dass er keine Lust auf ein Gespräch mit Jack hatte. Wir gingen wieder an unseren Stammplatz hinter dem Pavillon und hofften, dass diesmal auch niemand auf die gleiche Idee kam. „Wie war eigentlich die Schlüsselübergabe mit deiner Tante?“, fragte ich ihn gleich, bevor er mich in seine Arme nehmen und küssen konnte. Chris ließ sich Zeit mit der Antwort und küsste mich ausführlich. Das war sehr nett, stillte meine Neugier aber nicht. „Du bist ganz schön neugierig, weißt du das?“, fragte er anschließend. Ich nickte. „Wurde mir schon das eine oder andere Mal gesagt, langsam glaub ich dran“, erwiderte ich lachend und küsste ihn kurz. „Kurz und knapp war es. Sie sieht mich so schnell nicht mehr wieder“, war alles, was er zu dem Thema sagte und ich war etwas enttäuscht, dass er nicht mehr dazu erzählte. Aber so war Chris. „Mr. Verschwiegen“ persönlich. Was soll es, so hatten wir dann mehr Zeit zum Knutschen und ich wollte mich nicht wirklich beschweren. „Wie wäre es, wenn ich morgen nach der Schule mit zu dir komme?“, fragte er mich plötzlich und ich war ganz überrascht, wie er jetzt zu dem Themenwechsel kam. „Ehm, tja, ich weiß nicht, wie Oma das fände, aber ich fände es super.“ „Wir könnten es ja als Lerngruppe für Bio tarnen“, bot Chris gleich eine Ausrede an und ich fand die Idee wirklich gut. Wie sich herausstellte, hatten wir tatsächlich bis zum nächsten Mal ein Referat auszuarbeiten und Herr Hofmann lieferte uns sogar die beste Ausrede der Welt. Noch nie hatte ich mich über ein Referat so gefreut. Chris grinste auch übers ganze Gesicht, als wir die Gruppeneinteilung erfuhren. Das war doch jetzt wirklich eine sehr nette Aussicht und Oma könnte ja wohl nichts dagegen haben, wenn uns der Direktor persönlich in die gleiche Gruppe eingeteilt hatte… Trotz allem beschloss ich, sie morgen einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen und sie nicht vorher zu fragen. Wer fragt, kassiert womöglich noch ein nein, das war bei Oma durchaus denkbar. Nach der Schule ging es wieder einmal zum Handballtraining. Ich war nach den zwei Stunden so was von erledigt, dass ich zu Hause erst einmal die Füße hochlegte und bis zum Abendbrot schlief. Oma war ganz entsetzt, als sie hörte, dass ich nach dem Essen noch die ganzen Hausaufgaben machen musste.

      Chris

      Ich war so was von aufgeregt, dass ich heute mit Lilles Oma sprechen würde, dass ich vom Vormittag eigentlich nichts mitbekam. Irgendwie schaffte ich es aber, heute etwas geschickter unter dem „Lehrerradar“ zu bleiben und versuchte zumindest, wissend zu erscheinen. Die Doppelstunde Kunst brachte mir viel Zeit, um mir meine Strategie für heute Nachmittag zurecht zu legen. Ich hoffte, dass Lilles Oma mich wenigstens ins Haus ließ, ohne gleich los