Ellen Sommer

Ich träum von dir...


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„Hast du schon was gegessen?“ „Seit heute Morgen nichts mehr, ich bin in der Schule nicht dazu gekommen“, antwortete ich. Tom setzte Nudelwasser auf und zusammen vertilgten wir eine große Packung für 3 bis 4 Personen. Er wohnte im Anbau bei seinen Eltern und hatte es hier, neben der Garage, einigermaßen ruhig. Ich hatte ihn total um den Anbau beneidet, als ich noch bei meiner Tante gelebt hatte. Jetzt war ich aber froh, was Eigenes bei Carlos und Matthis zu haben. Toms Mutter war früher überfürsorglich gewesen, wenn ich ihn besucht hatte und der Kontrast zu meiner Tante hätte nicht größer sein können. Ohne Toms Familie wäre ich schon längst so fertig wie meine Tante, da war ich mir total sicher. Tom hatte nach der 10. Klasse eine Lehre bei seinem Onkel angefangen und war jetzt schon fast fertig. Er verdiente nebenher als Türsteher in diversen Discos, wo ihm das Karatetraining zugutekam, das er seit der 3. Klasse machte. Na ja, und seine Statur. Tom war ein Kleiderschrank. Er bestand nur aus Muskeln, war fast doppelt so breit wie ich und überragte mich mindestens um einen halben Kopf. Dabei war ich auch nicht einer der Kleinsten in meiner Mannschaft. Seit der 1. Klasse war er mein bester Freund und ich war so froh, dass er auch nach dem Unfall meiner Eltern zu mir gehalten hatte. Wenigstens eine Konstante in meinem Leben. „Wie läuft es denn so, jetzt mit deiner eigenen Wohnung?“, fragte er neugierig. „Zimmer. Ich habe nur ein eigenes Zimmer in einer WG, aber das ist genial! Du glaubst gar nicht, wie ruhig es oben im Univiertel ist. Von Carlos und Matthis bekomme ich nichts mit. Außer wenn wir unseren Pizzaabend haben.“ „Na, dann musst du ja richtig viel Schönheitsschlaf abbekommen, wenn keiner dich nachts weckt…“, grinste er und klopfte mir auf die Schulter. Das würde einen blauen Fleck geben, da war ich mir sicher. Aber ich war kein Ansteller und ich grinste zurück. „Sieht man doch – langsam sind die Ringe unter den Augen weg.“ Ich war kurz davor, ihm von meiner wieder gewonnenen Erinnerung und dem Unfall zu erzählen, konnte es mir aber dann doch verkneifen, weil ich unbedingt erst mit Lilles Oma darüber sprechen wollte. Das Kopfkino hatte mich die halbe Nacht wachgehalten und ich war mir wirklich nicht sicher, wie Lille auf das Ganze reagieren würde. Tom musste leider noch los, aber dafür, dass er spontan Zeit hatte, war ich sehr froh und versprach, das nächste Mal mit Lille vorbei zu kommen, damit er sie auch mal richtig kennen lernen konnte. Sie hatten sich bisher ja nur kurz bei der Halloweenparty im Exit gesehen. Ich fuhr nach Hause und freute mich, dass ich jetzt auf jeden Fall den zweiten Helm für Lille hatte. Ich hoffte, dass wir zusammen nach Düsseldorf fahren konnten und nicht die S-Bahn nehmen mussten, dann waren wir zeitlich deutlich flexibler. Sie müsste eigentlich in meine alte Lederkombi passen, sodass sie nicht erfror, falls es nächste Woche kühler sein sollte. Ich war erstmals sehr zufrieden mit mir.

      Lille

      Oma ging es schon deutlich besser als gestern und sie durfte morgen auf jeden Fall heim. „Selma holt mich ab, dann hast du keine Umstände. Wenn du morgen aus der Schule heimkommst, bin ich bestimmt schon da“, informierte sie mich. „Oma du hast mir gestern ganz schön Sorgen gemacht, mach das bitte nicht noch mal“, entgegnete ich. „Du musst auch morgen nicht gleich wieder kochen. Die Ärztin hat gestern gesagt, dass du es ganz langsam angehen lassen sollst. Ich kann uns Pfannkuchen zum Mittagessen machen oder Grießbrei. Da bin ich richtig gut drin.“ Oma lächelte still vor sich hin und nickte. Im nächsten Moment ging die Tür auf und Selma und Luise kamen herein, mit einem riesigen Blumenstrauß für Oma. Ich ging auf den Flur raus und suchte nach Vasen. „Kann ich Ihnen helfen?“, sprach mich ein junger Arzt an. Es war zum Glück nicht schon wieder der picklige Assistenzarzt aus der Chirurgie, sondern ein viel jüngerer. „Ähm, ja, ich suche eine Vase.“ Er zeigte Richtung Ende des Flurs. „Sehen Sie, da vorne, die grüne Lampe? Darunter ist ein Vasenschrank.“ Ich dankte ihm und machte mich auf den Weg, den Gang runter. Plötzlich ging rechts von mir eine Tür auf und es wurde hektisch ein Bett auf den Gang geschoben, sodass ich mich mit einem Hechtsprung zur Seite retten musste und dabei gegen einen Infusionsständer stieß, der umzukippen drohte. Ich hielt mich an ihm fest, er rutschte auf den Rollen aber zur Seite weg und ich verlor das Gleichgewicht. Bevor ich auf dem Boden aufschlug, spürte ich einen festen Griff an meinem rechten Arm und fand mich im nächsten Moment in den Armen des jungen Assistenzarztes wieder. „Upsi“, mehr konnte ich in der Situation nicht sagen. Er hatte mich mit einem stuntmanreifen Hechtsprung gerettet und hielt mich jetzt grade so aufrecht. Ich schloss meine Augen und wünschte mich ganz, ganz weit weg! Am liebsten nach Landshut… Das war mir jetzt s u p e r p e i n l i c h ! So was Doofes konnte auch nur mir passieren. „Beim Vasenholen fast verunglückt“ – ich sah mich schon auf der Titelseite der Bildzeitung. Der junge Mann ließ mich jetzt los und schaute mich prüfend an: „Geht’s wieder?“ Im gleichen Moment meckerte die Schwester los, die mich mit dem Bett fast umgefahren hatte: „Hallo, könnten Sie vielleicht mal zur Seite, Sie stehen im Weg und ich muss hier jetzt schleunigst durch!“ Statt sich zu entschuldigen! Das fand ich dann schon ziemlich dreist, aber ich war so baff, dass mir auf die Schnelle keine passende Erwiderung einfiel. „Schwester Frieda, Ihnen ist schon klar, dass Sie hier die junge Frau grad fast über den Haufen gefahren hätten?“, belehrte Dr. Ulrich sie. Ich hatte nur seinen Vornamen lesen können, bevor er sich umdrehte und mit der Schwester sprach. „Soll das Mädel halt aufpassen und nicht so vor sich hinträumen“, wetterte Schwester Frieda weiter. Mir reichte es für heute definitiv wieder mit dem Krankenhaus. Ich wollte jetzt einfach nur die blöde Vase finden und dann heim. Ich bedankte mich bei Dr. Ulrich und wollte schon los zu den Vasen, als er mich noch mal am Arm zurückhielt und mich ganz intensiv anguckte: „Haben wir uns nicht irgendwo schon mal gesehen? Sie kenne ich doch!“, fragte er und schaute mich ganz komisch an, so als ob er mich nicht richtig zuordnen könnte. Komischer Typ, dachte ich. Ich schüttelte meinen Kopf: „Nicht, dass ich wüsste. Trotzdem, danke für den Hechtsprung.“ Ich musste grinsen, weil er plötzlich ganz irritiert war, dass ich jetzt einfach so gehen wollte. Blöde Anmache! Ich ließ ihn einfach stehen und holte die Vase. Bis ich wieder zurückkam, war er schon angefunkt worden und musste schleunigst ans Telefon. Ich brachte Oma die Vase und Selma und Luise wollten wissen, wo ich denn so lange gewesen sei. „Ist ein langer Weg bis zu dem Vasenschrank. Lang und gefährlich“, klärte ich sie auf und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Oma, ich würde dann jetzt mal heimfahren, denn ich habe noch ziemlich viele Vokabeln bis morgen auf. Du hast ja jetzt noch ein bisschen Gesellschaft. Ist das okay für dich?“ Oma nickte übereifrig. Vermutlich hatten sie noch ganz wichtige Gespräche zu führen und waren froh, mich los zu sein. Ich trat diesmal ganz vorsichtig vor die Tür und schaute nach rechts und links bevor ich Richtung Treppenhaus losging. Bei meinem Glück heute würde vermutlich der Aufzug steckenbleiben und das wollte ich nicht riskieren. Ich hielt mich diesmal in der Mitte des Ganges, um bei einer erneuten Attacke von Schwester Frieda weit genug von den Türen weg zu sein. Zum Glück begegnete mir auch Dr. Ulrich nicht mehr. Daheim probierte ich gleich, Chris zu erreichen. Er ging aber nicht an sein Handy. Ich beschloss, im Haus etwas zu saugen und zu putzen, damit Oma nicht morgen gleich Stress machte und dabei hörte ich mein Handy nicht, als Chris zurückrief. Erst abends erwischte ich ihn und wir quatschten noch ein bisschen vor dem Einschlafen. Ich merkte, dass ich ganz schön groggy vom Hausputz war und legte, zu Chris Enttäuschung, bald schon auf. Den dummen Spruch von Dr. Ulrich erwähnte ich sicherheitshalber einmal nicht.

      Chris

      Wie schaffte Lille es nur jedes Mal, dass ich das Gefühl hatte, ich bekam nicht genug von ihr ab? Selbst am Telefon! Von mir aus hätten wir noch eine ganze Weile weiterquatschen können. Müde war ich nämlich noch lange nicht und allein ihre Stimme brachte mich dazu, Lust auf sie zu haben. Ich hätte sie jetzt gerne hier bei mir gehabt und wusste schon ganz genau, was ich mit ihr anstellen würde. Tja, der Gedanke daran ließ mich jetzt noch wacher daliegen, als vorher und ich überlegte schon, ob eine kalte Dusche mich jetzt noch mehr aufputschen, oder ob ich anschließend besser einschlafen würde. Zu dumm, dass Lille so super brav war. Ihre Oma hatte so eine Enkelin gar nicht verdient. Ich war kurz davor, mich wieder anzuziehen und zu Lille zu fahren, aber weil sie echt groggy geklungen hatte, verwarf ich die Idee schnell wieder. Zu schade! Jetzt war ihre Oma mal nicht da und sie traute sich trotzdem nicht, die sturmfreie Bude zu nutzen. Das musste man nicht verstehen. Ich versuchte, mich mit Matheformeln abzulenken und als das nichts half, träumte ich von Lille und schlief schließlich doch irgendwann ein.

      Chris

      Viel zu früh war die Nacht rum. Ich war froh, dass heute schon