Ellen Sommer

Ich träum von dir...


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Oma hatte wohl nur einen kleinen Schwächeanfall gehabt, weil sie offensichtlich zu wenig getrunken hatte und zum Glück weder einen Herzinfarkt noch einen Schlaganfall, wie sie zunächst vermutet hatten. Mir war nachträglich ganz schwindelig geworden, als ich hörte, was sie alles hätte haben können und als mir klar wurde, dass ich schneller als gedacht, ohne Oma vermutlich nicht hier in Wuppertal hätte bleiben können. Andere Verwandtschaft hatte ich nicht und meine Eltern waren ja auch immer noch in Afrika. Weil ich noch keine 18 war, hätte ich bestimmt nicht längere Zeit ohne Oma hier alleine verbringen dürfen. Gut, dass sie schnell wieder fit sein würde. Sie hatte „Aufputschmittel“ bekommen, wie die Stationsschwester die Multivitamininfusion genannt hatte und würde vermutlich morgen oder übermorgen wieder heim dürfen. Die Ärztin hatte ihr ausdrücklich gesagt, dass sie sich die nächsten Tage daheim schonen müsse und ich sah schon, dass ich auf meine brennenden Fragen wegen des Teppichs so schnell nicht mit Antworten rechnen durfte. Um wieder einzuschlafen, dachte ich an Chris. Das half eigentlich immer. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, tatsächlich mit ihm zusammen zu baden und schweifte bei dem Gedanken ziemlich ab. Vom schrillen Klingeln meines Weckers schreckte ich hoch. Wow, ich hatte tatsächlich Mal eine Nacht ohne diesen ätzenden Traum vom Motorradunfall verbracht. Ich fragte mich nur, von welchem Unfall, weil ich mich an keinen eigenen Unfall erinnern konnte. Aber jedes Mal, wenn ich Chris Suzi anschaute, kam ein kurzer Bildflash mit „schwarz-chrom-glänzend“ in meinem Kopf und ich war mir fast 100% sicher, dass ich irgendwie von seinem Unfall geträumt hatte. Das verwirrte mich allerdings komplett und ich verbat mir, weiter dran zu denken. Nach einer kurzen Dusche – diesmal kam sogar warmes Wasser! – zog ich mich an und aß auf die Schnelle ein Müsli. Ich musste schlucken, als ich dran dachte, dass diesmal Oma nicht da war, um mir ein Riesenfrühstück aufzutischen und ich vermisste sie ein bisschen. Heute würde ich nach der Schule gleich am Krankenhaus vorbeifahren. Jack hatte mir nämlich verraten, dass man mit einem anderen Schulbus direkt dort vorbeikam. Falls es nicht regnete, könnte ich natürlich auch mit Chris fahren, aber ich hatte etwas Sorgen, dass er wieder mehr wollte, als ich momentan noch bereit war, zu geben und ich wollte ihn nicht wieder abweisen.

      Lille

      Leider sah ich Chris nicht mehr vor Französisch und die 90 Minuten schleppten sich dahin. Wir bekamen unsere Klausuren noch nicht zurück, sondern starteten mit einem neuen Thema. Der Nachmittag würde für den Berg von Hausaufgaben draufgehen, da war ich mir sicher. In der Pause ließ Chris sich auch nicht blicken und ich machte mir langsam Sorgen. Ich wusste nicht, dass er versuchte bei Herrn Hofmann eine Befreiung für die ersten beiden Stunden am Dienstag für uns zu bekommen, damit wir etwas ausschlafen konnten nach dem Amykonzert, aber er erzählte es mir später in Mathe. Stattdessen stand ich mit Sara in Jacks Ecke und kam mir zunächst vor, wie das fünfte Rad am Wagen. Jack freute sich riesig über die Käsecracker und teilte sie sich mit Sara, die kurz etwas pikiert war, wieso ich IHREM Freund was schenkte. Ich erklärte ihr die Situation mit Oma und Sara fiel nichts Besseres ein, als mit ihren Augenbrauen zu wackeln und zu fragen, ob ich denn danach wenigstens einen netten Abend mit Chris gehabt hätte… Ich wurde quietschrot und Jack lachte schallend los, als er mich sah. Na klasse, da hatte ich mich mal wieder zum Gespött der Leute gemacht. Auch Sara lachte mit und das fand ich nicht besonders nett von ihr. Hey, nicht jeder konnte und wollte so extrovertiert sein, wie sie. Es gab Dinge in meinem Leben, die waren privat und sollten es auch bleiben. Ich ärgerte mich tierisch, dass mir jetzt kein passender Spruch einfiel, mit dem ihnen das Lachen vergangen wäre und ärgerte mich noch mehr, dass Chris jetzt nicht hier war, denn dann hätten sie sich garantiert nicht getraut, so blöde Fragen zu stellen. „Tolle Freundin bist du, Sara. Vielen Dank auch!“ Ich war kurz vorm Losheulen, als sie endlich bemerkte, dass ich absolut nichts lustig an dieser Situation fand. Sie legte mir gönnerhaft einen Arm um die Schulter und flüsterte mir zu: „Sorry, hab nicht dran gedacht, dass dir solche Fragen peinlich sind.“ Na immerhin merkte sie es dann doch einmal! „Danke auch“, rutschte mir raus. Jetzt hatte sich auch Jack beruhigt und fragte mich, wo denn mein „Superlover“ wäre. Mir wurde wieder ganz heiß an den Ohren aber mir fiel auf die Schnelle keine patzige Antwort ein. Zum Glück kam jetzt Lisa angetrabt und fragte, ob ich in Philosophie eigentlich die Hausaufgaben dabeihätte und ob sie die gleich mal kurz überfliegen und abpinnen dürfe. Ich hätte Lisa umarmen können, so froh war ich, dass ich Sara und Jack stehen lassen konnte und damit auch ihr blöden Fragen los war. Man sollte doch meinen, dass die beiden genug mit ihrem eigenen Liebesleben beschäftigt wären und sich nicht in das der anderen Leute einmischen müssten…

      Chris

      Herr Hofmann war eine harte Nuss. Ich versuchte, zwei Freistunden für mich und Lille herauszuschlagen, damit wir nach dem Konzert nicht so früh aufstehen mussten und wenigstens für den Rest des Unterrichtstages fit zu sein, aber so einfach war das nicht. „Chris, ich kann euch beiden doch nicht so einfach frei geben. Wenn das die Runde macht, holt jeder sich irgendwelche Konzerttickets oder andere blöde Ausreden und der Unterricht kann mangels Schülern gar nicht mehr stattfinden. Das musst du doch einsehen.“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Das sah ich überhaupt nicht ein. Es war ja nicht so, dass ich mir ausgesucht hatte, an einem Montagabend Konzerttickets in Düsseldorf zu haben. Ich hatte sie zum Geburtstag von Lille geschenkt bekommen.

      „Und wenn ich so durchschaue, wie oft du dieses Schuljahr schon gefehlt hast oder zu spät kamst, Chris, dann kann ich dir auch nicht empfehlen an dem Dienstagmorgen blau zu machen…“ Das war der Gipfel! Herr Hofmann wusste von meiner Situation mit meiner Tante und ich wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen. Macht man aber ja nicht mit seinem Direktor… Ich ärgerte mich tierisch, dass ich überhaupt gefragt hatte, statt einfach nur eine Krankmeldung zu unterschreiben und am Dienstag komplett daheim zu bleiben. Und das sollte gerecht sein? Wenn man ehrlich war und fragte, wurde man bestraft und wenn man einfach nur gelogen hätte und weggeblieben wäre, würde man dafür belohnt? Ich warf genau das ein und sah, wie Direx Hofmann überlegte. Er drehte sich um und ging in seinem Zimmer auf und ab und blieb dann vor dem Fenster stehen, wo er lange Zeit auf den Schulhof hinabsah. Er räusperte sich. Ich stellte mich gerade hin, für den Fall, dass er sich umdrehte und entspannte bewusst langsam meine Fäuste. Ging mir total gegen den Strich, hier rumbetteln zu müssen. Nach gefühlten zehn Minuten sagte er: „Na gut, ihr seid aber offiziell die ersten beiden Stunden krank und schreibt mir einen Fehlzettel aus. Ihr holt die komplette Mathestunde nach und lasst euch in der nachfolgenden Stunde von Herrn Heitmann testen und Chris: Niemand wird über unsere Absprache informiert. Wenn mir zu Ohren kommt, dass irgendwer darüber tratscht, oder ihr zwei als Beispiel genannt werdet, wenn wieder jemand eine Freistunde rausholen will, dann werden euch die beiden Stunden nachträglich als unentschuldigt eingetragen und die Beteiligung mit 6 gewertet! Haben wir uns verstanden?“ Ich freute mich wahnsinnig! Natürlich würde ich es Lille sagen, aber die wäre sowieso viel zu brav, um irgendwem was von unserer Absprache zu erzählen. Ich strahlte Herrn Hofmann an und bedankte mich überschwänglich. Er scheuchte mich aus seinem Zimmer und guckte mich noch mal ganz ernst an: „Kein Wort zu niemandem!“ Ich nickte und versicherte ihm: „Nur Lille, die muss es ja auch wissen.“ Und dann machte ich mich auf die Suche nach ihr. In der Pausenhalle bei Jack und Sara war sie schon mal nicht. Vor dem Philosophieraum fand ich sie auch nicht und dann schellte es schon und ich musste weitere 135 Minuten warten, bis ich sie in Mathe wiedersah. „Wo warst du?“, fragte sie mich, kurz bevor Herr Heitmann zur Tür reinkam und ich ihr auch wieder nicht gleich antworten konnte. Das nervte gehörig, dass man keine 5 Minuten hatte, um mit seiner Freundin allein zu sein und zu besprechen, was man zu sagen hatte. Ich wollte aber auch keinen Zettel schreiben und womöglich dabei erwischt werden. Nach der Schule wetzten wir zum Schulbus und Lille erklärte mir, dass sie heute mit der anderen Linie gleich zum Krankenhaus fahren würde, um Oma zu besuchen. „Soll ich mitkommen?“, fragte ich sie. Ich wollte es zumindest angeboten haben. Mir war klar, dass ich ihr im Krankenhaus keine große Hilfe wäre und sie schüttelte auch den Kopf. „Dann telefonieren wir nachher“, legte ich fest. „Ich ruf dich an, wenn ich zu Hause bin“, sagte Lille und wir hatten gerade noch Zeit für einen kurzen Abschiedskuss, bevor sie in den Schulbus springen musste, um nicht eine Stunde auf den nächsten Bus warten zu müssen. Ich fuhr mit der Suzi zu Tom und fragte, ob ich ihm den zweiten Helm abkaufen konnte. Er grinste: „Chris, wenn du den Helm für Lille haben willst, leihe ich ihn dir. Wenn du ihn für eine andere