Helge Hanerth

MPU Protokolle


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vor. Die Gefahr von so einem Missbrauch liegt darin, dass das Trinkverhalten sich gewandelt hat vom Spaßtrinken über das Gewohnheitstrinken zum Zwangstrinken. Die Übergänge sind fließend und werden vom Betroffenen unter Umständen gar nicht wahrgenommen. Einhergehend mit dem exzessiven Trinkverhalten sind neben den körperlichen Schäden Persönlichkeitsveränderungen, die zu Verhaltensänderungen führen können. Wer die eigene Gefährdung durch Alkohol nicht sieht, neigt dazu auch andere Gefährdungen nicht zu sehen. Risiken werden dann falsch beurteilt. Das führt im Straßenverkehr neben Wahrnehmungsstörungen und verzögerten Reaktionen, zu bedenklichen Verhaltensweisen. Bei starken Alkoholikern besteht Nüchternheit nur selten. Das Fahren eines Autos mit Restalkohol im Blut wird dann schnell zur Gewohnheit. Personen, die gewohnheitsmäßig trinken, entwickeln in der Regel einen routinierten Umgang mit Situationen in denen sie geistig oder körperlich leistungsfähig sein müssen. Das gibt ihnen das Gefühl, auch unter Alkoholeinfluss alles unter Kontrolle zu haben. Untersuchungen von Verkehrssimulationen mit alkoholisierten Testpersonen und die Unfallstatistiken zeigen klar, dass das nicht stimmt. Selbst bei eindeutigen, eigenen Verkehrsverstößen werden oftmals die anderen verantwortlich gemacht. Die Wahrnehmungsstörung der Realität ist ein großes Hindernis, um verantwortlich und vorrausschauend am Straßenverkehr teilzunehmen. Solche Bedenken müssen unbedingt ausgeräumt werden, bevor erwogen werden kann, ob eine Fahrerlaubnis erteilt werden kann. Die Bedingungen sind streng. Kein Gutachter übernimmt gerne die Verantwortung für einen potenziellen Mörder am Steuer.

      In der MPU muss der jetzt hoffentlich trockene Alkoholiker glaubhaft nachweisen, dass er nur noch kontrolliert trinken will und dass er das auch wirklich kann. Wurden Blutwerte mit mehr als 1,6 Promille festgestellt, traut man dem Klienten auch therapiert keinen kontrollierten Umgang zu. In diesem Fall muss überzeugend dargestellt werden, dass man nie wieder einen Tropfen Alkohol trinken wird. Der Klient muss nachweisen, dass er seine Abstinenz im Griff hat.

      MPU`s werden von privaten Unternehmen, oft sind es Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), durchgeführt. Das bekannteste Unternehmen ist der Technische Überwachungsverein (TÜV). Allein bei mir vor Ort existieren sieben solcher Einrichtungen. Die Adressen erhält man beim Straßenverkehrsamt.

      Die akkreditierten Begutachtungsstellen müssen umfangreiche, gesetzliche und fachliche Auflagen garantieren. Hierzu gehören vor allem der Datenschutz sowie Objektivität und Neutralität der Untersuchung. Der Aufbau des Gutachtens und die angeführten Kriterien sind standardisiert. Das Gespräch muss dokumentiert werden. Das geschieht meist am Computer. Auch alle anderen z.B. medizinischen Befundungen müssen aufgezeichnet werden. Am Ende des psychologischen Gesprächs erfolgt eine Sachstandsmitteilung. Die muss noch nicht vollständig sein, wenn noch Befunderhebungen ausstehen. Darüber hinaus sollte dem Klienten Gelegenheit zum Gegenlesen der Aufzeichnungen gegeben werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Die MPU dauert etwa drei bis vier Stunden. In dieser Zeit sind drei Untersuchungen durchzuführen: Leistungsdiagnostik, Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie.

      Ich entschied mich für den TÜV. Den Technischen Überwachungsverein Deutschlands (TÜV) gibt es bundesweit. Neben seinen allgemein bekannten Abteilungen für technische Prüfungen von Fahrzeugen auf Verkehrstauglichkeit, unterhält der Verein auch Abteilungen für medizinisch-psychologische Prüfungen von Personen auf Verkehrstauglichkeit.

      Zu erst wendete ich mich mit meinem Urteil und einem Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis an mein zuständiges Straßenverkehrsamt im Landkreis. Wie erwartet stellten sie die Möglichkeit der Erteilung in Aussicht. Für die Erteilung bestünden aber noch Bedenken, die sich aus dem Urteil ergaben. Diese müsste ich zu erst ausräumen. Als einzige Möglichkeit war hierfür eine erfolgreiche MPU gefordert. Ich musste ihnen meine Wahl nennen, in meinem Fall war das der TÜV in meiner Kreisstadt. Meine Akte wurde dann an die Gutachterstelle gesandt. Die wiederrum schrieb mich nach etwa zwei Wochen an. Nach Überweisung der Gutachtengebühren in Höhe von etwa 400€ konnte ich bei ihnen einen Termin für die MPU vereinbaren.

      Die MPU sah ich als logisch, notwendigen Schritt vor der Neuerteilung eines Führerscheins. Ihr Sinn ist unzweifelhaft. Ich denke, nur die MPU kann vor Wiederholungstätern schützen. Strafen schrecken nicht sehr ab. Ist eine Strafe erst mal bezahlt oder abgesessen, wird sie, auch wenn sie hart war, bald vergessen oder verdrängt.

      Wieso sollte sich ein Alkoholiker auch anders verhalten? Das widerspräche doch dem Suchtprinzip. Nur die MPU kann beurteilen, ob eine Sucht besteht oder nicht mehr besteht. Erst mit der Unbedenklichkeitserklärung durch die MPU kann verantwortlich daran gedacht werden einen Führerschein auszustellen. Diesem sehr vernünftigen Prinzip kann man nur zustimmen.

      Für mich stellte ich mir das Verfahren einfach vor. Ich hatte mit Beginn meiner Pubertät fast dreißig Jahre lang nahezu alkoholfrei gelebt. Mein chronischer Konsum war zeitlich begrenzt. Langjährige Erfahrungen mit Alkoholmiss- brauch hatte ich nicht. Nach meiner Trunkenheitsphase hatte es mich nicht gedrängt exzessiv weiterzutrinken. Mein Konsum hatte sich schnell wieder normalisiert. Ich trank wenig bis gar keinen Alkohol, weil ich es gar nicht anders wollte. Geschmacklich war mir Alkohol auch nie ein Reiz gewesen. In meinem aktuellen Leben hätte ich mehr Alkohol sogar als störend empfunden. Das Leben konnte alkoholfrei so schön sein. Das war mir keine neue Erfahrung. Alle meine Aktivitäten füllten mich aus. Ihr Erleben mit Alkohol würde eine Qualitätseinbuße bedeuten. Mit Alkohol fehlten meiner Wahrnehmung Nachhaltigkeit und Tiefe. Erlebnisse werden mit Alkohol unscharf, weil ich mit zunehmendem Pegel Details nicht mehr wahrnehmen kann. Vor allem aber erreicht ein Alkoholrausch nie die Qualität, die ich z.B. bei einem Fallschirmsprung erlebe.

      Auch mit dem <Fließen>, also dem inneren Aufgehen, das einen manchmal Raum und Zeit vergessen lässt, kann Alkohol nicht mithalten. Das erlebe ich schon beim einfachen Joggen. Aus dieser alten Erkenntnis heraus hatte ich doch über Jahrzehnte Alkohol nur in sehr geringen Mengen konsumiert.

      Selbst meine Arbeit mit ihren Herausforderungen und internationalen Projekten war mir Kick genug, um selbst die Erfolge im Beruf nicht mit Sekt zu begießen. Alkohol hatte ich doch nur akzeptieren können, weil ich vorübergehend Einschränkungen in meiner Lebensweise tolerieren musste. Alkohol ersetzte doch nur, was ich später mit Nachdruck zurückforderte. Mir verlangte weiterhin nach einem Leben mit nachhaltigen Herausforderungen, ein Leben, das mich weiterhin antrieb und auf Ziele steuerte. Lethargie und Zufriedenheit im Suff passten da nur solange rein, wie es keine Alternative gab.

      Daneben war mir bei Alkohol das Zeitfenster immer ein Problem. Man konnte nicht mal eben zwischendurch was trinken und später zur Tagesordnung zurückkehren. Wenn man trank, dann musste man den ganzen Film mitmachen, inklusive Kater. Letzteres nahm ich nur in Kauf, wenn ich den Kater verschlafen konnte. Das passte wiederum gut zum Trinken nach Feierabend und zu einem moralischen Prinzip, das Trinken zur Belohnung nach getaner Arbeit erhob.

      Nur wenn dieser Rahmen funktionierte, war trinken überhaupt möglich gewesen. Das ist in meinem aktuellen Tagesablauf praktisch nicht mehr umsetzbar. Trinken in Anwesenheit meiner Frau oder gar wenn sie frühzeitig zu Bett gehen würde, würde sie nie wieder tolerieren. Darauf, so wird meine Frau nicht müde zu versichern, kann ich Gift nehmen. Somit fehlten neben den psychologischen Motiven auch die technisch, praktischen Voraussetzungen fürs Trinken. Nach meinem Ermessen lagen folglich keine Bedenken gegen die Neuerteilung der Fahrerlaubnis vor.

      Bis zum Begutachtungstermin sammelte ich weiterhin bei meinem Arzt Laborwerte, die den Zustand meiner Leber dokumentierten. Damit hatte ich einen Monat nach dem Zwischenfall begonnen. Ohne den medizinischen Nachweis der Abstinenz, war eine erfolgreiche MPU auch bei vorbildlicher Führung unmöglich.

      Zwei Monate nach der Urteilsverkündung war es so weit. Ich trat mit viel zu wenigen Informationen aus Büchern und dem Internet zur MPU an. Ich dachte, es braucht nur gesunden Menschenverstand um zu bestehen. Im Verfahren sollte es doch um nichts anderes als nur um die reine Wahrheit gehen, die wissenschaftlich korrekt aus der Tiefe meiner Seele analytisch messbar durch Experten an die Oberflache zu bringen war. Sind größere Vorbereitungen da nicht manipulativ?

      Schon an dieser Stelle möchte ich feststellen, dass das eine falsche Entscheidung war. Auch Gutachter entscheiden nur über das, was sie sehen oder was man ihnen sichtbar macht. Ich warne davor zu glauben, dass die Wahrheit in all ihren Facetten immer auch als