Helge Hanerth

MPU Protokolle


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normal ist, kann ihren Gutachter durchaus erschrecken. Selbst wenn Sie recht haben sollten, muss der Gutachter erst mal seinen Blickwinkel entsprechend ausrichten wollen, um das auch wohlwollend sehen zu können. Sie müssen da schon ihren Gutachter gezielt motivieren, möglicherweise von einer anderen Gewohnheit zu lassen. Nur so hat die Wahrheit eine Chance den Ausgang des Gutachtens zu beeinflussen. Der wird sonst meist vom gewohnt, gefühlten Glauben bestimmt. Nur wo es gelingt der Erfahrung des Gutachters einen neuen Aspekt hinzu zufügen entsteht für Sie Hoffnung.

      An diesem MPU-Tag ging es mir nicht gut. Mir tat mein Versagen weh. Die Wunde war noch lange nicht verheilt. Da drüber wieder sprechen zu müssen schmerzte. Therapeutisch war von der Begutachtung nichts zu erwarten, und so empfand ich den Termin als ein weiteres Ereignis, dass die Pflaster auf meinen langsam heilenden Wunden der Schuld mit Gewalt abriss, um darunter zu schürfen. Es machte einfach ein mieses Gefühl, vor ein Tribunal zu treten, um trotz erkannter Schuld Erwartungen an das Gericht zu richten. Ja, wie ein Gericht empfand ich die Herren und Frauen Gutachter, die mich erwarteten. Eigentlich waren sie sogar ein Triumvirat. Für mich waren sie Ankläger und Richter in einer Person und vielleicht steckte ein bisschen auch Anwalt in ihnen. Ich fürchtete ihre herablassenden Blicke, die immer Recht haben mussten. Natürlich würden sie als Experten alles besser wissen. Diese Erniedrigung war aber hinzunehmen. Eine Alternative zu diesem Teil des Strafrechts gab es nicht.

      Das Gebäude des TÜV war ein schmuckloser Betonbau, wahrscheinlich aus den siebziger Jahren. Es war ein typischer Funktionsbau, der schon von weitem Büroatmosphäre verhieß. Autos und LKW, die auf die bekannten Fahrzeugprüfungen des TÜV hinwiesen, sah ich nicht. Offensichtlich waren die unterschiedlichen Abteilungen an diesem Standort räumlich getrennt. Beim Betreten des Gebäudes wechselte die Büroatmosphäre in eine klassische Amtsstimmung. Das Mobiliar war schon älter, der Anstrich der Wände wohl auch. Alles wirkte ein bisschen düster und kälter durch die Neonbeleuchtung. An einer Toilettentür war eine Benutzerordnung angebracht. Ein Pappschild an einer Flurtür mit einem Pfeil und der Aufschrift <zur MPU> führte mich durch eine Flurtür zu einer offenen Tür, hinter der sich ein kleines Büro mit aromatischem Kaffeegeruch befand. Das Fenster schmückte Vorhänge in mattem Lila und zwei Alpenveilchen, die ebenfalls im gleichen Farbton blühten. Neben dem Computer stand ein großer, leerer Kaffeebecher.

      Mit einem „Guten Morgen“ trat ich ein. Hinter dem Computer lugte ein schwarzhaariger Kopf hervor und fragte: „Sie kommen zur MPU? Wie ist ihr Name?“

      Nach meiner Antwort stand der Kopf auf, der einer zierlichen Frau gehörte. „Guten Morgen Herr Hanerth“, lächelte sie mich musternd an, und suchte dann aus einem vorsortierten Stapel nach meiner Akte. Sie erklärte mir, dass ich drei Stationen zu bewältigen hätte: eine ärztliche Untersuchung, einen Seh- und Reaktionstest sowie die psychologische Exploration. Alles zusammen würde grob drei Stunden dauern. Die Reihenfolge der Stationen könne sich ändern. Letzte Station sei aber auf jeden Fall der Psychologe. Zum Schluss fragte sie noch nach zusätzlichen Unterlagen, die ich vielleicht mitgebracht hatte für die Untersuchung.

      Dann durfte ich im Wartezimmer direkt nebenan Platz nehmen. Hier warteten bereits ein Mann in Bundeswehruniform, ein älteres niederländisches Ehepaar und zwei junge Männer, bei deren Anblick ich spontan dachte: ‚Lange haben die ihren <Lappen> aber nicht gehabt‘. Nach etwa einer halben Stunde wurde ich aufgerufen zum Reaktionstest.

      Die Leistungsdiagnostik ist ein Reaktionstest am Computer. Es ist ein automatisierter, audiovisueller Test. Der Test wurde von einem Assistenten gestartet, der dann wieder fortging. Während des Tests blieb ich somit allein. In dem Verfahren wurden körperliche Leistungsmerkmale wie Reaktionsfähigkeit, Konzentration und Aufmerksamkeit geprüft. Dazu waren in mehreren Blöcken mit unterschiedlichen Aufgabentypen in rascher Folge mehrere unterschiedliche Testaufgaben per Mausklick zu lösen.

      In einem Test wurden beispielsweise für einige Sekunden Bilder von Verkehrssituationen gezeigt. Ich kann mich z.B. an eine Straße mit Verkehrsampeln erinnern. Nach wenigen Augenblicken verschwand das Bild. Dann musste ich im Multiple-Choice Verfahren die Anzahl der beobachteten Verkehrsschilder anklicken. In anderen Beispielen wurde nach der Anzahl von Autos, Personen oder roten Ampeln gefragt. Der Test war sehr einfach. Oft hatte ich die Gegenstände in den Bildern durchgezählt, bevor das Bild verschwand. Herausfordernder war es mit einem Blick die Gegenstände intuitiv zu erfassen, wie ich das gerne bei Suchrätseln und einfachen Sudokos machte. Ich ahnte aber, dass jemand, der über Jahre sein Hirn weggesoffen hatte, bei den Aufgaben Schwierigkeiten haben würde. Die Aufgaben ließen wenig Zeit zum Überlegen. Der Ablauf war monoton. Ich musste mich immer wieder neu konzentrieren. Nach etwa zwanzig gefühlten Minuten war das Programm beendet. Eine Minute später kam der Assistent mit einer Stoppuhr rein und bat mich wieder im Wartezimmer Platz zunehmen. Dort wartete ich auf die nächste Station. Das Wartezimmer war mittlerweile mit zehn Personen gefüllt. Die niederländische Dame wurde von ihrem Mann begleitet. Man hatte sich also für diesen Vormittag zur Prüfung zehn Kandidaten vorgenommen. Die meisten Personen tranken Kaffee, von dem es reichlich aus einem Automaten auf dem Flur gab.

      Meine nächste Station musste der Arzt sein. Im verkehrsmedizinischen Part sollte die verkehrsrechtlich, relevante Krankheitsgeschichte abgefragt werden. Weiterhin stand eine körperliche Untersuchung an. Dazu gehörten unter anderem eine Blutdruckmessung und das Ablaufen einer geraden Linie. Unbedingt musste der Alkoholiker hier die lückenlose Labordiagnostik vom Hausarzt präsentieren, zum Nachweis der Abstinenzzeit. Genaueres zu diesem Teil beschreibe ich, nachdem ich mit dem Gesamtüberblick fertig bin im nächsten Kapitel.

      Im wichtigsten Teil, dem verkehrspsychologischen Gespräch, muss der Kandidat zeigen, dass er sein Fehlverhalten erkannt hat. Die Ursachen dafür muss er aufzählen und begründen können. Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen und praktisch umgesetzt. Wie lange sind diesbezügliche neue Verhaltensmuster eingeübt. Sind sie so stabil, dass sie neue Verkehrsauffälligkeiten verhindern können? Sechs Monate gelten als Minimum um Verhaltensänderungen zu festigen.

      Die psychologische Untersuchung ist streng verhaltenstherapeutisch ausgerichtet. Wiederkehrende Verhaltensmuster schleifen sich ein und sind prägend. Sie führen dazu, dass wir uns in unserem Verhalten nicht vom Verstand leiten lassen. Gerade Alkohol hat durch sein <Craving> (das ist das biochemische Einbrennen von Suchtdruck in das Gehirn) eine starke Wirkung. Der Druck zu trinken nimmt mit der Dauer des Alkoholmissbrauchs zu. Wie geht der trockene Alkoholiker in Zukunft mit diesem Druck um? Die Psychologen sehen das als eine lebenslange Herausforderung. Welche sinnvollen Methoden werden vom Kandidaten erfolgreich praktiziert?

      Das Urteilsvermögen und die Willensfähigkeit werden ebenso durch den Missbrauch zunehmend eingeschränkt. Der beste Beweis ist die häufige Unfähigkeit, wenn Alkoholiker nicht erkennen können, dass sie von der Krankheit betroffen sind. Die Vehemenz, mit der die Einsicht verweigert wird, ist bei erdrückenden Beweisen ein Indiz für einen manifesten Alkoholismus.

      Leider gibt es hierfür unzählige Beispiele. Mir lag ein Fall vor, wo ein beamteter Hauptschullehrer mangels Einsicht es geschafft hatte, dass ihm als nahezu unkündbarem Beamten gekündigt wurde. Nun lebt er bis zum Erreichen des Rentenalters von Sozialhilfe. Es wäre so einfach gewesen für seinen Dienstherrn, die bereitstehenden Optionen für eine anerkannte Krankheit anzuwenden. Schlimmstenfalls wäre das auf eine Frühverrentung nach 32 Dienstjahren hinausgelaufen. Nur - ohne das uneingeschränkte Ja zum Problem ging nichts. Die Einsicht muss glaubwürdig und nachvollziehbar sein.

      Im Internet finde ich noch den Hinweis, dass Gutachter oft um widerspruchsfreie Ausführungen bitten. Solche Bitten sind diskrete Hinweise darauf, dass die Gutachter dem Klienten nicht glauben mögen. Deutlicher ausgedrückt heißt das: Der Gutachter glaubt, Sie lügen ihn an. In diesem Zusammenhang las ich weiter Im Internet, dass wer glaubt Kritik üben zu müssen, sich das gründlich überlegen sollte. Nur glaubhafte Kritik macht es möglich, dass Kritik vielleicht nicht als ein Symptom der Krankheit bewertet wird von Ursachen abzulenken. So muss man sorgfältig darauf achten, dass keine Missverständnisse entstehen zwischen ernstem Widerspruch und dem Leugnen eines Defizits. Alleingänge sind dabei zu vermeiden, denn das Urteilsvermögen von Alkoholikern ist bedingt durch die Krankheit eingeschränkt. Besprechen sie sich mit einer Person deren Urteilsvermögen unzweifelhaft ist. Idealerweise ist das