Angelika Merkel

Vermächtnis der Sünder Trilogie


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Schlitterpartie zu begünstigen.

       Nach tagelangem Aufstieg gelangten sie endlich in den Hof der Wacht. Einige Männer eilten geschäftig hin und her, arbeiteten an der Schmiede oder sortierten Ware. Die Mehrzahl der hiesigen waren Nachfahren des einstigen Kommandanten dieser Festung. Händler und Schmiede. Sie hielten tapfer die Stellung in diesen abgelegenen aber standfesten Mauern und versorgten den im Innern arbeitenden Magier des Ordens mit Material.

       Sein faltiges Gesicht mit der Hand vor dem beginnenden Schneefall schützend, blickte Terzios die kaum verwitterten Mauern hinauf.

       »Als ob sich nichts geändert hätte«, murmelte er wie beiläufig und betrat die ersten Stufen zum Haupttor hinauf.

       Wenig später huschte seine Begleiterin leichtfüßig an Celena vorbei. Sie war wesentlich leichter bekleidet als Terzios und fror seltsamerweise nicht. Auf der Treppe, die ins Innere des steinernen Riesen führte, hielt Sebyll kurz inne.

       »Hoffentlich ist das hier keine Zeitverschwendung. Es ist ein wenig frisch hier oben.«

       Beide Brauen auf Celenas Stirn bildeten einen zusammengefügten Bogen. Sagte diese Formwandlerin gerade "Frisch"? Das war wohl kaum der richtige Ausdruck für die Kälte, die gierig durch die Rüstung bis zu ihrer Haut durchdrang. Scheinbar machte es der blonden Erscheinung weniger aus als ihr. Ungewollt schüttelte es ihr.

       Außer Atem kam ihnen der Quartiermeister Darius Leven, ebenfalls ein Nachfahre, entgegen. Er war es, der Celena mit der Nase auf die geschichtsträchtige Festung gestoßen hatte, in der Hoffnung seinen Namen reinwaschen zu können. Was ihm nur zur Hälfte gelang, nachdem sie erfahren mussten, was sich hier vor langer Zeit wirklich zugetragen hatte. Mit einem grüßenden Nicken trat die junge Hüterin auf den entgegenkommenden Mann zu.

       »Und? Hat sich unser Magier zwischenzeitlich gerührt?«

       »Ja, hat er.«

       Darius gönnte sich eine kleine Verschnaufpause, bevor er weitersprach. »Allerdings dachte ich zeitweise, er wäre still verstorben. Bis ich vor einigen Tagen einen Brief von ihm erhielt. Ich muss mich entschuldigen, denn ich war nicht in der Lage ihn an euch weiterzugeben. Zudem hatte ich keine Ahnung, wo ihr euch zurzeit befindet.«

       Celena nahm den Brief entgegen, welcher nicht mehr als ein gefaltetes Stück Pergament war. Ihre Augen sahen Darius fest an.

       »Habt ihr ihn gelesen?«

       »Es … es war ein Versehen«, stotterte er irritiert über ihren Blick.

       Sie unterbrach den Händler mit einer Handbewegung, der daraufhin sofort schwieg. Celena blickte überrascht auf das aufgefaltete Pergament, auf dem mit handschriftlichen Buchstaben nur ein Wort verfasst war.

       »Hat der Begriff "Schnell" irgendeine Bedeutung für euch?« richtete sie die Frage an ihre Begleiter.

       Terzios schnaufte missfallend auf. Er beugte sich leicht über Celenas Schulter. Was ihm nicht schwerfiel, war er doch einen Kopf größer als die junge Frau vor ihm.

       »Schnell bedeutet, wir sollten keine Zeit verlieren.«

       Die vierköpfige Gruppe hasteten die restlichen Treppen zum Hauptportal der Festung hinauf und betraten nacheinander die Eingangshalle. Auf dem Weg zum Magierturm trat Celena an die Seite Terzios.

       »Darf ich euch eine Frage stellen?«, erkundigte sie sich bei ihm.

       »Ihr dürft mir gerne auch eine zweite Frage stellen. Nun denn fragt!«

       »Ihr hattet dort draußen in der Wildnis erwähnt, dass es Geheimnisse unter den älteren Hütern gibt. Wie war das gemeint?«

       Man merkte Terzios an, das ihm das Thema nicht unbedingt genehm war. Er holte tief Luft, bevor er zu reden begann.

       »Die Tatsache, das Blut des Erzalten zu trinken ist solch ein Geheimnis. Aber um eure eigentliche Frage zu beantworten: ja! Es gibt wesentlich dunklere Geheimnisse. So wie jenes, welches ihr erst kurz vor eurem Kampf mit dem Erzfeind erfahren hattet. Das da hieß, das euer Leben zum Nutzen eines radikalen Sieges verkürzt wird. Oder, dass ihr unwiederbringlich vom Bösen verderbt seid und ihr euren Geliebten verlassen müsst, wenn die Zeit gekommen ist.«

       Celena hielt unmittelbar in dem Raum an, welchen sie gerade durchquerten. Es wirkte aufgeräumter als vor zwei Jahren. Noch immer standen hier wurmstichige Regale, samt zerfallene Folianten herum.

       Das graublaue Licht, welches durch die Riefen der Mauern kroch, bewirkten eine unausgesprochene Düsternis herauf. Sie legte sich in diesem Moment wie ein Mantel um Celena, denn Terzios hatte ihren wunden Punkt getroffen. Ihre Zähne mahlten knirschend aufeinander.

       Er sah sie kurz an, bevor er weitersprach.

       »Wenige unserer Brüder und Schwestern entdeckten das ganze Potenzial, welches in ihnen steckte. Doch die Ausschöpfung dieser Kraft brachte dummerweise mit sich, dass man schneller dem Bösen erliegt. Die so hochgepriesene "Rettet die Welt" Mission der Hüter ist nur ein theatralischer Nebeneffekt. Vielmehr geht es um Machtgehabe.«

       Terzios lehnte sich mit grau-fahlem Gesicht an einem hölzernen Stützbalken. Er wirkte müde und die Stimme wurde eine Oktave leiser.

       »Der Grund, warum wir uns in das dunkle Innere der Welt zurückziehen, wenn die Zeit gekommen ist, ist der, dass wir die eigene Boshaftigkeit in uns fürchten. Eher enden wir als Futter der "Anderen" als das wir uns noch tiefer in das Böse reißen lassen. Und doch gibt es einige, die auch dieses Potenzial voll ausnutzen.«

       »Ich war der Meinung, dass die San-Hüter nicht zu einem der "Anderen" werden.«

       »Nicht in ihrer Form. Ihr dürft eines nicht vergessen, wir haben das Blut des Erzgottes in uns. Sein Blut des abgrundtiefen Bösen. Nein, sie selbst sind noch gefährlicher als ein einzelner Horsock. Das Schlimme daran ist, sie wollen es nicht zugeben.«

       Unwirsch schüttelte Celena ihr Haupt, sodass ihre langen schwarzen Haare durcheinanderflogen.

       »Und wenn es so sein soll. Ich kann es nicht ganz nachvollziehen. Welchen Grund gibt es, dieses Potenzial erlangen zu wollen und vor allem wer würde …?«

       Der Alte seufzte traurig auf.

       »Ich kenne zwei. Mein Bruder Morco. Er hat einen Weg gefunden. Und der andere ist jener, zu dem wir gerade gehen wollen.«

       Unruhiges Trommeln durchdrang die folgenschwere Stille. Sebylls Finger klopften auf das Holz eines Tisches.

       »Ich denke, ihr könnt das später näher vertiefen. Erinnert ihr euch? Schnell? Das hat die Bedeutung, das wir uns sputen sollen.«

       Terzios nickte. Sofort erwachte in dem alten Hüter neue Kraft. Er stieß sich von dem Balken ab und durchmaß den kleinen Raum mit wenigen großen Schritten bis zum Treppenaufgang. Ehe er die metallbeschlagene Tür aufstoßen konnte, hielt ihn Celena zurück. Ihr war eine für sie wichtige Frage eingefallen.

       »Ihr habt vorhin meinen Geliebten erwähnt. Woher wisst ihr von ihm?«

       »Haufenweise Fragen. Sie enden wohl nie.«

       Überraschenderweise stellte sich Sebyll auf die Seite der jungen Hüterin. »Sie ist nicht gänzlich unberechtigt, alter Freund.«

       Ein winziges Lächeln breitete sich über die Mundwinkel des Alten. Er wandte sich Celena zu.

       »Schicksal ist - was man für ein Geschenk bereit ist zu geben.«

       »Natürlich!« Celena zuckte verständnislos mit den Schultern.

       »Was meint er damit?«, fragte sie daher Sebyll.

       Die blondhaarige Frau blinzelte lächelnd.

       »Alles was wir zuwege bringen, geschieht aus einem vorgegebenen Grund. Auch wenn wir darin im ersten Moment das völlige Chaos sehen, folgt es strickten Gesetzen.«

       * * *

      In seinen Studien vertieft, sah der uralte Magier der San-Hüter nicht auf, als Celena mit ihren neuen Begleitern den Turm betrat.

       Seine hagere Gestalt, Körper und Geist nur noch von seiner Magie zusammengehalten, stand über dem hölzernen Tisch gebeugt. Die Robe befand sich in einem ähnlich