Andreas Eichenseher

Goethestraße 8b


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sie sind ein... Ein Paar“, fragt er zaghaft.

      „Ich verstehe nicht.“

      „Egal. Egal. Haben sie einen Hund?“

      „Was?“ In der schlechten Rasur des Mannes kann man die letzten Mahlzeiten lesen.

      „Hund?“ Ulrich kneift seine Augen zusammen. „Wuff! Wuff!“

      Der neue Hausbewohner schüttelt genervt den Kopf.

      „Ja, sehr gut. Kein Hund.“

      Nun, da er ihm so nahe ist, scheint er sich getäuscht zu haben. Der neue Nachbar riecht nicht annähernd so furchtbar, wie es Ulrich erwartet hatte. Er folgt ihm weiter die Stufen hinab und konzentriert sich auf die ausgefransten Hosenenden des Mannes, da reißt ihn ein sympathisch warmes „Hallo“ aus seinen Gedanken und von den Fersen des Mannes.

      Eine grazile Frauenhand streckt sich vor seinen Körper und Ulrich schüttelt sie.

      „Ich glaube wir sind neue Nachbarn. Sie wohnen ja hier, oder?“

      „Sie... Ich.“ Ulrich blickt verdutzt in das Gesicht der Frau.

      „Ja“, sagt er und beginnt zu realisieren. „Wir wohnen sogar im selben Stockwerk.“

      „Sehr schön. Wie heißen sie?“ Ihre Nasenspitze ist so gerade und klein wie der Punkt auf seiner Tastatur. Ihre Augen und ihre Haare so braun wie die Schokolade, die er im Winter so gerne gegessen hat. Und die kleinen Grübchen, die es sich beim Grinsen in ihrem freundlichen Gesicht gemütlich machen, saugen ihn förmlich ein.

      „Ulrich. Ich heiße Ulrich.“

      Das peinlich berührte, stumme Lächeln beginnt. Und es dauert vier Sekunden bis die hübsche Frau gnädigerweise unterbricht.

      „Ich schlepp´ dann mal weiter.“

      „Ja.“

      Und während Ulrich sich langsam fragt, ob er die nette Frau fragen sollte, inwiefern ihr seine Hilfe beim Schleppen gelegen käme, wanderte er schon wieder nach unten.

      „Ich wollte ja dem Mann helfen. Dem... Dem Möbelpacker! Damit helfe ich auch ihr! Klar!“ Erquickt von seiner späten Erkenntnis sprintet er nach unten ins Erdgeschoss. Auf dem schmutzigen Boden dort klingt es häufig so, als würde man auf Sand spazieren.

      „Und? Was sagst jetzt“, klingt Rainers Stimme plötzlich von hinten. Der Hausmeister grinst schief.

      „Warum sagst du mir nicht gleich, dass da eine scharfe Bombe einzieht?“

      „Na weil ich sie explodieren sehen will“, meint Rainer.

      „Sag mir alles was du über sie weißt.“ Ulrich redet schnell.

      „Nicht viel.“

      „Ja was denn?“

      „Sie heißt Maria de Lima. Ist zur Hälfte Brasilianerin.“

      „Maria de Lima“, wiederholt Ulrich. „Zur Hälfte Brasilianerin. Und weiter?“

      „Na ja, ich schätze mal die untere Hälfte, also bei dem zünftigen Arsch.“

      „Mehr weißt du nicht?“

      „Mehr weiß ich nicht“, sagt der Hausmeister mit einem Zwinkern und verdrückt sich wieder.

      „He.“ Ulrich dreht sich zur bekannten Stimme. Der Möbelpacker wankt mit einem Karton in den Händen an ihm vorbei und macht ihn mit einer gezielten, aber unauffälligen Kopfbewegung auf den Kleintransporter an der Straße aufmerksam, dessen Inhalt sie in die Wohnung Marias schleppen.

      „Davaj, davaj“, ruft der Möbelpacker und lacht, während sich Ulrich anschickt das Gebäude zu verlassen. Da stößt jemand die Türe auf und kommt mit arrogantem Tonfall in der Begrüßung hereinspaziert.

      „Hey Hallo“, ruft der Mann in den Raum und Ulrich bremst ab.

      „Guten Tag“, sagt Hieronymus und nickt mit dem Kopf.

      Hieronymus ist 28, also nur wenige Jahre älter und doch erwartet er den Respekt, den man einem uralten, weisen Gelehrten zukommen lassen würde. Er nickt kurz mit dem Kopf und lässt seine schulterlangen Haare prachtvoll wackeln.

      „Wird Zeit dass die Papiertonne wieder ausgeleert wird“, sagt er mit rauchiger Stimme.

      „Ist der Professor noch immer drinnen?“

      Wieder nickt Hieronymus mit dem Kopf und schiebt seinen breiten, muskulösen Körper weiter durch das Foyer des Hauses. Er trägt nicht, wie meist, seine Sporttasche mit sich, er kommt sehr wahrscheinlich von der Seniorenresidenz, in der seine Großmutter untergebracht ist.

      Der zweite Möbelpacker erscheint und nimmt Ulrich mit nach draußen zum Lieferwagen, der neben der gekippten Papiertonne und dem Professor parkt.

      „Hey.“ Rainer spricht zu Hieronymus.

      „Wieder ein Neuer?“, fragt Hieronymus.

      „Ja. Eine Neue. Aber was Anderes.“ Untermalt vom rauen Ton und der wenig freundschaftlichen Beziehung wirft der Hausmeister ein kleines, aber schweres Paket gen Hieronymus.

      „Von wem ist das?“ Er fängt mit böser Miene, aber er fängt.

      „Paket-Bomben.de. Mein Internet-Versandhaus.“

      Tiefe Furchen in Hieronymus Gesicht, insbesondere um seine Augen. Des Hausmeisters Attacken kontert er schon seit längerem selbstsicher mit aggressiver Ignoranz. Weiche Schrittfolgen hallen leise durchs Treppenhaus, unterbrechen sanft die kurze Konversation und Hieronymus geht mit dem Paket unter dem Arm nach oben. Weiße Wände mit bröselndem Putz führen ihn in den ersten Stock, in dem er Maria begegnet.

      „Hallo. Ich bin die Neue hier im Haus.“

      „Schönen Tag. Sieht ja ganz gut aus.“ Er mustert ihren schlanken Körper, dessen Weiblichkeit tatsächlich mehr in der unteren Hälfte stattfindet.

      „Ja... richtig. Das Haus und die Wohnung haben mir auf Anhieb gefallen. Wie heißen sie?“

      „Hieronymus. Aber nennen Sie mich Hero. So nennt mich jeder.“ Er senkt den Kopf, bringt seinen Prachtkörper in Stellung und verengt langsam seine Augen.

      „OK.“

      „Und Sie heißen?“

      „Maria. Aber nennen Sie mich Maria. So nennt mich jeder.“

      Hieronymus will etwas sagen, aber über seine Lippen kriecht nur ein unerwartetes Hüsteln.

      „Auf Wiedersehen.“ Maria entschwindet in Richtung Erdgeschoss und es bleiben nur noch die tiefen Schrittgeräusche, die sich verzögernd entfernen und mit dem animalischen Lauten und den an Ulrich gerichteten Anweisungen der hart arbeitenden Umzugshelfer vermischen. Hieronymus geht leicht gebückt nach oben ins dritte und oberste Geschoss des Hauses. Zwei exakt gleich große Wohnungen liegen dort. Rechts die Seine, Links die von Bernd Schoß. Und eben jener zieht gerade vorsichtig am Türgriff. Hieronymus richtet und plustert sich auf, als der fahle Fischkopf Bernds durch den Türstock späht und nach einer kleinen Drehung erschrocken zusammenfährt, weil er Hieronymus entdeckt hat.

      „Bernd!“

      Die zunächst ausdruckslosen Augen des etwa Vierzigjährigen blitzen und zucken ängstlich.

      „Komm nur her. Wo willst du hin?“

      „Ich...“

      „Das interessiert mich nicht!“ Hieronymus brüllt den deutlich Älteren aus einer sicheren Distanz von zweieinhalb Metern an und geht zu seiner eigenen Wohnungstüre, um aufzusperren. Hinter seinem Rücken huscht der lange Bernd schnell die Treppen hinab wie ein schüchternes Eichkätzchen die Baumrinde und es ist auf einmal still um Hieronymus.

      Er schließt die Tür hinter sich und wirft sich auf sein Bett. Die Schuhe hat er noch an, die Füße hängen von der Kante und das Gesicht vergräbt sich in das