Andreas Eichenseher

Goethestraße 8b


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du...! Ich arbeite! Du weißt, dass ich nur schreiben kann, wenn ich allein bin. Verschwinde!“ Er drehte sich nicht herum, während er seine Tochter beschimpft. Sie sah nur seitlich seinen grauen Schnauzer, der sich im Takt zu den lauten Worten bewegte.

      „Essen“, sagt sie leise und mit hängendem Kopf, da dreht sich Erichs Gesicht zum ersten Mal zu ihr.

      „Gut.“

      Sie sitzen sich gegenüber. Man hört nur das Klirren der Teller, wenn die Löffel dagegen schlagen und das Schlürfen der Nudelsuppe, die gerade nicht zu heiß ist.

      Erichs Blick richtet sich einzig und allein auf sein wackeliges Besteck und deren Inhalt. Er isst mit seiner wenig feinmotorischen linken Hand.

      Seine rechte Hand fehlt. Ab dem Gelenk.

      Promesia beobachtet ihn beim Essen, doch anstelle mitleidige Blicke in Richtung ihres Vaters zu versprühen ist es aufschäumender Hass, der in ihren Augen brodelt. Beides wäre berechtigt.

      „Krieg ich...“, fragt Promesia, aber Erich unterbricht sie mit vollem Mund noch bevor sie ausreden kann.

      „Nein“, sagt er und zieht es in die Länge, als ob er eine Mauer bauen wollte.

      „Krieg ich eine neue Jacke? Eine Schöne. Eine Billige. Nicht mehr als vierzig Euro.“

      Erich legt den Löffel in den Teller, hebt seinen Blick und verharrt. Man kann nur schwer erraten, ob sein Schweigen vom Nachdenken über das Eingehen auf ihre Forderung herrührt, oder ein striktes Ablehnen ihres Wunsches bedeuten soll.

      Noch übertönt der sanfte Regen alles, auch sein Schlucken.

      „Ihr wollt immer nur! Ihr wollt immer nur!“ Das Schweigen wird gebrochen. „Ihr müsst lernen mit wenig auszukommen bevor es zu spät ist. 14 Jahre. Das ist doch eine lange Zeit. Du hattest doch eine schöne Zeit! Respektiere die Vergangenheit, dann... Dann kannst du dich demütig in Verzicht üben.“

      „Nur weil du verzichten musst, brauch ich mich doch noch lange nicht anpassen! Nur weil...“

      „Ich bin dein Vater! Das einzige Element, an das du dich anpassen musst, bin ich!“

      „Soll ich mir die Hand abschneiden, damit ich aussehe wie du?“

      „Du verstehst nicht. Du bist jung und dumm.“

      „Und was ist mit deinem Vater?“

      „Der ist tot!“

      „Dann pass´ du dich doch an ihn an!“ Die Tochter springt vom Stuhl auf, stampft in ihr Zimmer und vollendet ihre wütende Darbietung mit dem lauten Knall der Türe, die sie fest ins Schloss zieht. Ganz gewohnt.

      „Dummes Kind. Kaum wachsen ihr Brüste hat sie eine Meinung vom Leben“, murmelt Erich argwöhnisch. Seine Augen richten sich kurz auf die Suppe vor ihm, wandern dann aber schnell weiter zu einem Bild an der Wand. Völlig vereinnahmt starrt er es an, sein Mund bleibt andächtig geschlossen und als unter den zittrigen Lidern seine Augen zu glänzen scheinen, wirft ihn ein ermutigender, doch ebenso schmerzender Gedanke aus der inszenierten Contenance.

      „Du wirst noch bereuen so vorschnell davongelaufen zu sein“, sagt er zu der Frau, die auf der Bleistiftzeichnung glücklich lacht. Promesia hatte vor zwei oder drei Jahren – so genau hat Erich sich das nie gemerkt – ihre Mutter, seine Ehefrau gezeichnet. Sie sieht so glücklich aus auf dem Portrait. Promesia hatte sie sehr realistisch zu Papier gebracht.

      Erich steht auf, lässt den halbleeren Teller halbvoll und das Geschirr auf dem Tisch stehen. Dann verlässt er die erkaltende Küche, um sich in das breite Ehebett zu legen.

      Langsam, ganz langsam schließt Erich seine Augen. Er strengt sich an, bemüht seine Phantasie und irgendwann, irgendwann ist es wieder da. Es ist kein Traum, der in seinem Kopf umher schwirrt, sondern sein Wunsch, sein angestrebtes Ziel.

      „Herr Einweg“, sagt der junge, attraktive Talkshow-Moderator mit der eingänglichen Stimme. „Sie waren Schreiner, haben bei einem Arbeitsunfall ihre rechte Hand verloren und sind nun zu 50% behindert.“ Das Scheinwerferlicht schwenkt im Einklang mit den hunderten Blicken im Studio auf ihn.

      „Das ist so nicht richtig. Der Grad der Behinderung ist keine Prozentangabe“, berichtigt ihn Erich.

      „Ach so. Nun, das ist dennoch ein stark einschneidendes Erlebnis, oder nicht?“

      „Natürlich sehr einschneidend. Im wahrsten Sinne des Wortes. Erst einmal weil mir die Hand abgeschnitten wurde. Und dann...“

      „Inwiefern hat es denn ihre Psyche beeinflusst dann so ein Buch zu schreiben“, unterbricht der Moderator Erich.

      „Das... Meine Willenskraft hat sich sehr bald gestärkt und natürlich hat mich der Unfall verändert“, antwortet Erich in gepflegtem Deutsch. „Ich habe meine Hand verloren und kurze Zeit später meine Frau.“

      „Wie haben Sie Ihre Frau verloren?“

      „Na, sie ist einfach davongelaufen. Einen Krüppel wollte sie nicht. Doch sie hat nicht nur ihren Ehemann und ihre 14-jährige Tochter verlassen. Sie hat nun im Nachhinein auch das Geld und den Ruhm verlassen, das sie beides immer so gerne gehabt hätte.“

      Der Moderator lacht und legt ein Bein auf das Andere.

      „Also wusste Ihre Frau gar nicht, dass Sie an einem Welt-Bestseller arbeiten?“

      „Man weiß vorher doch nicht, dass es ein Welt-Bestseller wird.“

      „Natürlich nicht, das ist richtig. Aber wusste Ihre Frau von ihrer Tätigkeit als Autor?“

      „Ja. Ja, sie wusste es. Ich habe ja auch schon dementsprechende Kinderbücher verfasst, die meine Doktrin, wenn ich es so nennen darf, beinhalten. Aber mein Talent war in ihren Augen nie vorhanden. Sie hatte Angst, den Rest ihres Lebens verarmt mit einem einarmigen Gulaschfresser auszutrocknen.“

      „Ja.“ Der Moderator will etwas sagen, unterbricht wieder kurz um erheitert zu lachen, setzt dann aber wieder sein Interview fort. „Doch die Anerkennung der Gesellschaft jetzt und die Aufmerksamkeit von Freunden und Bekannten während dem Arbeitsprozess wird Ihnen sicherlich sehr geholfen haben, oder?“

      „Wie meinen Sie das? Ich habe doch niemandem davon erzählt! Außer meiner Frau und meiner Tochter wusste niemand dass ich überhaupt gedachte Schriftsteller zu werden.“

      „Wirklich nicht? Sie haben das für sich behalten? Sehr beeindruckend. Wirklich sehr beeindruckend!“

      Die Gäste im Studio beginnen zu klatschen und auch die anwesende Prominenz tut es ihnen gleich.

      „Vielen Dank.“

      Der Moderator fasst sich kurz ans Kinn und legt dann wieder einen scharfen, nachdenklichen Blick auf.

      „Nun ist es ja eher ungewöhnlich, dass ein sozialkritisches Erziehungsbuch so enorm erfolgreich wird. Noch dazu von einem ehemaligen Schreiner, ohne akademischen Abschluss. Wie erklären Sie sich das?“

      „Für die Wahrheit braucht es keine Titel oder Abschlüsse. Nur Wachsamkeit und Vernunft. Ich freue mich sehr, dass die Mehrheit der Menschen die gleiche Ansicht teilt wie ich und nun wird man sehen, ob sich die Gesellschaft in Zukunft auch entsprechend meiner Marschroute fortbewegt.“

      „Und wenn nicht, haben sie mit den Einnahmen zumindest ihre Zukunft gesichert, oder?“

      Erich räuspert sich, grinst und die prominenten Studio-Gäste tun es ihm gleich.

      Dumpfe Schritte. Sie reißen Erich aus seinen Illusionen und er stiert in die Luft. Maria und Ulrich kommen vom Einkaufen nach Hause und stapfen die Treppe hoch.

      „Und was wirst du damit kochen?“ Sowohl auf Ulrichs, als auch auf Marias Lippen glitzert eine lächelnde Versuchung der nächsten Annäherung.

      „Salat“, sagt sie zwinkernd.

      „Salat! Ich wollte heute auch Salat essen.“