Andreas Eichenseher

Goethestraße 8b


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      „Willst du... Also möchtest du... Ich meine: Wollen wir gemeinsam kochen? Vielleicht ist deine Küche noch nicht ganz fertig, ist sie?“ Es fällt Ulrich schwer, so direkt zu fragen und er beißt sich auf die Zunge.

      „Ja gerne! Wann soll ich zu dir kommen?“ Anscheinend ist ihre Küche wirklich noch nicht ganz fertig und Ulrich nimmt seine Zähne wieder von der Zunge.

      „Mir gleich. Also du kannst jetzt kommen oder auch später.“

      „Warte... Morgen wäre besser, ich habe noch was von heute Mittag übrig. Also morgen Abend?“

      „Ja. Das ist gut. Sehr gut.“

      „Bis dann“, verabschiedet sich Maria und dreht sich zu ihrer Türe.

      „Bis dann.“ Zarte Haut, wie Kissen, sie verschwindet, ach sie verschwindet und zieht die langen, braunen Haare hinter sich mit, weg. Was so duftet, das man hinein beißen, was so in den Augen, das man es gerne in den Händen, schon war es fort. Ulrich atmet tief ein und betritt seine Wohnung.

      „Eigentlich ganz schön spartanisch und einfältig hier“, sagt er sich. „Kahle Wände. Nicht ein buntes Element. Soll ich die Räume noch für Maria dekorieren?“

      Er geht langsam spähend durch die Zimmer - „Ach, ich weiß es nicht.“ - und belässt wegen mangelnder Entscheidungsfreude alles beim Alten. Keine Veränderung. Und ebenso gewohnt setzt er sich vor den Computer und verbindet seine Gedanken über die Fingerkuppen mit den Lettern, die auf dem Bildschirm erscheinen.

      „Aber wie weit sollte man gehen“, tippt er. „Dieser Frage, dieser Grenze bedarf es immer. Wenn ich behaupte: `Mach die Angst zu deinem Pfad` , sollten sich Menschen, die Angst vor dem Tod haben, dann das Leben nehmen?

      Ja?

      Es kann durchaus sein, dass Sie diese Meinung vertreten, doch ich denke anders.

      Bezüglich meiner These der nicht notwendigen Aufmerksamkeit, die besagt, dass wir sie zwar alle wollen und anstreben, aber uns in Verzicht üben sollen und dadurch viel ausgewogen glücklicher wären, gibt es auch hier Grenzen. Aufmerksamkeit ist kein notwendiger Nährstoff des Menschen, aber inwiefern definiert sich beispielsweise eine romantische Beziehung zu einem anderen Menschen als reine Befriedigung eines üblichen Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms, das in dieser Form jeder Mensch besitzt?

      Genau hier gebäre ich in Vernunft eine Grenze.

      Liebe oder einfach Zuneigung ist ein Prozess, der nicht `nur` egoistisches Aufmerksamkeitserlangen zum Ziel hat, sondern auch selbstlose Hingabe eines Menschen für einen Anderen.“

      IV

      Draußen scheint die Sonne, sie ist noch stark, doch die Glühbirne an der Decke arbeitet ebenso fleißig. Jemand kommt ins Haus, die Tür fällt zu und der Laut, der wie der letzte Glockenschlag der Arbeitsverhütung anmutet, reißt Rainer aus seinem Schlaf. Mit kleinen Augen hebt er seinen Kopf, sieht nach links, sieht nach rechts auf die Uhr und reibt sich das Genick.

      „Ah, gut. Feierabend“, sagt Rainer guttural und der eben eingetretene Hieronymus besieht ächtend sein Gesicht. Da geht das Licht aus.

      „Hey“, schreit der Hausmeister. „Dreh das Licht wieder an!“

      „Was sind sie nur für ein impertinenter Prolet! Ich weiß nicht mal wo der Schalter zu Ihrer... Feierabendlampe ist!“ Hieronymus schrie, sah Rainer dabei nicht in die Augen und verschwindet nun schnell im Treppenhaus.

      „Mit dem Parfum könnte man Banken ausrauben“, ruft Rainer noch hinterher, aber Hieronymus kann oder möchte ihn nicht mehr hören.

      „Feierabendlampe“, murmelt der Hausmeister indessen belustigt und blickt verdutzt nach oben.

      „Mensch...“ Er steht auf und drückt mehrmals auf den Schalter, der anderthalb Meter entfernt von ihm an der kalten Wand montiert ist.

      „Die ist kaputt“, sagt er und erinnert sich an einen Auftrag der Vermieterin.

      „Ach, nein.“ Rainer dreht sich herum und öffnet den Karton, der auf dem Boden neben seinem Tisch steht. Zig Energiesparlampen liegen darin und warten nur darauf in die Fassungen der Treppenhausbeleuchtungen geschraubt zu werden.

      „Oh ja. Morgen“, gähnt Rainer. „Oder übermorgen, da fang´ ich mit euch an.“

      Und oben im zweiten Stock öffnet sich gerade ganz langsam die hölzerne Wohnungstüre Ulrichs.

      „Hallo“, sagt er erschrocken und die harte Antwort Hieronymus´ tut dem Schreck keinen Abklang. Er huscht vorbei und schreitet hinauf ins dritte Stockwerk, doch sein markanter Duft schwingt flott in Ulrichs Nase.

      „Oh. Sehr gut. Der Geruch... Sollte ich auch? Oder nein. Nein, das wird schon passen.“ Manche Wörter zog er übermäßig in die Länge.

      Maria de Lima. Der Name steht am Türschild und Ulrichs linker Zeigefinger drückt auf die Klingel. Ein schriller Ton fährt durch Marias Wohnung bis in seinen Kopf.

      „Ulrich? Hallo.“ Sie blickt ertappt durch einen kleinen Spalt zwischen Türstock und -blatt.

      „Hallo. Was... Machst du gerade?“

      „Wieso?“ Auf einmal scheint sie gar nicht mehr erfreut von seiner Anwesenheit.

      „Tut mir Leid. Störe ich?“

      „Nein, nein. Warte, warte. Ich komme gleich rüber zu dir, OK?“

      „OK.“

      Mit etwas hängendem Kopf wartet Ulrich an der Tür und schiebt die Hände in die Tasche, da kommt Maria auch schon wieder aus ihrer Wohnung gebraust.

      „Auf geht’s. Hast du Hunger“, fragt sie mit dem Salat und der Gurke in ihren beiden Händen.

      „Na... Natürlich.“

      Sie gehen in seine Wohnung. Ulrich hält ihr sämtliche Türen auf und man riecht es schon die ganze Zeit. Als sie in der Küche stehen, kann Maria nicht mehr anders als zu fragen.

      „Ist das... Ist das...“

      „Ja genau“, meint Ulrich stolz. „Lasagne.“

      „Du hast schon gekocht? Ich dachte wir wollten gemeinsam kochen?“

      „Den Salat? Den Salat. Den müssen wir auch noch machen. Bist du... Sauer?“

      „Nein, im Gegenteil! Salat: Gern. Kochen: Fremd.“ Maria beginnt zu lachen und Ulrich stimmt mit ein.

      „Wunderbar“, sagt er erleichtert und reicht ihr ein großes, scharfes Messer. Die beiden schneiden simultan das Gemüse auf den Holzbrettern und werfen Salatstreifen und Gurkenscheiben in eine gläserne Schale.

      „Du wohnst auch noch nicht so lange hier im Haus, oder“, fragt sie ihn.

      „Je nach dem. Seit über einem Jahr. Ist das lang?“

      „Länger als ich dachte.“ Sie streift die letzte Gurkenscheibe von der Messerschneide und sieht sich nochmal die Wände an. Eine füllende Leere. Weiße Wände, die nur von den Türen unterbrochen werden. Nicht ein Bild, nicht eine Pflanze. Drapieren zählt nicht zu Ulrichs Interessen.

      „Deine Wohnung wirkt kahler und blasser als eine evangelische Kirche.“

      Erwischt, erschrocken, verärgert über sich selbst, aber vor allem nach Worten ringend blickt Ulrich in Marias braune Augen und schluckt. Doch dann grinst er und seine Emotion ist nicht nur gespielt.

      „Ich bin froh, dass du eingezogen bist.“

      „Danke“, sagt Maria und lächelt angetan.

      „Du bringst... Du bringst einen frischen Wind rein. Den braucht dieses egozentrische Haus dringend.“

      „Ein egozentrisches Haus. Na, wie soll ich das verstehen?“

      „Ich