Olaf Sandkämper

Enophasia


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Richtung des grünen Waldes habe ich Fußabdrücke gefunden, wie von einer großen Katze, einer sehr große Katze, einer riesigen, gewaltigen …“

      „Ja, ja, ist ja gut“, unterbrach ihn Silberstreif. „Ich möchte dich bitten, mit uns zu kommen und uns die Stelle zu zeigen. Du würdest uns damit einen großen Gefallen tun!“

      „Tja, eigentlich komme ich gerade von dort und bin auf dem Weg in die entgegengesetzte Richtung. – Außerdem hängt mein Beutel hier an dieser dummen Baumwurzel fest, den muss ich erst frei bekommen!“

      Silberstreif fädelte behutsam sein Horn in den Stoff des Beutels und zog ihn vorsichtig unter der Baumwurzel hervor.

      Simnil staunte: „Wie hast du das gemacht? Ich meine, der Sack war total eingeklemmt!“

      „Gehen wir“, fiel ihm Silberstreif ins Wort, „je eher wir hier weg kommen, umso besser.“

      Simnil fasste sorgfältig den Beutel am oberen Ende und sagte bedächtig: „Wie ich schon sagte, mein Weg führt leider in die andere Richtung.“

      Damit sauste er zwischen den Beinen von Silberstreif hindurch und rannte wie ein geölter Blitz in Richtung des dunklen Waldes. Er war so schnell, dass er eine Staubfahne hinter sich herzog. Dabei besaß er noch die Frechheit zurückzublicken und zu rufen: „Passt gut auf euch auf und lasst euch nicht fress…“.

      Rumms, knallte er gegen etwas und landete unsanft auf dem Hosenboden. Das Etwas war weiß und hart und als er aufblickte sah er in Silberstreifs dunkle Augen, die ihn ein wenig spöttisch anblickten. Er war voll gegen das rechte Vorderbein des Hengstes gelaufen.

      „Wie kommst du denn hier her?“, kreischte Simnil fassungslos. „Du warst doch eben noch dort!“, stammelte er, während er in die Richtung zeigte wo die anderen Einhörner warteten.

      Silberstreif kam ganz nah an Simnils Gesicht heran und sagte: „Du bist sehr schnell, Baumzwerg. Aber wir Einhörner hängen manchmal sogar unseren eigenen Schatten ab. Wenn du nicht mit uns kommen willst, bitte ich dich, wenigstens eine Zeit lang bei meiner Familie zu bleiben und sie zu beschützen, während ich mir mal ein wenig weiter vorne die Spuren ansehe. So ein erfahrener Waldläufer wie du würde uns damit wirklich sehr helfen!“

      „Na ja“, sagte der Zwerg geschmeichelt und klopfte sich den Staub aus der Kleidung. „Wenn das so ist, kann ich die Kleinen ja mal ein wenig im Auge behalten.“

      Gefahr im grünen Wald

      Nachdem die beiden zur Gruppe zurückgekehrt waren, verabschiedete sich Silberstreif, um allein den vor ihnen liegenden Weg zu erkunden. Die Familie legt sich nieder und wartete. Simnil hatte es sich etwas abseits auf einer kleinen Anhöhe unter einem Baum bequem gemacht und starrte in den Himmel. Hier, an der Grenze zwischen dem dunklen und dem grünen Wald, wechselte ständig die Farbe des Himmels. Mal war er blau, dann wieder schwarz und wolkenverhangen. Als er so da lag und nach oben starrte, wurde sein Blick von einem schwarzen Klumpen hoch in den Bäumen angezogen - ein Vogelnest. „Das hole ich mir später“, dachte er schläfrig.

      Er sah auf die drei Einhörner, die regungslos und eng aneinander gekuschelt im weichen Moos lagen, die Köpfe tief auf dem Boden, als ob sie schliefen. Simnil hatte sich anfangs gewundert, dass die Kleinen so brav bei ihrer Mutter blieben, anstatt herumzutollen, wie es kleine Fohlen sonst tun. Aber die drei waren so müde, dass sie die Gelegenheit zu einem kleinen Schläfchen nutzten, solange Silberstreif fort war.

      Die Müdigkeit steckte Simnil an. Er gähnte herzhaft und drehte sich auf die linke Seite, damit er die drei besser im Blick hatte.

      „Ein kleines Schläfchen wird mir auch gut tun“, dachte er und schloss die Augen. „Dieser Hengst ist sicher ruck zuck wieder hier, so schnell wie der ist.“

      Dann hörte er ein leises Knacken.

      Sofort war Simnil hellwach und schlug die Augen auf. Sonst bewegte er sich nicht. Das Geräusch war aus nächster Nähe gekommen und kaum zu hören gewesen.

      Aber die Einhörner hatten es gehört. Ihre Köpfe flogen hoch und sicherten nach allen Seiten. Simnil staunte darüber, wie fein die Sinne dieser Wesen sein mussten. Er selbst hatte das Knacken zwar auch gehört, aber er befand sich ja auch in unmittelbarer Nähe des Verursachers. Die Einhörner aber waren ein ganzes Stück weit weg. Gleichzeitig stellten sich ihm vor Entsetzen die Nackenhaare auf. Denn er wusste aus Erfahrung, dass die Art des Geräusches nur einen Schluss zuließ. Es war ein Jäger, der sich anpirschte.

      Gleich darauf schob sich ein mächtiger Katzenkopf an dem Baum vorbei, unter dem es sich Simnil bequem gemacht hatte. Den Blick starr auf das Ziel gerichtet, ging eine riesige Katze, mit Eckzähnen lang wie Dolche, so dicht an ihm vorbei, dass er sie hätte berühren können.

      Aber da war noch etwas anderes. Irgendetwas stand dicht hinter ihm und schnupperte an ihm und seinen Sachen. Er spürte einen warmen Atem in seinem Nacken. Simnil lag ganz still und hielt die Luft an. Er zweifelte keinen Moment daran, dass hinter ihm eine zweite Katze stand, die versuchte seine Witterung aufzunehmen. Simnil hoffte inständig, dass seine Kleidung wie der Wald roch und seinen eigenen schwachen Körpergeruch überdeckte. Das Ganze dauerte nur einen Moment. Aber ihm kam es wie eine Ewigkeit vor.

      Dann war es wieder still hinter ihm. Die erste Katze war den Abhang zur Hälfte hinab gestiegen und ging direkt auf die Einhörner zu. Unten stand die kleine Gruppe und blickte dem Feind entgegen. Ein leises Schnauben von Morgenröte und die Fohlen liefen hinter ihre Mutter.

      Simnil, der immer noch auf der Seite lag, drehte sich ganz langsam auf den Rücken. Jetzt konnte er auch die zweite Katze sehen. Auch sie ging den kleinen Abhang hinunter, schlug aber einen Bogen und näherte sich den dreien von der Seite. „Sie nehmen sie in die Zange“, dachte Simnil und griff ganz langsam nach seinem Beutel. Dann sprang er auf, flitzte los und war im nächsten Augenblick hinter dem Baum verschwunden.

      „Silberstreif!“, wieherte Morgenröte voller Angst. Rosenblüte, die gesehen hatte wie Simnil verschwand, rief ihm nach: „Simnil! Hilf uns, bitte!“ Aber vom Zwerg war nichts mehr zu sehen. „Silberstreif!“, schrie Morgenröte noch einmal, diesmal voller Panik.

      Die beiden großen Katzen waren jetzt bedrohlich nahe. Die zweite Katze, die sich den Einhörnern von der Seite genähert hatte, duckte sich bereits zum Sprung, spannte die Muskeln und … sprang brüllend in die Höhe. Dann drehte sie sich um sich selbst, als hätte sie einen Feind im Rücken. Schneekristall sah, dass sie am Hinterteil blutete. Gleich darauf brüllte die Katze auf der anderen Seite und das Schauspiel wiederholte sich.

      Schneekristall sah verwirrt hinüber zu dem Baum, hinter dem Simnil verschwunden war, konnte aber nichts entdecken. Dafür brüllte plötzlich die Katze mit der Wunde auf dem Hinterteil erneut auf. Diesmal blutete ihre Nase. Und gleich darauf erscholl vom Baum auf der Anhöhe ein Hornsignal.

      Simnil war zurückgekehrt und deckte mit einer Schleuder die Katzen mit einer Reihe von kleinen, aber dafür äußerst scharfkantigen Geschossen ein. Es zeigte sich, dass er dabei äußerst geschickt vorging. Denn nicht eines seiner Geschosse verfehlte sein Ziel.

      Schließlich wurde es einer der beiden Katzen zu bunt, sie wendete sich von den Einhörnern ab und griff den Baumzwerg an. Der aber kletterte wieselflink den Baum, neben dem er stand, hinauf. Die Katze sprang ihm nach und zog sich mit kräftigen Armzügen hinauf. Simnil warf beim Hinaufklettern immer wieder kleine Steinchen, Stöckchen und sogar Sand aus seinem Beutel auf die Katze, was diese nur noch wütender machte.

      Nachdem der Baumzwerg die beiden Katzen getrennt hatte, konnte Morgenröte sich nun ganz auf den verbliebenen Angreifer konzentrieren. Sie war immer noch geschwächt und die Raubkatze schien das zu spüren. Ihr Horn leuchtete nur schwach und jedes Mal, wenn die Katze angriff, schoss ein Lichtblitz heraus. Aber das Raubtier war auf der Hut und wich dem tödlichen Licht geschickt aus. Doch jeder abgegebene Lichtstrahl schwächte das Einhorn.

      Geduldig wartete die riesige Katze auf ihre Gelegenheit. Nach kurzer Zeit war Morgenröte so wackelig auf den Beinen, das