Olaf Sandkämper

Enophasia


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war ganz grün im Gesicht. Er glitt, mit einer Hand vor dem Mund, vom Rücken des Einhorns herunter und war gleich darauf hinter einem Baum verschwunden.

      „Was hat er denn?“, fragte Morgenröte die inzwischen erwacht war und auch einen ganz munteren Eindruck machte. „Er hat dir Elfenkraut mitgebracht“, grinste Silberstreif.

      Schneekristall war zu Simnil hinter den Baum gesprungen und fragte mit der Unschuld eines Fohlens: „Dir geht’s wohl nicht gut, wie?“

      „Hau ab, lass mich in Ruhe!“, würgte der Zwerg, „und gib das deiner Mutter!“

      Mit diesen Worten nahm er den Beutel ab und warf ihn ohne sich umzudrehen nach hinten, Schneekristall direkt an den Kopf. Gehorsam trabte das kleine Einhorn mit dem Beutel im Maul zu seinen Eltern.

      Simnil brauchte noch eine ganze Weile, um sich zu erholen. Als er schließlich wieder hinter dem Baum hervorkam, kreidebleich und noch etwas wackelig auf den Beinen, stellte er fest, dass alle Einhörner wieder wohlauf waren und sich offensichtlich gut erholt hatten. Morgenröte und die Fohlen machten sich gerade hungrig über das Elfenkraut her, während Silberstreif ihnen dabei zuschaute. Seine Augen strahlten vor Glück.

      „Simnil!“, riefen Rosenblüte und Schneekristall wie aus einem Mund und liefen auf den Baumzwerg zu. Zärtlich rieben sie ihre Nüstern an dem kleinen Kerl, der nicht wusste, ob er die Liebkosungen abwehren oder sich darüber freuen sollte. Auch Morgenröte kam hinüber, um sich bei ihm zu bedanken.

      „Es ist gut, …es reicht jetzt“, murmelte Simnil verlegen. Aber es war ein gutes Gefühl, gleich von drei Einhörnern einen Beweis ihrer Dankbarkeit zu bekommen. Außerdem hatte er die beiden Fohlen so richtig ins Herz geschlossen. Und nachdem er gesehen hatte, welche Gefahren den vieren auflauerten, hatte er auch ein wenig Angst um sie bekommen. Aber das würde er natürlich niemals zugeben.

      „Simnil wird uns noch ein Stück begleiten!“, sprach Silberstreif und unterbrach damit das allgemeine Geschmuse.

      „Oh, wirklich? Wie schön!“, „Das ist ja toll!“, „Ich freue mich ja so!“, riefen alle durcheinander. Ihre Freude darüber war wirklich unbeschreiblich.

      Simnil wurde ganz warm ums Herz. Er räusperte sich und um seine Verlegenheit zu überspielen sagte er: „Ja, ja, schon gut. Wie ich sehe, seid ihr alle wieder auf den Beinen und guter Dinge. Das freut mich. Aber nun sollten wir uns sputen und in den grünen Wald ziehen. Habt ihr nicht gesagt, ihr wollt zum 'Palast des Lichts'? Bis dahin ist es noch ein gutes Stück Weg. Wir sollten also aufbrechen.“

      „Du weißt, wo der 'Palast des Lichts' ist?“, fragte Schneekristall erstaunt.

      „Natürlich! Ein Waldläufer kennt schließlich seinen Wald!“ erklärte Simnil, der sich in Hochstimmung befand, großspurig. Damit stapfte er los und führte die Einhörner geradewegs in das dichte Unterholz des grünen Waldes hinein.

      „So, so, du kennst also den Weg zum ‚Palast des Lichts’“, lächelte Silberstreif den Baumzwerg vielsagend an. Er ging mit Simnil ein Stück voraus, während Morgenröte mit ihren beiden Kindern hinterher ging und ihnen die Pflanzen und Tiere des Waldes erklärte. Seitdem sie den dunklen Wald verlassen hatten, waren die Kleinen spürbar lebhafter geworden und entfernten sich schon mal ein Stück von der Gruppe. Aber jedes Mal wenn Morgenröte nach ihnen rief, trabten sie brav zu ihrer Mutter zurück.

      Simnil fühlte sich ertappt und versuchte seine Flunkerei zu entschuldigen. „Was hätte ich denn sagen sollen. Der Kleine sah mich mit so großen Augen an, da konnte ich irgendwie nicht anders. Ich weiß, dass das nicht richtig war. Aber ich fühlte mich so…großartig. Da ist es wie von selbst über meine Lippen gekommen.“

      „Du bist großartig!“, antwortete Silberstreif, „du hast es nicht nötig zu prahlen.“

      „Vielleicht kannst du mir ja die ungefähre Richtung sagen…?“, fragte Simnil das Einhorn hoffnungsvoll.

      „Vielleicht“, sagte Silberstreif. Er hatte sich vorgenommen, den Baumzwerg eine Weile zappeln zu lassen.

      Inzwischen waren Schneekristall und Rosenblüte nach vorne getrabt, um ein Stück Weg gemeinsam mit Simnil zu gehen.

      „Wenn du nicht mehr kannst, darfst du auf meinem Rücken reiten“, erklärte ihm Schneekristall ganz ernst.

      „Du kannst ihn noch nicht tragen“, belehrte Rosenblüte ihren Bruder. „Mama sagt, dein Rücken ist noch lange nicht stark genug dazu!“

      „Ist er doch!“ „Ist er nicht!“ „Doch!“ „Nein!“

      „Hört auf zu streiten, Kinder!“, mischte sich Silberstreif ein, „eure Mutter hat Recht. Es wird noch sehr lange dauern, bis euer Rücken stark genug ist, um einen Baumzwerg zu tragen.“

      Rosenblüte kam dichter an Simnil heran. „Als du beim Kampf gegen die Raubkatzen plötzlich verschwunden warst, dachte ich, du würdest uns im Stich lassen. Ich schäme mich für diesen Gedanken!“

      Simnil streichelte Rosenblütes Hals. „Ich musste doch Verwirrung stiften und das ging am Besten aus dem Hinterhalt. Du musst dich nicht schämen. Du warst schließlich in Lebensgefahr! Ich nicht.“

      „Ist es noch weit zum Palast des Lichts?“, drängte sich Schneekristall eifersüchtig zwischen Simnil und Rosenblüte. „Nun ja, wir kommen nicht sehr schnell voran“, antwortete der Zwerg ausweichend und sah hilfesuchend zu Silberstreif hinüber. „Bei dem Tempo brauchen wir …, noch ungefähr…zwei Tage?“

      „Drei Tage“, verbesserte ihn der Hengst.

      „Drei Tage“, sagte auch Simnil schnell. Er ärgerte sich, dass er nicht den Mut aufbrachte, Schneekristall die Wahrheit zu sagen. Und er ärgerte sich über Silberstreif, der sich im Stillen auf seine Kosten amüsierte.

      Plötzlich erstarrte Rosenblüte in ihrer Bewegung. Sie warf den Kopf zurück und lauschte in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

      „Was hast du, Kleines?“, fragte Morgenröte besorgt ihre Tochter, die nun am ganzen Körper zitterte.

      „Da kommt etwas!“, flüsterte sie, „spürt ihr es nicht?“

      „Da ist nichts“, beruhigte Silberstreif seine Tochter. „Ich hätte es sonst längst bemerkt. Lasst uns weiterziehen.“

      „Nein Papa“, widersprach Rosenblüte, „es kommt näher und es ist sehr schnell!“

      „Wirklich Rosenblüte, da ist …“ Silberstreif verstummte mitten im Satz und sah Morgenröte an. Sein empfindlicher Hörsinn hatte das Rauschen nun auch gehört. Zuerst noch ganz undeutlich, wurde es langsam immer klarer und lauter. Irgendetwas kam direkt auf sie zu.

      Morgenröte sah sich suchend um. „Schnell hierher“, flüsterte sie und lief zu einigen Bäumen, bei denen das Unterholz besonders dicht war.

      Die Elterntiere nahmen ihre Kleinen in die Mitte und verschmolzen farblich sofort mit ihrer Umgebung. Sie waren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.

      Simnil, staunte nicht schlecht, als er das sah. Aber er hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Denn aus dem leisen Rauschen war nun ein lautes Brausen geworden. Er lief zu einem mit Moos bewachsenen Baum, hockte sich daneben, krümmte sich zusammen und sah einen Moment später aus wie ein mit Moos bewachsener Stein. Silberstreif, der das sah, fragte sich, welche Tricks der Zwerg wohl noch auf Lager haben mochte.

      Simnil hatte seinen Platz keinen Moment zu früh eingenommen, denn schon bewegten sich die Blätter und Zweige in den Bäumen über ihnen. Wie ein Sturmwind brauste etwas über sie hinweg und verschwand in der Ferne.

      Dann war es still.

      Die fünf blieben noch einige Zeit in ihren Verstecken und warteten ab, ob dieser seltsame Wind noch einmal wiederkäme. Aber als alles ruhig blieb, gaben sie ihre Tarnung auf.

      „Was war das?“, fragte Schneekristall verstört.

      „Ich weiß es nicht“,