Maryam Munk

Das Kamjuna


Скачать книгу

wie bei anderen Tieren auch. Der Ork verschlang sie. Die Knochen des Tieres waren dünn und biegsam. Als Zerk in den Leib biss, fand er es angenehm, sie nicht zermalmen zu müssen. Die Mahlzeit abschließend, leckte er sich das Blut von den Pranken.

      Das Tier war so lang gewesen, wie Zerks Unterarm, wenn auch nicht so dick. Trotzdem ein mächtiger Brocken, der ihn für einige Zeit satt halten würde. Zufrieden schulterte der Ork seine Axt und setzte den Marsch Richtung Norden fort. Viele Stunden bewegte Zerk sich neben der Flussschlange her, dem fließenden Wasser entgegen. Schließlich krümmte sich der Fluss nach Osten. Zerk stellte fest, dass er die Flussschlange überqueren musste, wollte er weiter auf direktem Weg nach Norden. Wie konnte er auf die andere Seite gelangen? Es gab nur eine Möglichkeit: Er musste durch das Wasser gehen.

      In seiner Heimat kam kein Ork auf den Gedanken, in ein Wasserloch zu steigen. Wasser war da, um getrunken zu werden, oder es wurde in Kessel geschöpft, um darin Fleisch zu kochen. Aber in diesem Land war vieles anders. Zerk setzte sich auf die niedrige Uferböschung. Vorsichtig steckte er erst einen Stiefel in das Wasser, dann den anderen. Er bewegte sich vor, rutschte langsam über die Böschung und glitt bis zum Bauch in das Wasser. Es schwappte um seinen muskulösen Körper. Zerk ignorierte das unbekannte Gefühl. Er tat einen Schritt, glitt aus und verschwand im Leib der Flussschlange. Er bekam keine Luft mehr.

      Snees kauerte in der Felshöhle, die ihn vor den Geschossen der Menschen schützte. Seit einer halben Stunde beschossen die Menschen aus ihrer höher gelegenen Stellung das Gnomenheer mit Pfeilen. Snees fand das widerlich. Ihn ekelten nicht die toten Artgenossen, die überall herumlagen. Der Krieg erfüllte ihn mit Abscheu. Ein Krieg, auf den er keine Lust verspürte. Er lächelte müde, als er an die Sümpfe dachte, die sein Zuhause waren. Er sehnte sich dorthin zurück, wollte in einem Schmalboot liegen und Hände und Füße zu beiden Seiten in das Wasser hängen lassen. Was ging ihn dieser Krieg an, in dem die Orks gegen die Menschen kämpften und an dem teilzunehmen sich die Sumpfgnome verpflichtet hatten? Sollten doch die Gnome ihre bunten Häute auf das Schlachtfeld tragen. Ihn ging es nichts an.

      Snees dachte an die Gnomin, mit der er zuletzt im Sumpf geschwommen war. Als er sich auf sie schob, um mit ihr viele Quappen zu erzeugen, hatten sie gemeinsam Luftblasen ausgestoßen. Die Erinnerung war so lebhaft, als wäre es erst gestern gewesen. Doch was war wirklich gestern geschehen? Ein Tag voller Blut und Tod. Heute war es nicht besser, und morgen würde es ebenso werden. Nein, dieser Krieg ging ihn nichts an! Snees dachte an Flucht. In der Masse, die täglich niedergemetzelt wurde, würde ein Gnom weniger nicht auffallen.

      Ein Blaugnom beugte sich in die Höhlung. Er hielt einen Speer in der Hand und trug die Knöchelkette eines Häuptlings über der Brust. Der Gnom schaute Snees vorwurfsvoll an. Plötzlich streckte er die Zunge heraus und riss die Augen weit auf. Snees fragte sich, weshalb der Gnom eine Grimasse schnitt, statt ihn mit dem Speer aus der Höhlung zu stochern. Dann kippte der Gnom vornüber. Durch seinen Hals stach ein Pfeil, dessen gefiederter Schaft vibrierte. Der Häuptling röchelte. Sein Blick war starr auf Snees gerichtet.

      Snees kroch über den sterbenden Körper und äugte vorsichtig aus der Höhlung. Es hagelten keine Pfeile mehr nieder. Es war still geworden. Er schlich zur Felskannte. Die anhaltende Stille beunruhigte ihn. Dann begann wieder das Lärmen. Von weiter unten am Berg drangen die Geräusche vieler stampfender Tritte empor, die von schweren Orkstiefeln erzeugt wurden. Das Klirren von Eisen war zu hören. Die Orks stellten sich den mit Rüstungen gepanzerten Menschen entgegen.

      Langsam schob Snees den schmalen Kopf über die Kante und blickte hinab. Auf der einen Seite blitzten im späten Sonnenlicht Helme und Schwerter auf. Dem strömten auf der anderen Seite braune Leiber entgegen. Nordorks und Menschen brüllten los. Schwerter klirrten gegen Äxte. Blut spritzte auf Gestein. Snees zog den Kopf zurück. Er drehte sich auf den Rücken und blickte zum Himmel. Das war wirklich nicht sein Krieg!

      Er bemerkte die Bogenschützen. Sofort rollte er sich zur Höhlung. Er zog den toten Häuptling hinein, denn er fürchtete, dessen hinausragende Beine könnten das Versteck verraten. Snees hockte sich auf den Hintern des Blaugnoms und dachte nach.

      Nachdem das Heer der Gnome vernichtet war, hatten sich die Bogenschützen zurückgezogen, um den Orks den Eindruck zu vermitteln, den auch Snees gewonnen hatte, die Schützen hätten sich vom Kampfplatz entfernt. Von unten kommend, versuchten nun Soldaten die Orks auf die Plattform zu drängen, wo sie, wie zuvor die Gnome, zu leichten Zielen für die Bogenschützen wurden. Es war Snees egal, ob die Orks in die Falle liefen. Aber taten sie es, dann würden ihn keine Verbündeten sondern Feinde aufgreifen. Fiel er den Menschen in die Hände, würden sie ihn entweder sofort töten oder vorher foltern, um ein Wissen aus ihm zu pressen, das er nicht besaß. Siegten die Orks, konnte er sich ihnen dank der Knöchelkette, die der tote Blaugnom trug, als Häuptling ausgeben und den Dumpfhirnen eine Geschichte erzählen, die sie davon abhielt, ihn zu erschlagen. Folglich mussten die Orks den Kampf gewinnen. Snees nahm dem Blaugnom die Kette ab und legte sie sich um. Kampfgeschrei und das Klirren der Waffen wurden lauter.

      "Was soll ich denn machen, damit die Orks gewinnen?", jammerte Snees. Überraschenderweise entstand in seinem Gnomenhirn eine Idee.

      Zerk konnte eine Wurzel fassen, daran zog er sich hoch. Schnaufend streckte er den Kopf aus dem Wasser und griff mit der anderen Pranke zu. Seine Füße traten auf Grund. Wasser spritzte, als er sich auf den Uferrand zu stemmen versuchte. Zweimal rutschte er ab, beim dritten Versuch gelang es ihm, die Klauen in die Erde zu schlagen und sich auf das Ufer zu ziehen.

      Der Ork atmete keuchend. Wasser rann über seinen kahlen Schädel und tropfte von dem mit Eisenplatten beschlagenen Lederwams ab. Zerks schwarze Augen suchten die Sonne. Er grunzte zufrieden, als er sie weit hinter dem jenseitigen Ufer fand, wo sie langsam dem unendlich erscheinenden Grasland entgegen sank. Darüber glücklich, über den Fluss gekommen zu sein, setzte Zerk sich. Er zog die Stiefel aus und schüttete Wasser heraus. Plötzlich dämmerte ihm, dass die Sonne auch schon weit hinter dem jenseitigen Ufer gestanden hatte, bevor der Fluss ihn verschluckte. Übel gelaunt, machte Zerk sich wieder auf den Weg. Er schritt weiter am Ufer entlang, obwohl dieser Weg ihn statt nach Norden nach Osten führte. Irgendwo musste sich die Flussschlange doch überqueren lassen. Zerk spürte das drängende Bedürfnis, jemanden zu erschlagen.

      Was gab es noch zu überlegen? Für seine Flucht musste ein Gnom schon etwas riskieren. Snees sprang aus der Höhlung, warf den Kopf in den Nacken und zischte in der unverkennbaren Weise der Sumpfgnome. Einer der Bogenschützen wurde auf ihn aufmerksam. Überrascht, einen noch lebenden Gnom zu entdecken, schoss er zu schnell einen Pfeil ab. Der sauste knapp an Snees vorüber und klackte auf den Felsen. Andere Schützen richteten die Augen auf den Gnom. Weitere Pfeile folgten. Schon verschwand Snees wieder in der Höhlung. Was er beabsichtigt hatte geschah. Nicht alle Pfeile blieben auf der schmalen Felsplatte liegen. Die nahe der Kante aufschlugen, machten einen Hüpfer darüber hinweg und fielen auf die darunter Kämpfenden. Das sollte die Orkärsche warnen!

      Die müde Sonne färbte den Himmel rosa. Zerk saß im Gras und schaute verächtlich zum westlichen Horizont. Er wunderte sich nicht mehr. Es schien ihm natürlich, dass die Sonne in diesem Land nicht die Kraft besaß, den Himmel feuerrot glühen zu lassen. Er war hungrig, fühlte sich einsam, und außer einer Baumgruppe hatte er nichts gefunden, worin er die Nacht verbringen konnte. Der Versuch, noch eines der Wassertiere zu fangen, war fehlgeschlagen. In der Dämmerung des Abends hatte er keines der Tiere finden können.

      Dunkelheit löschte die Tagesfarben. Zerk lehnte mit dem Rücken an einem Baum. Mit einer Pranke strich er über die Axt auf seinem Schoß, über die Eisenklingen, den hölzernen Schaft. Die Waffe gab ihm Trost. Sie war ihm das einzige Vertraute in diesem fremden Land.

      Ein Südork fürchtete die Dunkelheit nicht. Er fürchtete nur die Geister der Ahnen, die in der Finsternis heranschlichen und einen Ork, der sich fern der kämpfenden Truppe befand, mit Schlägen und Tritten malträtierten. Wie jeder Südork glaubte auch Zerk daran, im Kampf von den Ahnen beobachtet zu werden, was die Leistung eines Kriegers enorm steigerte. Doch ein Ork, der seinen Trupp verließ, galt ebenso unter den Ahnen wie unter den Lebenden als Fluchter, was der Bedeutung eines Feiglings, der seine Kameraden im Stich ließ, gleichkam. Es war Schmach genug, alleine durch ein fremdes Land zu ziehen, da brauchte