Maryam Munk

Das Kamjuna


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Troll wuchtete eine Faust auf den Rand des Bogens. Auf die andere Seite legte Joog eine Hand. Die Ecken des Papiers wölbten sich.

      Auf das Blatt waren mit Holzkohle Linien gezeichnet, die Rechtecke verschiedener Größen darstellten. Quer durch ein langes Rechteck, waren zwei kleinere, breitere Rechtecke gezeichnet, worin viele noch kleinere gemalt waren. Dazu kamen einige sorgfältig geschwungene Bögen. Browag warf einen Blick darauf, dann sah er Joog an, der die Zeichnung fasziniert betrachtete.

      "Das ist der Entwurf einer Flugmaschine", erklärte der Abenteurer. "Die Idee dazu kam mir vor ein paar Jahren."

      Der Troll blickte Joog fragend an.

      "Es funktioniert so: Durch Hebelzug kann der Reiter die zwischen den Flügelbrettern gespannten Lederplanen verstellen und so den Wind nutzen."

      "Wind bläst stark oder schwach, von oben, von unten, von jeder Seite", sagte der Troll.

      "Klar, aber schau! Da sind Klappen in der Lederbespannung der Flügel. Die sind durch Riemen mit den Hebeln verbunden. Durch öffnen oder schließen der Klappen lässt sich der Wind lenken."

      Der Troll äußerte Zweifel.

      "Browag! Weshalb können sich Vögel in der Luft halten und dorthin fliegen, wohin sie fliegen wollen?"

      "Ich weiß es nicht."

      Joog versuchte es anders. "Was geschieht mit Blättern, die der Wind von den Bäumen reißt?"

      "Sie fallen runter."

      "Nein, Browag. Der Wind trägt sie hinab. So geschieht es auch mit einer Flugmaschine, nur etwas anders."

      "Der Wind trägt sie, dann fällt sie runter?"

      Der Abenteurer schüttelte den Kopf. Er betrachtete wieder die Zeichnung. "Ich werde die Entwürfe General Pellgard zeigen. Dann werde ich Meister Olof den Auftrag für die Anfertigung zweier Flugmaschinen erteilen."

      Browag nahm die Faust vom Papier. Das Blatt rollte sich auf. Mit den anderen Rollen klemmte Joog es sich unter den Arm. Er schwang die Plane beiseite und verließ das Zelt. Der Troll knurrte unwillig. Wieder einmal blieb das Aufräumen ihm überlassen.

      Der Finger des Generals tippte auf das Papier. "Ihr meint, so ein Ding kann wirklich fliegen?"

      "Selbstverständlich, General!"

      Die braunfleckige Hand griff an die Wange. Die Fingernägel schabten durch graue Stoppeln. "So selbstverständlich scheint mir das nicht zu sein", blieb der General skeptisch.

      Joog breitete eine weitere Rolle auf dem Tisch aus. "Hier habe ich die Flugmaschine gezeichnet, wie sie vom Wind getragen wird." Er deutete auf die geschwungenen Linien, die sich zwischen den gezeichneten Doppelflügeln krümmten. "Es ist das Prinzip, das Vögel nutzen."

      "Vögel können die Flügel bewegen", wandte Pellgard ein, "und sie sind leichter als Bäume. Ihr sagtet, solche Flugmaschinen werden aus Bäumen gemacht?"

      "Nicht direkt aus Bäumen, aus leichtem Holz." Joog ließ das Papier aufrollen und deutete auf die Zeichnung darunter. "Mittels Klappen kann die Lederbespannung der Flügel verändert werden, sodass der Wind gezielt zwischen die obere und untere Bespannung gelenkt wird."

      Pellgard kratzte sich das Kinn. "Indiga", sprach er Joog mit dem Namen seiner Heimat an, "Ihr habt einen klugen Kopf!" Der General hob mit fragender Miene die Weinkaraffe an.

      "Ich habe Tee getrunken", lehnte Joog ab.

      "Ihr habt einen klugen Kopf", wiederholte Pellgard, "stets nüchtern, immer bereit."

      "Wenn es die Lage erfordert, General."

      Pellgard ließ sich auf einen Stuhl sinken. "Glaubt Ihr wirklich, die Orks setzen Feuer spuckende Flugechsen ein? Wie werden sie noch gleich genannt?"

      "Drachen, General. Ja, ich halte es für möglich."

      Pellgard betrachtete Joog nachdenklich. "Was vermögen solche Flugmaschinen gegen Drachen auszurichten?"

      "Nicht die Flugmaschinen", erklärte Joog, "die Lanzen, die unter ihnen angebracht sind und durch Hebelzug wie Pfeile von großen Bögen abgeschossen werden."

      "Ihr habt einen klugen Kopf", bemerkte der General abermals. "Wie viele von diesen Flugmaschinen werdet Ihr brauchen?"

      "Erst einmal zwei, worin ich und mein Freund Browag reiten werden."

      "Dieser Troll?"

      "Verzeiht, General, er ist kein Bergtroll, sondern ein Tieflandtroll und somit von anderem Wesen. Und er ist ein loyaler Gefährte."

      "Glaubt Ihr, Indiga, er kann so eine Flugmaschine beherrschen?"

      "Browag ist anders als wir, doch er begreift, was ihm erklärt wird."

      "Gut", entschied der General, "dann lasst zwei Flugmaschinen bauen."

      Meister Olof betrachtete die Zeichnungen, wobei er sich im Schritt kratzte. Schließlich nickte er. "Leichtes Holz soll es sein?"

      "Leicht und stabil."

      Meister Olof strich sich durch den Bart. "Es wird nicht leicht werden, das Holz zu besorgen." Ein verschmitzter Ausdruck breitete sich über sein Gesicht. "... und nicht billig."

      Joog zuckte die Schultern. "Über die Bezahlung müsst Ihr Euch mit dem General einig werden."

      "Na ja", meinte der Zwerg, "das wird schon."

      "Das Holz oder das Geld?", fragte Joog.

      Der Zwerg grinste. "Beides."

      Kapitel 3

      Browag betrachtete das Geschehen mit gemischten Gefühlen. Während weiter nördlich gekämpft wurde, trugen hier Soldaten das von den Zwergen herbeigeschaffte und nach Joogs Anweisungen zugeschnittene Holz den Berg hinauf. Das behagte dem Troll nicht. Auch diese Soldaten sollten kämpfen. Gerne wäre Browag zur Front gelaufen, um gegen die verhassten Orks zu kämpfen, doch Joog meinte, er wäre als Reiter einer Flugmaschine von größerem Nutzen. Browag war zwar anderer Meinung, aber er gehorchte. Konnte ein Mensch oder Troll sich in ein Ding aus Holz und Leder setzen und sich wie ein Vogel durch die Luft bewegen? Joog hatte es erklärt, trotzdem schien es Browag unwahrscheinlich. Das Hämmern aus der Schmiede am Berghang bestätigte den Troll in seiner Meinung. In der windschiefen Hütte stellten Zwerge Lanzen her, die unter den Flugmaschinen befestigt werden sollten. Das alles war schwer, doch Vögel waren leicht.

      Als junger Troll war Browag gerne auf Bäume geklettert, um Nester zu plündern. Er hatte Eier oder Küken mitgenommen, gelegentlich auch einen Elternvogel, wenn der geglaubt hatte, sein Gelege verteidigen zu können. Auch bei großen Vögeln hatte er kaum ein Gewicht in der Hand gespürt, bevor er ihnen den Kopf abbiss. Vögel waren leicht, deshalb konnten sie fliegen!

      Browag vertraute Joog. Seit zwei Jahren bildeten sie eine Einheit aus Kraft und Verstand. Joog wusste vieles, was dem Troll nicht bekannt war, und Browag glich die vergleichsweise schwache Physis des Menschen durch seine enorme Körperkraft aus. Gemeinsam kannten sie keine Schwierigkeit, die sich nicht lösen ließ, zum Beispiel, in einem Gasthaus ein Zimmer zu bekommen. Beim Anblick des Trolls perlte jedem Wirt Schweiß aus den Poren, während er log: "Tut mir leid, alle Zimmer sind belegt." Manche Wirte konnte Joog mit Worten überzeugen, andere nicht. Dann löste Browag das Problem auf seine Weise. Sie bekamen immer ein Zimmer, auch wenn ein Wirt nicht gelogen hatte. Joog schaute in ein Zimmer, sagte: "Das ist recht!", und der Troll warf die darin schlafenden Gäste zum Fenster hinaus. Aber in einem Ding aus Holz und Leder fliegen? Zum ersten Mal zweifelte Browag an Joog.

      Fröhlich pfeifend schritt Meister Olof zur Schmiedehütte. Das hatte sich gelohnt! Des Meisters Geldsack hing schwer an seinem Gürtel. Der General hatte den hohen Preis bereitwillig gezahlt. Pellgard setzte wohl viel Vertrauen in diesen Indiga Joog und dessen Idee mit den Flugmaschinen. Na, ihm sollte es recht sein. Hatte er die Schmiede und seine Arbeiter ausgezahlt, würde eine gute Summe für ihn bleiben. Eigentlich sollte er Indiga Joog einen Krug Wein spendieren, doch es war bekannt,