Maryam Munk

Das Kamjuna


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verlangsamte seine Schritte. Da stand dieser Troll noch immer reglos wie ein Baum und starrte vor sich hin. Was machte dieses Wesen nur? Was ging in seinem Schädel vor? Unwillkürlich legte Meister Olof die Hand auf den Geldsack. Kein Zwerg in diesem Land traute Wesen, die größer waren als vier Fuß, abgesehen von Menschen. Erst recht traute kein Zwerg einem Wesen, das ein halbes Tier zu sein schien. Führte der Troll etwas im Schilde? Unter Zwergen hieß es, er würde rohes Fleisch fressen. Vielleicht fraß er auch Kinder? Olof hätte gerne die Knochen gesehen, die der Troll abnagte. Aber in diesem Lager gab es weder Zwergen- noch Menschenkinder, auch keine Frauen ... leider. Und bisher hatte der Troll sich ganz zivilisiert benommen. Meister Olof nahm die Hand vom Geldsack und schritt weiter zügig aus. Als er zur Schmiede abbog, warf er einen Blick zurück. Die Augen des Trolls schienen sich genau auf ihn zu richten, doch ohne ihn zu sehen. Das war dem Meister unheimlich.

      Obwohl die Tür offen stand, wurde die Schmiede von beißender Hitze erfüllt. "Weshalb arbeitet ihr in dieser Bretterbude?", beschwerte Olof sich fast schreiend, um das eiserne Hämmern zu übertönen. "Draußen ist es warm, und die Menschen wissen ohnehin was ihr macht."

      Einer der Schmiede tauchte ein glühendes Eisen ins Wasser. Es zischte, Dampf stieg auf. Ein anderer Schmied bearbeitete eine glühende Lanzenspitze mit einem Hammer. Ein dicker Lederhandschuh schützte die Hand, mit der er die Zange hielt, worin die Spitze klemmte.

      Der Schmiedemeister, der die Arbeit überwachte, richtete den Blick auf Olof. "Wir sind Dunkelzwerge", brüllte er. "Anders als Euer Volk, schätzen wir die Dunkelheit, wenn es sein muss, auch das Dämmerlicht in einer Bretterbude." Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Arbeit seiner Gehilfen.

      "Schon gut", lenkte Olof ein. Er wischte sich mit dem Jackenärmel über die Stirn.

      Auf Gestellen lagen drei Lanzen für den Transport bereit. Deren Holzschäfte waren dicker, als die gewöhnlicher Lanzen. Die eisernen Spitzen waren breit und lang, mit daran geschmiedeten Zacken, die als Widerhaken dienten.

      "Wie ich sehe, habt ihr die letzte Lanze in Arbeit", rief Meister Olof. Er hob eine Lanze mit beiden Händen in Augenhöhe und betrachtete den Schaft. Dann richtete er das Ende auf den Boden, hielt die Lanze schräg und begutachtete deren Spitze. Mit dem schwieligen Daumen prüfte er die Schärfe. "Gut, gut", urteilte er. "Indiga Joog wird zufrieden sein."

      Der Schmiedemeister warf einen Blick auf den Geldsack an Olofs Gürtel. "Ich hoffe, auch ich und meine Gehilfen werden zufrieden sein", bemerkte er.

      "Selbstverständlich", brüllte Olof über das Hämmern. "Gute Arbeit, guter Lohn! Wenn die letzte Lanze fertig ist, Meister Lemborg, lasst Ihr die Lanzen den Berg hinauf schaffen!"

      Olof fiel auf, dass der Bart des Schmiedemeisters ebenso durch Funken versengt war, wie die Bärte der Gehilfen. Unwillkürlich ließ er die Finger durch den eigenen Bart gleiten. Nein, dachte er, die Schmiedearbeit wäre nichts für mich. Bevor Meister Olof die Hütte verließ, blickte er in den Sonnenschein hinaus und hinüber zum Troll. Der stand noch immer, als wäre er zu Stein erstarrt.

      Eine Wolke schob sich vor die Sonne. Die Dumpfheit wich aus Browags Gehirn, die Starre aus seinem Körper. Joog hatte ihn davor gewarnt, sich der Mittagssonne auszusetzen, aber die Gedanken an die Flugmaschinen hatten ihn unaufmerksam werden lassen. Die Wolke gab die Sonne wieder frei. Browag lief auf das schützende Zelt zu.

      Meister Olof wunderte sich einmal mehr über den Troll. Fast über den gesamten Mittag hatte er reglos gestanden, nun rannte er los, als ginge es um sein Leben. Olof schaute zum Himmel. Er fragte sich, ob zwischen dem Sonnenschein und dem sonderbaren Verhalten des Trolls ein Zusammenhang bestand. Olof wartete, bis der Troll in dem Zelt, das er mit Indiga Joog bewohnte, verschwand, dann zuckte er die Schultern und verließ die Schmiedehütte.

      Der Wind wehte heftig über das Plateau. Es würde funktionieren, davon war Joog überzeugt. Es kam nur darauf an, die Maschinen schon beim Aufflug mit den Flügelklappen so geschickt zu lenken, dass sie nicht am Berg zerschellten. Sie mussten sich rasch erheben und davontragen lassen, um dann im Wind zu gleiten. Joog genoss es, wie der Wind an Hemd und Hose zerrte. Ja, es würde funktionieren!

      Der Wind schien die Zwerge bei ihrer Arbeit nicht zu behindern. Joogs Plänen folgend, bauten sie die Gestelle, verbanden sie mit den Doppelflügeln und spannten die Lederplanen. Sie montierten Hebel, Winden und Klappen und verbanden alles über Lederriemen miteinander. Zuletzt brachten sie Holzbänke in den Gestellen an. Bei der Arbeit trugen die Zwerge ihre Bärte mit Riemen auf die Bäuche gebunden, damit der Wind sie ihnen nicht vor die Gesichter blies. Dank der Geschicklichkeit der Zwerge entstanden innerhalb weniger Stunden zwei Flugmaschinen. Als es vollbracht war, stellten die Handwerker sich in einer Reihe auf und erwarteten Indiga Joogs Urteil über ihre Arbeit.

      Der Abenteurer überprüfte die Festigkeit der Bretter. Er prüfte die Bespannung der Flügel. Er setzte sich in jede Maschine, betätigte die Hebel, kontrollierte, wie die Klappen sich öffneten und schlossen und meinte abschließend: "Gute Arbeit!" Stolz warfen die Zwerge sich in die Brust. Dann trugen Soldaten die Lanzen auf das Plateau. Sie legten jeweils zwei neben einer Flugmaschine ab. Sofort begannen Zwerge die Maschinen aufzubocken und darunter die Lanzen in die Halterungen der Bögen zu montieren. Mit fachmännischem Interesse schaute Joog ihnen zu. Als er in den Flugmaschinen gesessen und die Flügelklappen betätigt hatte, war ihm aufgefallen, wie der Wind an den Maschinen riss. Ein wenig hatten die Gestelle sich vom Plateau erhoben, waren aber darauf zurück gesunken, als Joog die Klappen geschlossen hatte. Es wird funktionieren!, jubelte er in Gedanken.

      Nachdem die Arbeit getan war, trat einer der kleinen Männer vor Joog. "Ihr könnt fliegen, wann immer Ihr wollt", sagte er. Der Bartzipfel des Zwergs wurde vom Wind zerzaust. Die Flugmaschinen rappelten.

      "Wenn der Wind noch heftiger wird, werden die Maschinen auch ohne Reiter fliegen", befürchtete der Abenteurer. "Meister Salner, Ihr müsst sie befestigen!"

      Der Zwerg rief seinen Handwerkern Anweisungen zu. Einige Zwerge schnürten Seile um Bug und Heck der Gestelle. Andere meißelten Spalten in den Fels, trieben Holzpflöcke hinein und verkeilten diese in den Spalten. Dann wurden die Seile an den Pflöcken festgezurrt und verknotet.

      "Ja, Meister Salner", meinte Joog zufrieden, "nun können die Drachen kommen ... wenn sie denn kommen."

      "Sie werden kommen", vernahm er die keuchende Stimme des Generals. Erschöpft schritt Pellgard auf ihn zu. Trotz seines Alters hatte der General sich auf den mühsamen Weg den Berg hinauf gemacht.

      Joog empfand sein Erscheinen als Ehrung. "General, die Flugmaschinen stehen bereit."

      Pellgard nickte. Er setzte sich auf den Klappstuhl, den sein Adjutant aufgestellt hatte. Der General zog ein weißes Tuch unter dem Wams hervor und wischte sich damit über das verschwitzte Gesicht und das feuchte Haar. Mit dem Tuch deutete er zu den Maschinen. "Wenn sich ein Mensch in einem Bretterkasten in die Luft erhebt und wie ein Vogel fliegt, dann scheint mir alles möglich zu sein", sagte er. Er steckte das Tuch unter das Wams zurück und zeigte zum Himmel. Als wollte er die Wolken mahnen, zuckte er den gestreckten Finger. "Beweist, dass es möglich ist, Indiga! Beweist es!"

      "Ihr sagtet, dass die Drachen kommen werden."

      Pellgard blickte ihn mit verkniffenen Augen an. "Kundschafter überbrachten die Meldung. Drei Drachen befinden sich im Anflug. Vermutlich kreiste einer schon über der Kampflinie."

      Aha, dachte Joog, das Licht in der Nacht war tatsächlich der Feuerstoß eines Drachen gewesen. "Wie viel Zeit bleibt uns?"

      General Pellgard zuckte die Schultern. "Wie schnell fliegen Drachen?"

      "Dann werden wir keine Zeit haben, die Flugmaschinen zu testen. Verzeiht, General, ich muss Browag informieren."

      Pellgard gab nickend sein Einverständnis.

      Joog eilte an den abwartenden Zwergen vorbei, den Pfad hinab, der in das Heerlager führte.

      Kapitel 4

      Ausdruckslos blickte Browag auf die Flugmaschine. Der kühle Wind zerzauste sein Fell. Obwohl