Maryam Munk

Das Kamjuna


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genoss es, sich mit dem Fluss zu vereinen. Geschmeidig tauchte er durch das Wasser, worin das Sonnenlicht flimmerte. Fische zuckten um ihn herum. Ein kraftvoller Stoß mit den Beinen, gleichzeitig eine Drehung in den Hüften, schon fasste er mit dem Mund einen Fisch. Der Gnom tauchte auf, ließ sich rücklings treiben und sich den Fang schmecken. Nach der Mahlzeit tauchte er zum Boot zurück. Er schnellte aus dem Wasser, umgriff die Bordwand und schwang sich in das Breitboot. Einen Augenblick lang blieb er nass, satt und zufrieden auf den Planken sitzen, dann stand er auf und schaute nochmals über das Land. Weit und breit keine Orks.

      Snees leerte den Gepäcksack. Wie erwartet, fand er die gleichen Dinge, die sich auch in seinem Gepäcksack befunden hatten: Ersatzschuhe aus Kaimanhaut, ein Lendentuch aus dem gleichen Leder, eine Pfeife und einen Beutel mit Rauchkraut. Leider fand er nichts, womit er das Kraut hätte anzünden können. Enttäuscht packte er alles zurück in den Sack und gab auch die Häuptlingskette dazu. Er steuerte das Boot wieder in die Flussmitte. Ein paar Tage würde es dauern, bis er die Heimat erreichte, aber dann konnte er sein geruhsames Leben wieder aufnehmen. Snees war mit sich und der Welt zufrieden.

      Zerk hatte lange genug im Gras gesessen. Es wurde Zeit, sich wieder auf den Weg zu machen. Dem Ork war klar, dass er seinen Trupp nicht einholen konnte. Die Kameraden marschierten schneller und schliefen weniger, wahrscheinlich machten sie auch weniger Rasten. Aber es genügte Zerk, als Nachzügler an der Kampffront einzutreffen. Er stellte sich vor, wie seine Ankunft eine unverhoffte Wendung der Schlacht bewirkte, die sein Trupp gerade kämpfte. Vielleicht befanden die Krieger sich in Bedrängnis, und er tauchte vom Feind unbemerkt in dessen Rücken auf und rettete die Kameraden. Dann wären nicht alleine die Ahnen stolz auf ihn.

      Die Erfahrung, das Wunsch und Wirklichkeit verschieden wie Tag und Nacht sein konnten, fehlte dem jungen Ork. Er hatte alles bekommen, was er sich in seinem bisherigen Leben gewünscht hatte: den Respekt seiner Clanbrüder, wenn er ihnen beim kindlichen Ringen die Knochen brach, die erste Axt, die er seinem Vater stahl. Nachdem der Trieb in ihm gereift war, hatte er auch jede Frau bekommen, die er begehrte. Er brauchte ihnen nur brünstig in den Nacken zu grunzen, schon bebten ihre Flanken. Was Zerk wollte, bekam er. Das war selbst in diesem fremden Land so. Hatte er Hunger, griff er sich ein Wassertier. Der Ork frohlockte in Gedanken. Vielleicht würde er der Hauptmann eines Kriegstrupps werden oder sogar ein Häuptling. Als Häuptling würde er eine große Erdhütte bewohnen, mit seiner Frau und ihren Schwestern, deren Männer im Kampf getötet worden waren. Ein Rudel kleiner Orks, hauptsächlich Söhne, würde in der Hütte lärmen. Wie es ein gerechter Orkvater tat, würde er keinen Unterschied zwischen den Kindern machen, die er mit seiner Frau oder deren Schwestern hatte.

      Der Tagtraum lenkte Zerks ohnehin geringe Aufmerksamkeit völlig ab. Deshalb entging ihm, als er dem Fluss in den Wald folgte, dass die Ufer eine sanfte Krümmung machten. Das Blätterdach wurde dichter, das Licht dämmerig. Der Fluss leitete Zerk in östliche Richtung. Mit der Zeit begann der Wald sich wieder zu lichten, bis Zerk erneut auf eine Ebene gelangte. Die Sonne stand weit hinter dem Wald und tiefer, als Zerk sich an ihren letzten Stand erinnern konnte. Die Sonnenscheibe bleibt nicht stehen, dachte der Ork, und ich bin eine ganze Weile marschiert. Aber wo ist das Gebirge? Seine Augen blickten nach Norden, suchten Land und Himmel ab und entdeckten tatsächlich etwas. Vor dem unendlichen Blau bewegte sich ein Ding. Es war weit fort und kaum zu erkennen, doch Zerk glaubte, einen Vogel zu sehen, einen riesigen Vogel, und der flog auf merkwürdige Weise. Er taumelte in der Luft, glitt hinab, schwang sich wieder empor, um abermals abzusinken. Zuletzt stürzte das Tier auf die Ebene. Sofort machte Zerk sich auf den Weg. Er schritt rasch aus, vergaß sein eigentliches Ziel, dachte nicht mehr an die Kameraden. Er wollte wissen, welcher Vogel vom Himmel gefallen war.

      Das Tier lag weitab vom Fluss. Es hob sich schwarz vom grünen Land ab. Es war kein Vogel. Es sah den großen Echsen in Zerks Heimat ähnlich. Es lag reglos, wie lauernd. Worauf? Auf ihn? Zerk zog die Axt vom Rücken. Falls das Tier aus Erschöpfung vom Himmel gefallen war und auf die Idee kam, ihn fressen zu wollen, sollte es sein blutiges Wunder erleben. Gebeugt schlich der Ork auf das Tier zu. Sich klein machen, übersehen werden und plötzlich töten, das gefiel ihm. Tatsächlich schien das Tier ihn nicht zu bemerken, obwohl es das große Auge auf der Zerk zugewandten Kopfseite offen hielt. In geducktem Laufschritt wagte Zerk sich an das Tier heran. Es hätte längst auf den Ork reagieren müssen, doch es blieb reglos. Es war tot, wurde Zerk klar, als er den milchigen Schleier bemerkte, der das Auge mit der ovalen Pupille bedeckte. Zerk überlegte, was er mit dem Tier anfangen konnte. Es liegen lassen und zum Fluss zurückgehen, schien ihm Verschwendung zu sein. Da lag ein riesiger Fleischvorrat, den konnte er nicht ignorieren. Das Angebot war zu verlockend.

      "Sauber!", murrte Joog und versetzte der Flugmaschine einen Tritt. Er umschritt die Maschine, blieb stehen, beschirmte die Augen mit der Hand, obwohl er im Schatten des Unfallbaumes stand, und blickte nach Norden. "Sauber!", wiederholte er.

      Die gefiederte Gestalt, die ihn aus dem Geäst eines anderen Baums heraus beobachtete, wunderte sich über sein Verhalten.

      Joog machte sich auf den Weg zu der dunklen Erhebung, die er am Horizont entdeckt hatte. "Will doch mal sehen, ob es ein Drache ist, der dort liegt, und ob er tot ist", murmelte er vor sich hin.

      Nein, die Flugreiterei war nichts für ihn. Kam schon ein Mensch damit nicht klar, wie wenig dann ein Troll? Armer Browag, dachte der Abenteurer. Bestimmt liegt deine Leiche irgendwo im Gebirge, ebenso zerschmettert wie deine Flugmaschine. Dann lenkte das Objekt, auf das er sich zubewegte, seine Gedanken ab. Joog glaubte nicht, was seine Augen ihm zeigten. Das muss eine Nachwirkung des Luftritts sein, dachte er. Weit vor ihm lag ein Drache. Doch nicht das Untier ließ Joog an seiner Wahrnehmung zweifeln. Es war die dunkle Gestalt, die neben dem Reptil winzig schien und die mit einer Axt in die Echse hackte und nach jedem Hieb vor einem Blutschwall beiseite sprang. Das Wesen sah aus wie ein Südork. Wäre Joog durch den Luftritt nicht ein wenig verwirrt gewesen, und hätte er den Anblick nicht für eine Täuschung gehalten, er hätte seine Schritte in eine andere Richtung gesetzt. So bewegte er sich geradewegs auf den Ork zu. Schließlich wurde es ihm doch bewusst, dass es keine Illusion war. Er blieb stehen und beobachtete den Ork. Zweihundert Fuß trennten ihn noch von ihm.

      Was macht ein einzelner Ork hier?, überlegte Joog. Oder ist er nicht alleine? Befinden seine Kumpane sich auf der anderen Seite des Drachen? Dem Abenteurer wurde klar, dass es ein Fehler war, sich dem Ork zu zeigen. Mit einem Ork glaubte er es aufnehmen zu können. Doch wenn sich zwei, drei oder eine ganze Rotte hier befanden? Er zog das Jagdmesser, steckte es aber in die Scheide zurück. Auch wenn der Ork alleine war, würde er nicht nahe genug an ihn herankommen, um ihn mit dem Messer töten zu können. Joog boten sich zwei Möglichkeiten: Entweder handelte er klug, aber feige und machte sich davon, oder er handelte mutig, doch dumm und stellte sich dem Feind. Der Ork nahm ihm die Entscheidung ab. Er verharrte plötzlich und hob schnüffelnd den Kopf. Joog hatte einen weiteren Fehler gemacht. Er hatte sich mit dem Wind genähert. Der Ork drehte sich um. Seine schwarzen Augen richteten sich auf den Menschen. Er wischte eine Pranke am Lendentuch ab und schloss beide Fäuste um den Axtstiel. Er machte einen hastigen Schritt, glitt im Blut aus, fand wieder ins Gleichgewicht und rannte los.

      Flucht schloss Joog nun aus. Wohin konnte er vor einem Ork fliehen, der auf ihn zu gerannt kam und schon die halbe Strecke hinter sich gebracht hatte? Selbst wenn Joog schneller lief als der Ork, würde er ihm in dem flachen Land nicht entkommen. Orks waren als ausdauernde Wesen bekannt, deren Kräfte sich nicht so schnell erschöpften. Irgendwann würde der Ork Joog einholen und erschlagen. Dem Abenteurer blieb nur, sich dem Ork zu stellen. Mit dem Jagdmesser konnte er sich gegen die Axt nicht verteidigen, aber er hatte ein Seil. Rasch wickelte Joog es vom Rumpf. Er knotete ein Ende zu einer Schlaufe, durch die er das andere Ende zog. Die so entstandene Schlinge ließ er in Schulterhöhe kreisen. Während er der Schlinge aus dem Handgelenk Schwung verlieh, ließ er die Hand langsam am Seil hinab gleiten. So vergrößerte die Schlinge sich mehr und mehr.

      Zerks Laune befand sich so weit unten, dass sie gleichsam in seinen Stiefeln steckte. Die Haut der Echse war so dick und zäh, dass sich kein Fleisch aus dem Leib lösen ließ. Als Zerk dann noch einen Menschen roch, war das zu viel für seine Nerven. Er war schon Menschen begegnet, nicht nur hier in diesem fremden Land. Immer wieder drangen sie in seine Heimat ein. Er wusste, wie Menschen rochen. Seine Laune begann in den Stiefeln zu kochen.