Maryam Munk

Das Kamjuna


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Mann", sagte die Elfe in ruhigem, doch bestimmendem Ton, "wende dein Boot oder schwimme zurück!"

      "Habe ich eine andere Wahl?", fragte Snees.

      Die Elfe schüttelte den Kopf.

      Snees seufzte. Alleine konnte er das Breitboot nicht gegen die Strömung rudern, also musste er schwimmen. Verwirrt kniff er die Augen zusammen. Weshalb fragte er überhaupt, ob ihm eine andere Wahl blieb? Welches Recht nahm dieser Elfen-Mensch sich heraus, über ihn zu bestimmen? Er mochte über Wasser laufen können, und seltsamerweise beherrschte er die Sprache der Gnome, die nicht einmal die Orks sprechen konnten. Aber deshalb durfte er nicht über Snees bestimmen. "Geh!", sagte Snees. Er griff den Säbel und stand auf. "Du kannst nicht wirklich sein. Wenn ich den Säbel in dich steche, schneidet er nur durch Luft."

      Nineve lachte und erhob sich ebenfalls. "Darauf will ich es nicht ankommen lassen", erwiderte sie. Sie sprang über das Heck, und als sie auf dem Wasser stand, versank sie bis zu den Waden darin. Die Elfe zog das Boot vom Ufer, drehte es, bis der Bug gegen die Strömung zeigte, und stieß es mit Schwung ab.

      Kapitel 9

      Zerk steckte das Messer zwischen Gürtel und Lendentuch, wickelte das Seil vom Hals und deutete zum Wald. Joog ging voraus. Nachdem sie den Fluss erreicht hatten, ließ Joog sich auf die mit Moos bewachsenen Wurzeln eines Baumes nieder. Er brauchte Erschöpfung nicht vorzutäuschen. Der Ork, der nicht den Eindruck machte, als benötigte er eine Rast, gestattete es. Er setzte sich auf einen umgestürzten Stamm und betrachtete die Stichwunde in seinem Bein, deren Blutung geendet hatte. Dann behielt er Joog im Auge, warf aber immer wieder Blicke umher, besonders zum Fluss.

      Er ist unsicher, deutete Joog das Verhalten des Orks. Wohin wohl will ein einsamer Ork, als zu seinen Orkkumpanen? Aber das Land ist ihm fremd, und er kennt den Weg zur Kampffront nicht. Er lässt mich am Leben, weil er mich braucht. Vermutlich glaubt er, dass auch ich zur Front will und er somit einen Führer hat. Kommen wir zur Front, braucht er mich nicht mehr und schlägt mich tot. Führe ich ihn zum Lager des Generals, wird er getötet. Aber vorher erschlägt er mich, wenn er die Falle bemerkt, und er wird sie bemerken. Das Risiko ist zu groß. Mal sehen, ob dieser Kantkopf es durchblickt, wenn ich ihn in eine andere Richtung führe.

      "He, Dickarsch!", rief Joog mit einem falschen Lächeln. "Verstehst du mich? Nein, sicher nicht. Könnte ich grunzen, wie du, wäre eine Verständigung möglich. Ich verspreche dir trotzdem, dich dorthin zu bringen, wohin du gehörst." Wohin der Unhold seiner Meinung nach gehörte, sprach Joog nicht aus, denn vielleicht verstand der Ork ihn doch, obwohl Joog nicht grunzte.

      Zerk bezweifelte, ob sein Entschluss, den Mensch vorerst nicht zu töten, richtig war. Für ihn würde es angenehmer werden, wenn er diesen Menschen erschlüge. Andererseits gab es in dem fremden Land riesige Echsen, gefährliche Felltiere, große Vögel und bestimmt noch andere Gefahren, mit denen der Mensch sich besser auskannte. Zudem war er lebender Proviant. Zerk bedachte dies, denn auf dem Weg konnte es sein, dass er den Fluss verlassen musste. Dann würde er keine Wassertiere mehr fangen können. Nun gab der Mensch wieder Laute von sich, dabei zog er die unterentwickelte Schnauze breit. Was versuchte er mitzuteilen? War er hungrig? Wollte er zum Fluss, um zu fressen? Gut, sollte der Mensch ein paar Wassertiere fangen! Das würde ihm das Fleisch auf den Knochen halten. Mit der Axt deutete Zerk zum Wasser.

      Ah, es geht weiter!, stellte Joog fest. Er stand auf und ging zum Fluss. Der Ork folgte ihm. Am Ufer blieb der Abenteurer stehen und blickte den Ork fragend an.

      Südorks waren völlig haarlos, und ihre Gesichter waren zu keinem bedeutenden Mienenspiel fähig. Deshalb fand Zerk es wunderlich, als die glatte Stirn des Menschen plötzlich faltig wurde und die dünnen Felle über den Augen sich hoben. Er deutete über die Böschung. "Fang Wassertiere!"

      Wie es Joog schien, grunzte der Ork auf eine bestimmende Weise. Die schwarzen Augen bewegten sich in dem dunklen Gesicht, das für Joogs Empfinden so bizarr gestaltet war, dass es ihm wie eine dämonische Fratze vorkam. Er befiehlt mir etwas, wurde Joog klar. Soll ich in den Fluss steigen? Er will doch nicht etwa, dass ich ihn ans andere Ufer trage? "He, Ork, komm nicht auf einen solchen Gedanken! Ich würde unter deinem Gewicht ersaufen."

      Der Mensch widersetzte sich. Zerk ahnte es mehr, als dass er es erkannte. "Fang Wassertiere!", wiederholte er und stieß den Mensch in den Fluss.

      Über Joog schlug das Wasser zusammen. Er stieß sich empor, prustete und rieb sich die Augen. Wütend starrte er den Ork an. Was wollte der von ihm? War diese Kreatur überhaupt zu begreifen?

      In der sich ständig verändernden Fratze des Menschen glaubte Zerk einen Ausdruck zu erkennen, den er zu enträtseln versuchte. War es Angst? War es Zorn? Oder verzerrte die Berührung mit Wasser die Gesichter der Menschen? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er hungrig war. "Hol Essen raus!", befahl er.

      "Soll ich dir eine Brücke bauen?", schrie Joog. Er schlug die Fäuste auf das Wasser. "Dein Gegrunze geht mir mächtig auf die Nerven. Sie zu, wie du über den Fluss kommst!" Er warf sich vom seichten Uferrand in das tiefere Wasser und schwamm auf das andere Ufer zu.

      Zerk staunte. Der Mensch glitt durch den Fluss wie ein Wassertier. Erreichte er das Land auf der anderen Seite, konnte er entkommen. Das Seil zu gebrauchen, wie der Mensch es getan hatte, und ihn damit zu fangen, vermochte Zerk nicht. Er konnte ihn mit der Axt treffen, aber dann befand die Leiche sich mit der Waffe unerreichbar im Wasser. Und traf die Axt den Mensch nicht, versank sie im Fluss. Zerk blieb keine Wahl. Er verzog widerwillig die Schnauze, dann setzte er dem Mensch mit einem gewaltigen Sprung nach.

      Hinter Joog spritzte das Wasser hoch auf. Er spürte einen Sog an den Füßen und wie seine Stiefel umgriffen wurden. Es gelang ihm, den Kopf über Wasser zu halten. Schwimmend und tretend, versuchte er, das Gewicht von den Füßen zu bekommen. Er merkte, wie ihm ein Stiefel vom Fuß glitt, der somit von dem Zugriff frei wurde. Doch das Gewicht zog am anderen Fuß weiter. Joogs Kopf geriet unter Wasser. Der Abenteurer trat panisch um sich. Ein Tritt mit dem verbliebenen Stiefel war erfolgreich, denn auch an diesem Fuß löste sich der zerrende Griff. Joog tauchte empor und schwamm an das jenseitige Ufer. Als er im Gras saß und sich vom Schrecken erholte, ließ er den Blick den Fluss hinab gleiten. Vom Ork war nichts zu sehen. So ein Mist!, dachte Joog, während das Wasser an ihm hinab rann. Ich befinde mich fern von allen Menschen, habe keine Waffe mehr, nur noch einen Stiefel und ein zerrissenes Wams. Niemals wieder werde ich in eine Flugmaschine steigen!

      Snees konnte es nicht glauben. Seit Stunden glitt das Boot gegen die Strömung den Fluss hinauf. Nicht nur die Fahrtrichtung war eine andere geworden, noch etwas hatte sich seit der Begegnung mit dem Elfen-Mensch verändert. Zwar hatte Snees weiterhin das Verlangen in die Heimat zurückzukehren, aber die Sümpfe konnten warten. Der Gnom war neugierig geworden. Mit einem Mal schien ihm dieses fremde Land voller Wunder zu sein. Außerdem wollte er erfahren, welche Aufgabe es war, die er zu erledigen hatte.

      Eine dunkle Masse, die dem Boot entgegen trieb, erregte seine Aufmerksamkeit. Er stellte sich ins Bug, und als die Masse heran war, zog er sie mit dem Paddel an die Bootswand. Zu seinem Erstaunen erkannte er einen Südork. Der trieb rücklings auf dem Wasser, mit den Füßen voran. Die Augen waren geschlossen, und er bewegte sich nicht. Die Eisenplatten auf seinem Wams und die schwere Axt hätten ihn unter Wasser ziehen müssen, doch er versank nicht. Das Boot glitt zum Ufer, hielt den Ork zwischen Erde und Holz, sodass Snees das Paddel ablegen konnte. Der Gnom interessierte sich für die Dinge, die der Ork auf der Brust umgriffen hielt. Es waren seltsame Sachen, ein Seil und ein Stiefel, der zu klein für den Fuß eines Orks war. Snees riss an dem Stiefel, konnte ihn aber nicht aus dem Griff der Pranken lösen. Er nahm dem Ork das Messer ab, das dem zwischen Gürtel und Lendentuch steckte, und zerrte erneut an dem Stiefel. Wieder vergebens. Snees wollte das Boot vom Ufer stoßen und den Ork weiter treiben lassen, als er bemerkte, wie dessen Brust sich langsam hob und senkte. Er ist nicht tot, stellte Snees überrascht fest. Noch nicht! Er wollte dem Ork das Messer in die Kehle stoßen. Als er den Arm über die Bootswand streckte, klappten die Augen des Orks auf. Eine Pranke schnellte empor, umfasste den Arm des Gnoms.

      "So was wollte schon mal einer machen", sagte der Ork. "Bei dem hat es auch nicht geklappt." Er stieß den