Maryam Munk

Das Kamjuna


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gefährlich, als der Ork die Arme um die Seitenplanken klammerte und auf den verdutzten Gnom schaute. "Hilf mir in den Holzkasten!", befahl er.

      Snees packte den Ork über den Schultern am Wams und zerrte. Der Ork stieß sich mit den Füßen am Ufer ab. Mit Hilfe des Gnoms gelangte er in das schaukelnde Boot, das zur Flussmitte glitt und die Fahrt gegen die Strömung wieder aufnahm.

      Zerk begriff das alles nicht. Er war im Wasser eingeschlafen und saß nun einem Gnom in einem Holzding gegenüber. Wie es schien, hatte die kleine Gelbhaut ihn gerettet, obwohl sie ihn beinahe erstochen hätte. Da lag sogar ein Stiefel. Der musste dem Mensch gehören. Zerk nahm das Messer und das Seil an sich. Er sah den Gnom an. "Was machst du in dem Wasserkasten hier?"

      "Ich bin Häuptling eines Stammes", behauptete Snees. Er holte die Knöchelkette aus dem Gepäcksack und legte sie sich um. "Ich nahm an einer Schlacht teil, in der alle meine Artgenossen getötet wurden. Ich war auf dem Weg in meine Heimat, als ein Elfen-Mensch mir begegnete, der auf dem Wasser lief. Er sagte, ich hätte einen Auftrag zu erfüllen. Deshalb kehrte ich um."

      Zerk ließ den Blick über den Gnom schweifen. Er dachte nach. Von Elfen-Menschen hatte er nie etwas gehört, und auf dem Wasser laufen war Blödsinn, das hatte er persönlich erfahren. Dieser Häuptling ist der einzige Überlebende eines Kriegstrupps, das hat ihm den Verstand getötet, stand für Zerk fest. Typisch für einen Gnom! So schwächlich ihre Körper sind, so schwach ist ihr Verstand! An den Auftrag, von dem der Sumpfgnom gesprochen hatte, verschwendete Zerk keinen Gedanken. Er hatte einen eigenen Auftrag zu erfüllen, und es gierte ihn danach, dies mit der Axt zu tun. Zerk drehte dem Gnom den Rücken zu. Auf den Knien kroch er zur Bugspitze. Er zog sich an den Bootswänden hoch. Das Bretterding war ihm nicht geheuer, aber es kam ihm gelegen, brachte es ihn doch rasch dorthin zurück, wo er seinen Auftrag erledigen wollte.

      Indiga Joog dachte an den weißen Vogel, der die Wildhunde vertrieben hatte. Für die hier üblichen Raubvögel war er zu groß gewesen, und das helle Gefieder unterschied ihn ebenfalls von den in diesem Land heimischen Vögeln. Das Tier gab Joog Rätsel auf. Schließlich stand er auf, um den verlorenen Stiefel zu suchen. Dabei wanderte sein Blick den Fluss hinab. Gegen die Strömung näherte sich ein Boot. Hinter einer dunklen Gestalt, die gebeugt im Bug stand und sich an den Seitenplanken festhielt, war ein kleines Wesen mit gelber Haut zu erkennen. "Oh, nein!", stöhnte Joog. "Der Ork kommt zurück, und er bringt einen Sumpfgnom mit!"

      Joogs Gedanken überschlugen sich. Mit nur einem Stiefel zu fliehen, würde nicht erfolgreich sein. Zog er den verbliebenen Stiefel aus, würde er sich beide Füße blutig laufen und dann vom Ork erschlagen werden. Sich ins Gras zu werfen und zu hoffen, dass das Boot vorüber fuhr, war sinnlos. Der Ork hatte ihn längst gesehen. Seine Rettung im Fluss zu suchen, schloss Joog ebenfalls aus. Ließ er sich auf ein Wettschwimmen mit einem Sumpfgnom ein, konnte er nur verlieren. Seltsamerweise brachte das kleine Wesen es fertig, das Boot gegen die Strömung zu lenken, ohne dass es gerudert wurde. Joog hatte nicht die Zeit, sich weiter darüber zu wundern. Das Boot war fast heran.

      Gegen Joogs Erwartung sprang der Ork nicht aus dem Boot, um ihm den Schädel einzuschlagen. Der Unhold stach die Klauen in die Ufererde und zog sich schwerfällig aufs Land. Dabei unterstützte der Gnom ihn, der ihn, die Stiefel des Orks auf den Schultern, mit verzerrtem Gesicht aus dem Boot stemmte. Als der Ork endlich an Land war, setzte er sich schnaufend ins Gras. Joog machte ein paar Schritte auf den Ork zu. Der Tonfall, in dem dieser zu grunzen begann, hielt ihn davon ab, ihm den verbliebenen Stiefel ins Gesicht zu treten. Das Grunzen klang beinahe freundlich, als würde der Ork sich vertrauensvoll an Joog wenden. Unter den kahlen Stirnwülsten waren die schwarzen Augen auf das Boot gerichtet, aber Joog war überzeugt, dass der Ork nicht zum Gnom, sondern zu ihm sprach.

      Zerk war sich der peinlichen Situation bewusst. Aus dem Wasserkasten eines Gnoms zu kriechen war entwürdigend, dabei auf die Hilfe des schwächlichen Wesens angewiesen zu sein, machte die Sache noch schlimmer. Und das vor den Augen eines Menschen! Zerk war froh, dass kein anderer Ork in der Nähe war. Er bemerkte, wie der Mensch auf ihn zu humpelte. Er gab vor, zum Boot zu schauen, beobachtete aber den Mensch aus den Augenwinkeln. "Du", sagte er, "kennst du Elfen-Menschen? Bist du einer von ihnen? Kannst du auf Wasser laufen? Nein, das kannst du nicht. Und du verstehst mich nicht. Das ist schade, denn ich sage dir, dass ich dich gleich töten werde. Ein Gnom ohne Verstand ist mir lieber als jeder Mensch."

      "Das solltest du nicht tun", riet Snees, der die leisen Worte vernommen hatte. Er wusste nicht, weshalb der Ork dachte, er hätte keinen Verstand. Vielleicht dachten alle Orks so über Sumpfgnome.

      "Was soll ich nicht tun?", fragte Zerk. "Den Mensch töten?"

      "Ja. Vielleicht kann er von Nutzen sein."

      "Wir werden den Weg zur Kampffront auch ohne ihn finden", war Zerk überzeugt.

      Snees hatte nicht vor, dorthin zurückzukehren, aber das brauchte der Ork nicht zu wissen. "Das meine ich nicht. Ich meine, vielleicht kann er mir bei dem Auftrag helfen, von dem der Elfen-Mensch sprach."

      Zerk erwiderte nichts. Was war auf das Gerede von Wesen zu geben, die ihr Leben im Wasser verbrachten? Das Wasser weichte ihre Hirne auf. Andererseits hatte der Gnom nicht ganz unrecht. Brachte er ihn und den Mensch zur Kampffront, konnten beide ihm nutzen. Er brachte einen dem Krieg entlaufenen Gnomenhäuptling und einen Menschen. Das mochte seinen Hauptmann beeindrucken.

      Staunend wechselte Joog Blicke zwischen den fremdartigen Wesen. Die beiden unterhielten sich im Gegrunze des Orks. Das kleine, gelbhäutige Geschöpf, das bis auf Schurz und Schuhe nackt war, das weder einen Nabel noch Brustwarzen hatte, grunzte wie der Ork, wenn auch nicht in den dumpfen Lauten, die der Unhold von sich gab, sondern in höheren Tönen. Und dieses Geschöpf saß in einem Boot, worin Joog seinen Stiefel entdeckte.

      Der Abenteurer sprang an dem vor sich hin starrenden Ork vorbei, landete krachend im Boot. Der Gnom riss überrascht die Augen auf. Der Ork erhob sich. Joog griff sich den Säbel und wollte nach dem Gnom stechen. Der setzte mit einem Sprung über die Bootswand und tauchte im Fluss unter. Der Abenteurer wirbelte herum, starrte den Ork an, der die Axt gezogen hatte. Das Boot löste sich vom Ufer. Es trieb ein Stück weiter auf den Fluss. Das macht der Gnom, wurde Joog klar. Er konnte sich keinen Grund erklären, weshalb der Sumpfgnom ihn aus der Reichweite des Orks brachte. Zehn Fuß vor dem Boot tauchte der Kopf des Gnoms aus dem Fluss auf. Wasser lief ihm vom kahlen Schädel. Der Ork grunzte und deutete mit der Axt zum Boot. Der Gnom erwiderte schrill das Grunzen, worauf der Ork die Axt in das Futteral auf dem Rücken steckte. Er zog das Seil unter dem Wams hervor und warf es in den Fluss. "Was haben die mit meinem Seil vor?", fragte Joog sich.

      Ruhig umfloss das Wasser das Boot. Der Gnom war nicht mehr zu sehen. Der Ork stand am Ufer und blickte zu Joog hinüber. Ja, behalte mich im Auge, dachte der Abenteurer, und vergiss den Säbel nicht, womit ich dir die Beine abrasieren werde, sobald ich in deiner Nähe bin. Hinter Joog klatschte das Wasser. Der Abenteurer drehte sich dem Geräusch zu. Der Gnom hockte auf der Bootswand. In einer Hand hielt er das Seil. Er stieß ein Zischen aus und sprang. Die gestreckten Füße trafen Joogs Brust. Der ließ den Säbel fallen und kippte rücklings über Bord. Der Gnom sprang neben ihn in den Fluss. Flink wie ein Fisch tauchte er um den Abenteurer, schlang das Seil um ihn und zog ihn tiefer hinab. Innerhalb von Sekunden wurde Joog umschnürt. Der Gnom straffte das Seil, das dem Abenteurer die Luft aus den Lungen presste. Durch einen Schwall aus Luftblasen sah Joog die dünne Gestalt auftauchen. Mit raschen Beinstößen schoss der Gnom dem Himmelblau über dem Wasser entgegen. Joog wurde aus der Tiefe gezogen. Er stieß gegen das Ufer. Der Ork zog ihn über die Böschung.

      "Dafür, dass du keinen Verstand hast, war die Idee gut", erkannte Zerk die List des Gnoms an. Nass wie ein Wassertier lag der Mensch vor seinen Stiefeln. Seine Augen schienen größer geworden zu sein. Das Weiße darin war nun auch über und unter den hellen Scheiben zu sehen. Die Augen des Menschen waren Zerk unbehaglich. Er schaute zum Boot, das langsam zum Ufer trieb. Darin band der Gnom sich den Säbel auf den Rücken. "Gib den Stiefel!", befahl Zerk. Feind hin oder her, der Mensch hatte das Recht, in beiden Stiefeln zu sterben, und sterben würde er, wenn auch der Zeitpunkt noch nicht feststand.

      Joog verstand nichts mehr. Er sah seinen Stiefel durch die Luft fliegen, der vom Ork aufgefangen wurde. Was ist los?, wunderte