Eckhard Seipelt

Wunderbares Afrika


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weiter. Die Stimmung im Bus ist trotz der bedrückenden Enge ausgelassen und heiter. Die Äthiopier sind sehr herzliche Menschen. Eine junge Frau, die die Ausstrahlung eines Engels hat, kauft uns beim nächsten kurzen Stopp eine Tüte mit schmackhaften Nüssen und Getreidekörnern. Wir sind ein ums andere Mal sehr berührt von der Gastfreundschaft dieser nicht gerade wohlhabenden Menschen.

      Nach ca. 3 Stunden wird zur Mittagspause angehalten. Eine weitere hübsche Frau, die nur ein paar Worte englisch spricht, bittet uns zu sich an den Tisch. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Wir essen gemeinsam von einem Teller. Grundlage des Essens ist fast immer ein riesiger, kreisförmiger Fladen aus Teff, einer Getreideart. Darüber werden verschiedene Sossen, Gemüse und Fleisch verteilt. Da wir Vegetarier sind, bestellen wir ein zusätzliches Injera (das ist der Name des Gerichts) ohne Fleisch. Unsere Schönheitskönigin, die unterwegs die Nüsse spendiert hatte, gesellt sich ebenfalls dazu. Sie vollbringt das Kunststück, trotz ihrer offensichtlichen Wirkung auf Männer, vollkommen natürlich geblieben zu sein.

      Nach dem Essen wird uns erst bewusst, auf welcher Höhe über dem Meeresspiegel wir uns befinden. Links und rechts blicken wir aus schwindelerregender Höhe auf wunderschöne grüne Täler. Bald geht es in Serpentinen hinunter in das Tal des blauen Nils. Die zauberhafte Aussicht wird von den harmonisch in die Landschaft integrierten Rundhütten der Einheimischen untermalt. Kurz bevor wir die Brücke über den Nil erreichen, springt ein Pavian im wahrsten Sinne des Wortes im Affentempo knapp vor unserem Bus über die Straße. Vera Elisa unterhält sich mit einem Lehrer, der recht passabel englisch spricht. Er interessiert sich für Vera Elisas deutsches Reisehandbuch und ist vollkommen fasziniert von den Umlauten ä, ö und ü. Diese Buchstaben sind ihm vollkommen unbekannt, er lässt sich die Bedeutung erklären. Nach kurzer Zeit beherrscht er das vollständige deutsche Alphabet. Umgekehrt ist es für uns aussichtslos. Die amharische Schrift mit ihren wunderschönen Schriftzeichen, eine Inspiration für jeden Kaliographen, erschließt sich uns nicht.

      Zwischenzeitlich befinden sich in dem 15-Personen-Bus 23 Erwachsene, ein Kleinkind und ein Säugling. Die Stimmung bleibt unvermindert fröhlich, die Musik ist gut. Die Straße wird schlechter, aus heiterem Himmel entstehen monsunartige Regenfälle. Bis vor wenigen Augenblicken hatten wir noch wolkenlosen, tiefblauen Himmel. Immer wieder versperren große Viehherden die Straße. Meistens sind sie bunt gemischt aus Rindern, Eseln, Schafen, Ziegen und gelegentlich Pferden. Jede Tiergattung bleibt allerdings in dem unübersichtlichen Getümmel unter sich, anders als bei uns im Bus. Wir als einzige Weiße sind von Anfang an in die Familie der "Schwarzafrikaner" aufgenommen worden. Nach weiteren Stunden müssen wir den Minibus wechseln. Weiter geht es in einem Bus, der das Präfix "Mini" voll und ganz verdient. Zwar hatten einige Reisende unseren vorherigen Bus an der Wechselstation verlassen, trotzdem kommen wir so langsam an die Grenze unserer Schrumpffähigkeit. Auf der Weiterfahrt halten wir mehrmals in kleineren Orten an. Sofort ist der Bus jedes Mal von Kindern umringt, die uns mit großen Augen, zurückhaltend bestaunen. Scheinbar verirrt sich nur selten ein Europäer hierhin. Um 18 Uhr erreichen wir vollkommen zerknautscht Debre Markos. Eigentlich wollten wir um diese Zeit bereits in Bahir Dar sein. Mein Rucksack wird vom Dach des Kleinbusses heruntergereicht. Es regnet in Strömen. Obwohl das Gepäck vorbildlich mit mehreren Planen abgedeckt worden war, ist mein Rucksack vollkommen durchnässt. Trotzdem, und auch in Anbetracht aller Strapazen, macht mir mein Leben momentan um ein Vielfaches mehr Spaß als z. B. zu Hause vor dem Fernsehgerät.

      Unser Lehrer und die beiden hübschen weiblichen Reisebekannten versuchen mit uns im Schlepptau die Weiterreise nach Bahir Dar zu organisieren. Enttäuscht teilen sie uns mit, dass es heute keine Verbindung mehr gibt. Insbesondere unsere spendable "Nussfee" ist sehr betrübt darüber, und wir müssen sie ein wenig aufmuntern. Nachdem wir den Busbahnhof, im Grunde genommen nur ein großer Acker, auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit verlassen haben, kommt ein Einheimischer hinter uns her gerannt. Er hat doch noch einen Fahrer gefunden, der bereit ist, uns nach Bahir Dar zu bringen. Er hat noch drei weitere Reisende aufgetrieben, die das gleiche Ziel haben. Scheinbar lohnt es sich nun doch noch für einen Minibusfahrer, uns zu befördern, obwohl wir nur mit halbvollem Bus stadtauswärts fahren. Nach ca. 2 Kilometern verstehen wir den plötzlichen Gesinnungswandel. Wir halten neben einem liegengebliebenen Bus und nehmen alle Fahrgäste auf. Der Handykontakt funktioniert augenscheinlich auch hier im entlegenen Afrika ausgezeichnet. Mit erheblichem Körperkontakt zu den Sitznachbarn wird die Fahrt wie gewohnt in einem hoffnungslos überfüllten Bus fortgesetzt. Wieder geht es durch zauberhafte Landschaften mit ursprünglichem Landleben. Die Berggipfel erreichen Höhen von bis zu 4000 Metern.

      Nach einer guten Stunde endet die Fahrt abrupt. In einem kleinen Ort stehen wir eine halbe Stunde am Straßenrand. Der mitreisende Lehrer erklärt uns, dass wir nicht an einem örtlichen Krankenhaus vorbeifahren dürfen, weil dort gerade jemand verstorben ist. Um was für eine Art von Tradition es sich genau handelt, können wir nicht in Erfahrung bringen. Nach weiteren, unendlich vorkommenden Minuten setzt sich der Bus dann wider Erwarten doch wieder in Bewegung.

      Währenddessen hat es den Anschein, als ob unsere Reisebekannschaften sich über uns unterhalten. Mehrmals telefoniert eine der jungen Damen auf ihrem Handy. Freudestrahlend lässt sie uns dann von dem Lehrer und von "Miss Ethiopia" übersetzen, dass sie für uns ein Zimmer in der Nähe vom Busbahnhof in Bahir Dar ausfindig machen konnte. Sie fragt uns, ob sie es für uns buchen soll. Wir sind zutiefst berührt von so viel Hilfsbereitschaft. Dankend nehmen wir das Angebot an und lassen das Zimmer reservieren. Wir werden ausgesprochen spät in Bahir Dar ankommen und hatten uns schon damit abgefunden, die letzten Stunden der Nacht am Busbahnhof ausharren zu müssen. Wir erkundigen uns, ob schon abzusehen ist, wann wir unser Ziel erreichen werden. Gegen 5 Uhr ist die Antwort. Wir gehen davon aus, dass 5 Uhr in der Nacht damit gemeint ist. Das es so spät werden soll, überrascht uns doch sehr. Schnell stellt sich heraus, dass 5 Uhr äthiopischer Zeit gemeint ist. In Äthiopien gehen die Uhren in der Tat anders. Fünf Uhr nachmittags entspricht 23 Uhr unserer Stundeneinteilung. Da in Äthiopien auch die westliche Uhrzeit benutzt wird, vor allem in den Großstädten, muss man sich stets vergewissern, welche Zeiteinteilung gemeint ist, wenn man sich z. B. nach der Abfahrtszeit eines Busses erkundigt. Der äthiopische Kalender weicht ebenfalls von unserem ab. Unmittelbar vor unserer Ankunft in Addis Abeba hatte das äthiopische Jahr 2007 begonnen.

      Etwa 50 Kilometer vor Bahr Dar werden wir unversehens von einer Polizeistreife angehalten. Alle Fahrgäste müssen aussteigen und werden auf Waffen untersucht. Wir haben die Ehre, im Minibus sitzen bleiben zu dürfen und nicht kontrolliert zu werden. Nach der Leibesvisitation wird vor dem Bus laut diskutiert. Von unseren Mitreisenden erfahren wir, dass wir hier übernachten müssen. Aus Sicherheitsgründen ist die Straße ab 3 Uhr (= 21 Uhr) gesperrt. Alle Passagiere stehen wortlos am Straßenrand, nur Vera Elisa und ich bleiben im Bus sitzen. Nach einer halben Stunde verlässt Vera Elisa den Bus und versucht ein Gespräch mit einem der Polizisten zu führen. Später schildert sie mir die Geschehnisse folgendermaßen:

      Der Polizist, auf den sie zunächst zugegangen war, sprach kein Wort englisch. Er hat ihr ein paar Nüsse angeboten und ihre Hand mit Nüssen gefüllt. Dann hat er Vera Elisa zu seinem Vorgesetzten gebracht. Vera Elisa hat diesem erzählt, dass wir schon eine sooo lange Reise hinter uns hätten, und dass wir sehr müde seien und in unser Hotel möchten. Der Vorgesetzte verstand englisch, er war aber nicht befugt, Entscheidungen zu treffen. Also geht es weiter zum obersten "Boss". Vera Elisa erzählt dem "Chef" zusätzlich zu ihren bisherigen Ausführungen von den vielen Baustellen, den großen Viehherden und der unterbrochenen Weiterfahrt durch den Sterbefall. Abschließend bittet sie ihn, dass er uns doch weiterreisen lassen möge, betont dabei ausdrücklich, dass die Äthiopier alle sooo freundliche Menschen sind und drückt ihm die soeben "geschnorrten" Nüsse in die Hand. Der "Oberpolizist" weigert sich zunächst, uns weiterfahren zu lassen, zögert dann, grübelt ein wenig und gibt schließlich nach. "Technischer KO", gegen die Waffen einer Frau sind auch hartgesottene Polizisten machtlos. Unter dem lauten Jubel aller Mitreisenden springen alle in den Bus, und blitzschnell verschwinden wir am Horizont, bevor es sich die Polizei doch noch anders überlegt.

      Warum die Straße nachts gesperrt wird bleibt uns ein Rätsel. Sie ist auf diesem Abschnitt gut ausgebaut und trotz strömenden Regens und schlechtester Sichtbedingungen rast unser Fahrer a la Michael Schumacher durch die äthiopische Nacht. Hin und wieder bringen sich Tiere vor unserem nächtlichen