M. C. Steinweg

Safe!


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beide mit größtem Elan daran, herauszufinden, welche der hinzugefügten Substanzen diese unglaubliche Wirkung bei den Versuchstieren hervorgerufen hatte.

      Das erste Mal in der ganzen Zeit der Zusammenarbeit war es Evelyn einerlei, dass sie ihr Wochenende im Labor verbrachte. Die Hoffnung auf die ganz große Entdeckung spornten beide dazu an, unabhängig von den Wochentagen weiterzuarbeiten. Andreas hatte eh nichts Besseres vor, wie er sagte und Evelyn hatte sich in der Zwischenzeit von ihrer Dating Plattform abgemeldet. Somit bot sich für sie keine Verabredung an. Außerdem bezweifelte sie, jemandem gegenüber zu sitzen, der sie mehr begeisterte als die derzeitige Versuchsreihe.

      Da das Laborgebäude normalerweise an den Wochenenden so gut wie nicht besetzt war, befanden sich Andreas und Evelyn, zusammen mit dem Wachdienst unten, völlig alleine in dem großen Gebäude. Konzentriert auf eine laborchemische Betrachtung, die Eve sofort in ihren Computer übertrug, zuckte sie erschrocken zusammen, als es an der Zutrittstür des Labors klingelte.

      ››Bleib sitzen Eve, ich schau mal nach wer da ist.‹‹

      Andreas war wie von der Tarantel gestochen sofort aufgesprungen und lief schon in Richtung Nebenraum zum Flur des Labors. Evelyn nutzte die Unterbrechung, um sich zu recken und zu strecken. Ihr Nacken war verkrampft von dem krummen Sitzen vor dem Mikroskop. Eigentlich bräuchte sie dringend einmal eine Pause. Sie warf einen Blick auf das Notebook, welches aufgeklappt direkt neben ihr stand, damit sie die Ergebnisse sofort dort eingeben und abspeichern konnte.

      Vom Flur des Labors schallten laute Stimmen zu ihr herein und weckten ihre Aufmerksamkeit. Unschlüssig, was das zu bedeuten hatte, erhob sie sich aus ihrem Drehstuhl und lief zur Tür, die den Laborraum von dem Nebenraum trennte. Hier konnte sie Andreas Stimme durch den langen Laborflur überlaut hören.

      ››Nein, ich lasse Sie nicht herein, ohne dass Sie sich ausgewiesen haben!‹‹

      Was ist denn da los? Fragte sie sich und ging durch den Nebenraum direkt zum Flur. Schon im Näherkommen hörte sie die Antwort auf Andreas‘ Ankündigung in Form einer aufgebrachten Männerstimme, die von der anderen Seite der Tür antwortete.

      ››Lassen Sie uns sofort herein oder wir verschaffen uns den Zutritt mit Gewalt.‹‹

      Andreas schaute sich hektisch um und sah Evelyn, die durch die lauten Stimmen aufmerksam geworden, den Kopf durch die Türe streckte. Er schüttelte den Kopf.

      ››Eve, ich habe kein gutes Gefühl. Der Sicherheitsdienst hat weder angerufen noch begleitet er die Typen die draußen vor der Tür stehen. Sie haben soeben angedroht, gewaltsam einzudringen. Wenn die das wirklich machen, kann das nichts Gutes bedeuten. Ich halte sie hier auf solange ich kann, sieh du zu, dass sie hier nichts finden!‹‹

      Mit leiser Stimme und Augen so groß wie Untertassen sprach er beschwörend auf Evelyn ein. Die Situation kam ihr völlig unreal vor. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Mein Gott, erkannte Eve plötzlich, Andreas hatte furchtbare Angst. So kannte sie ihn nicht. Andreas war immer der ruhige, überlegte und methodisch handelnde Kollege. Schlagartig breitete sich auch in ihrem Inneren die Angst aus. Sie spürte, wie sich ihr Pulsschlag erhöhte. Sie musste Andreas unbedingt so gut wie möglich helfen!

      Evelyn nickte ihm daher so beruhigend wie sie nur konnte zu und antwortete ihm leise: ››Mache ich. Ich verschließe die Türen und öffne sie nur für dich.‹‹

      ››Ist in Ordnung Eve. Was auch immer geschieht, lass die nicht an irgendwelche Daten kommen. OK?‹‹ Seine Stimme klang nicht viel ruhiger als vorhin, doch Andreas Gesichtsausdruck strahlte eine Entschlossenheit aus, die vorher nicht da gewesen war. Evelyn nickte ihm ein letztes Mal zu, bevor sie die Tür zwischen Flur und Nebenraum verschloss und zurück in den Laborraum hastete.

      Draußen wurde in dem Versuch sich Zutritt zu verschaffen, heftig gegen die Tür gehämmert. Doch die Zugangstür war keine gewöhnliche Tür, sondern eine speziell gesicherte Sperre nach draußen. Schließlich befand sich dahinter keine Wohnung, sondern ein Labor, welches den entsprechenden Sicherheitsstandards genügen musste.

      ››Letzte Warnung. Öffnen Sie sofort die Tür!‹‹

      Schallte die Männerstimme erneut durch die Tür. Zitternd vor Angst und Aufregung eilte Eve weiter in den Laborraum und verschloss die Zugangstür hinter sich. Anschließend klemmte sie den alten Stuhl, der neben der Tür stand und auf dem ihre Handtasche lag, unter die Klinke. Oh Gott dachte sie, was soll ich nur tun? Sie musste alles entsorgen oder mitnehmen. Okay, dass hieß, Flucht über die Feuertreppe. Hektisch riss sie sich ihren Kittel vom Leib und zog ihre wärmende Jacke über.

      Mit zitternden Fingern streifte sie sich ihre Handtasche über und zog den langen Riemen diagonal über ihre Schulter, um die Hände frei zu haben. Andreas Stimme war erneut zu hören und anschließend ein lautes Wummern. Warum schritt der Wachdienst nicht ein? Evelyn dachte daran, die Polizei anzurufen, doch das würde nur unnötig die wertvolle Zeit verzögern, die sie für ihre Flucht und die Sicherstellung aller Unterlagen hatte. Also griff sie in den Laborkühlschrank und entnahm die dort gelagerten Ampullen mit dem Wirkstoff. Ihre Hände zitterten, während sie den Wirkstoff in ihre Handtasche gleiten ließ. Die Ampullen klimperten leise, wenn das Glas aufeinander traf. Sie musste sehr vorsichtig mit der Tasche umgehen, damit nichts zerbrach. Als nächstes wandte sie sich dem Laptop zu. Sie klickte auf die Schaltfläche, um den Rechner herunterzufahren, als sie Andreas Stimme laut und schrill hörte, wie er den Männern draußen an der Tür zurief:

      ››Nein, ohne Wachpersonal und ohne Identifikation werde ich niemanden hereinlassen.‹‹

      Seine Worte dürften die Männer auf der anderen Seite der Tür wenig erfreuen. Das, so schaltete Evelyn schnell, dürfte jetzt spätestens das Signal zum Angriff sein. Schnell klappte sie Laptop, ohne es komplett heruntergefahren zu haben, zusammen und zog das Stromkabel aus der Steckdose. Kaum hatte sie das Kabel in der Hand, ertönte ein lauter Knall, der ihr fast das Gehör raubte. Die ohnehin hohe Dosis an Adrenalin schien sich in ihrem Körper noch einmal zu verdoppeln.

      Am ganzen Körper zitternd, mit dem Notizblock, Laptop und Stromkabel zusammen unter einen Arm gepackt rannte sie so schnell wie möglich zum Notausgang. Der einziger Weg nach draußen führte über eine Feuerwehrnottreppe, die vom Laborfenster aus in engen Windungen nach unten auf den Rasen im Hof des Gebäudes führte. Sie hörte die Männer, die sich an der Tür zum Vorraum zu schaffen machten. Von Andreas hörte sie nichts mehr. Hoffentlich ging es ihm gut! Dachte sie, während sie, ohne noch einen Moment abzuwarten, das Fenster zur Nottreppe aufriss und damit den Feueralarm auslöste. Im Rausklettern sah sie, wie die Labortüre unter dem Ansturm von außen in ihren Angeln bebte. Ganz offensichtlich wurde sie von der anderen Seite bearbeitet. Lange würde sie der Gewalt nicht mehr Stand halten.

      So gut es ging, kletterte Evelyn aus dem Fenster und lief so schnell sie konnte die Wendeltreppe hinab. Dass sie nicht schwindelfrei war, spielte in diesem Moment keine Rolle. Der freie Blick nach unten durch das Gitter der Treppe wurde von ihr nicht wahrgenommen. Nur raus, nur weg. Die Panik verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Unten auf dem Rasen angekommen rannte sie rüber zu dem Mitarbeiter Parkplatz hinter dem Haus und dankte im Geist dem Himmel dafür, dass sie in ihrer Jackentasche den Autoschlüssel hatte. So konnte sie mit gezücktem Schlüssel in ihren kleinen Nissan einsteigen. Ohne sich noch einmal umzuschauen, fuhr sie mit Vollgas von dem Parkplatz herunter.

      Kapitel 3

      Vom Adrenalin angetrieben, pumpte Evelyns Herz ihr Blut in Schallgeschwindigkeit durch ihre Adern. Wohin sollte sie fahren? Was sollte sie machen? Wer war das? Was wollten die? Woher wussten die überhaupt, dass Andreas und sie im Labor waren? Was war mit Andreas? Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf und auf keine wusste sie auch nur annähernd eine Antwort. Automatisch lenkte sie ihr Auto in Richtung ihrer Wohnung.

      Von weitem drangen Feuerwehrsirenen an ihr Ohr, die mit großem Alarm Richtung Labor ausrückte. Das war die Reaktion auf den von ihr ausgelösten Feueralarm. Die werden das Labor aufsuchen und Andreas helfen, tröstete sie sich. Vom letzten Fehlalarm wusste sie, dass die Jungs von der Feuerwehr den Alarmauslöser