M. C. Steinweg

Safe!


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in ihrer Wohnung zu verkriechen, bis die Polizei eintraf und sie sich dann bei denen melden könnte.

      Auf dem Weg nach Hause brach sie alle Geschwindigkeitsrekorde. Dummerweise versäumte sie es, früh genug in ihre Straße, in der sie wohnte abzubiegen, daher blieb ihr nichts anderes übrig, als einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen und von hinten an ihr Haus heranzufahren. Mit pochendem Herzen ließ sie ihr Auto auf dem Hof hinter dem Haus stehen und hastete mit den aus dem Labor mitgenommenen Sachen nach oben in ihre Wohnung in der ersten Etage.

      Im Haus war alles still. Klar, es war Wochenende. Die Nachbarn über ihr machten bestimmt wieder einen Ausflug mit den Kindern, wahrscheinlich in den Zoo, wie Sarah, deren Tochter ihr gestern stolz berichtet hatte. Und der Nachbar unter ihrer Wohnung befand sich in der Türkei im Urlaub.

      Endlich erreichte sie außer Atem ihre Wohnungstür. Umständlich kramte sie mit ihren Fingern in der Handtasche zwischen den Ampullen nach den Wohnungsschlüsseln. Auf den Tastsinn ihrer Finger vertrauend, heftete sich ihr Blick auf ihre Wohnungstür. Irgendetwas stimmte nicht. Der Türgriff war schief und ein schmaler Spalt klaffte zwischen dem Türrahmen und der Tür.

      Langsam, wie in Zeitlupe, hörte sie auf in ihrer Tasche zu suchen und drückte vorsichtig gegen ihre Haustür. Ohne Widerstand schwang sie weit auf. Die soeben noch gespürte vermeintliche Sicherheit und Ruhe sowie der Beschluss in ihrer Wohnung auf die Polizei zu warten, löste sich umgehend in Luft auf. Lauschend stand sie im Flur, ängstlich darauf horchend, ob vielleicht noch jemand in ihrer Wohnung wäre. Doch alles war still. Mit weichen Knien betrat sie schließlich ihr Appartement.

      Auf dem Boden der Diele lagen die Jacken, die vorher an der Garderobe hingen, dass Wohnzimmer war durchwühlt und befand sich in einem heillosen Chaos. Alles was vorher in ihren Schränken war, lag nun kreuz und quer auf dem Boden verteilt. Die Blumen waren von der Fensterbank gerissen und lagen geknickt mitsamt der Erde zwischen ihren Büchern. Zerbrochenes Glas und Porzellan knirschte unter den Sohlen ihrer Stiefel.

      Auch im Schlafzimmer bot sich ein Bild der Verwüstung. Das Bettzeug lag zusammen mit ihrer Kleidung aus dem Kleiderschrank auf dem Boden. Alle Schubladen und Schränke waren aufgerissen und gähnten in beraubter Leere.

      Das Laptop welches sich in Eves Nachtschrank befand, fehlte. Ebenso die Speichersticks die in einer Blumenvase im Wohnzimmerschrank gelagert waren.

      Oh mein Gott, durchfuhr es sie. Die wissen wo ich wohne. Keine Frage, der Einbruch im Labor stand mit diesem Chaos in Verbindung. Das hieße, dass die Männer nur eins und eins zusammenzählen mussten um zu wissen, wo sie sich befand. Schlagartig erwachte sie aus ihrer Schockstarre. Vor ihren Füßen lag eine Sporttasche die sie seit Wochen nicht mehr benutzt hatte. Dank der unbekannten Einbrecher war sie von dem Sportzeug entleert. Hastig ergriff sie die Tasche und stopfte ein paar Klamotten hinein.

      Nur das Nötigste um vielleicht zwei oder drei Tage irgendwo zu übernachten. Den Reisepass fand sie zwischen der Kakteenerde und dem, was einmal ein schöner großer Kaktus war. Ganz oben in die Tasche legte sie das Notebook mit dem Stromkabel.

      Im Hinausgehen fand sie ihr altes Glassparschwein, in dem sie über Jahre hinweg Geldscheine gesammelt hatte. Heute war der Tag an dem es dran glauben musste. Beherzt zerschlug sie das Glas und stopfte sich das Geld in die Handtasche. Danach setzte sie ihre Flucht aus der Wohnung fort und lief mit der Sporttasche an der Hand wieder herunter in den Keller zum Hinterausgang. In ihrer Eile vorhin, hatte sie vergessen, ihr Auto abzuschließen, somit konnte Eve direkt in ihr Auto einsteigen, ohne es vorher aufzuschließen. Die Sporttasche und die Handtasche warf sie auf den Beifahrersitz.

      Zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde startete sie zitternd ihr Auto. Ihre Gedanken rasten, wohin sollte sie bloß fahren? Zu ihren Eltern? Nein, auf keinen Fall. Die wollte sie nicht in Gefahr bringen. Genauso wenig wie ihre Freundin Monika. Die Polizei! Die sollte ihr helfen können. Genau. Erleichtert, dass ihre grauen Zellen doch noch nicht komplett den Dienst verweigerten, fuhr sie vom Hof und bog auf die Hauptstraße ein. Es war wenig los auf der Straße und so brauchte sie an der Einmündung gar nicht lange warten.

      Vor ihrem Haus stand ein schwarzer Golf, der ihr völlig unbekannt war. Aus den Augenwinkeln heraus sah Evelyn im Vorbeifahren zwei Männer darin sitzen. Zwei Männer in einem Auto, die den Eingangsbereich zu ihrem Haus beobachteten, reichten in dieser Situation vollkommen aus, um Evelyns Adrenalinpegel weiterhin auf Rekordniveau zu halten und ihrer Panik einen festen Platz in ihrer Gefühlspalette zuzuordnen. Die beiden Typen in dem Golf schauten erstaunt auf sie und ihr Auto, während sie an denen vorbei fuhr. Allerdings reagierten sie viel cooler, als es bei ihr selbst der Fall war.

      Wie Evelyn nicht anders erwartete, nahm der Fahrer des Golfes mit laut aufheulendem Motor die Verfolgung auf. Du lieber Himmel, stöhnte sie entsetzt am Lenkrad ihres kleinen Nissans, mir bleibt aber auch nichts erspart. Die Ampel vor ihr sprang auf Rot um. Sie beschloss, nicht anzuhalten, denn sonst, das wusste sie instinktiv, wäre sie geliefert. Also trat sie das Gaspedal durch und fuhr mit vollem Risiko über den Kreuzungsbereich.

      Die Autofahrer rechts und links hupten. Doch da auf Grund des Wochenendes nicht viel auf den Straßen los war, hatte sie Glück und nichts passierte. Leider war das Glück auch dem Golffahrer hinter ihr hold, denn der blieb dummerweise hinten an ihrem Fahrzeugheck kleben. Mit dem Mut der Verzweiflung fuhr Eve über jede rote Ampel, missachte alle Vorfahrtsregeln und hüpfte wie eine Gehirnamputierte auf Drogen zwischen den Fahrzeugen hin und her, um den Abstand zu ihrem Verfolger zu vergrößern.

      Es war wie verhext. Obwohl sie mit ihrem Auto zu einem mobilen Gegenstand öffentlichen Ärgernisses und einer Gefahr für die Allgemeinheit mutierte, war nicht ein einziger Streifenwagen zu sehen, der ihr zu Hilfe hätte eilen können. Wenn man die Jungs einmal brauchte, waren sie nicht da und sonst hockten sie hinter jedem Busch, um die ahnungslosen Autofahrer zur Kasse zu bitten. Ihr Unglück verdammend und mit einer Reihe Schimpfworten auf den Lippen setzte sie ihren Weg zur Polizeiwache des Stadtteils fort.

      Endlich erreichte sie die Polizeistation. Auf dem Parkplatz vor dem Wachgebäude war kein Auto zu sehen. Im Gegenteil, der Parkplatz schien regelrecht verwaist zu sein. Die Wache war unbeleuchtet und machte einen geschlossenen Eindruck. Auch das noch! Hatte sich denn alles gegen sie verschworen? Vage viel ihr ein, dass sie vor vielleicht zwei oder drei Wochen in der Stadtteilzeitung gelesen hatte, dass die Polizeidienststellen aus Kostengründen zusammengestrichen und zentralisiert wurden. Diese Wache gehörte offensichtlich auch zu den betroffenen Stationen. Tränen der Verzweiflung bahnten sich den Weg. Das konnte doch alles nicht wahr sein!

      Hinter Evelyn fuhr der schwarze Golf auf den Parkplatz und blockierte die Ausfahrt. Ganz langsam. Klar, er hatte alle Zeit der Welt, schließlich wäre sie gezwungen, an ihm vorbei zu fahren um den Parkplatz zu verlassen. Was diese Typen aber ganz sicher nicht zulassen würden, da war sie sich ziemlich sicher. Wenn die schon so dreist waren, ihre waghalsigen Fahrmanöver eins zu eins mitzumachen, dann hätten die vermutlich auch kein Problem damit, sie in aller Öffentlichkeit anzugreifen. So ein Mist! Ärgerte sie sich über sich selbst, sie hatte totalen Mist gebaut. Wie sollte sie jetzt noch entkommen?

      Siegessicher hielt der Fahrer des Golfs an und aus der geöffneten Beifahrertüre stieg ein Gorilla von einem Mann. Dem breiten Grinsen nach zu urteilen, war er sich absolut sicher, seine Beute in die Enge getrieben und erwischt zu haben. Vor Aufregung biss sich Eve auf die Unterlippe und betrachtete voller Angst den Mann, der auf sie zu lief. Dann sah sie, dass er in einer Hand eine Pistole hielt. Ohne dass der Typ sein Vorhaben in Worte fassen musste, war ihr klar, was der Kerl im Sinn hatte. Dieser Anblick veranlasste Evelyn schlagartig ihre Verzweiflung bitter herunter zu schlucken und nach einem Ausweg zu suchen. An diesem Punkt angekommen war ihr so ziemlich alles egal.

      Mit einem lauten Ratschen legte sie den ersten Gang ein und fuhr wieder an. Im Rückspiegel sah sie den Typen von hinten auf ihr Fahrzeug zu laufen, sogar im Rückspiegel konnte sie sein selbstgefälliges Grinsen erkennen, dass förmlich von einem Ohr zum Anderen ging. Mit dem Mut der Verzweiflung quälte sie mit aufheulendem Motor und protestierendem Getriebe ihren Nissan über die Bordsteinkante des Parkplatzes, quer über ein Beet mit diversen Grünpflanzen, anschließend über den Bürgersteig und schlitternd weiter über die angrenzende Bushaltestelle auf die Straße. Die Aktion war bestimmt nicht ohne Folgen für ihr