Gerhard Gemke

Theater in Bresel


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nichts zu Lachen bei dem griesgrämigen Geizkragen. Und jeder hätte ihm ein schlimmes Ende gegönnt. Nur der Geist der Weihnacht … aber das kann ja jeder bei Charles Dickens nachlesen.

      Zum Schluss sangen die Schauspieler unterstützt vom Theatermusiker das alte englische Weihnachtslied God rest you merry gentlemen. Schnee (also Theaterschnee) rieselte auf sie herab. Mit mehreren Verbeugungen bedankte sich das Ensemble für den herzlichen Applaus. Vorhang zu.

      Und Vorhang wieder auf. Der Schauspieler im Kostüm des geizigen Scrooge schritt zur Rampe und hielt seine Hände in die Luft. Langsam senkte er die Arme und im Publikum wurde es still.

      „Es freut uns sehr, dass es euch gefallen hat.“

      „Das war Klasse!“, krähte ein Knirps aus der dritten Reihe.

      Der Schauspieler lächelte. „Aber es kommt noch besser.“ Er spazierte ein paar Meter nach rechts. „Die Dramaturgen der Breselner Kammerspiele haben sich etwas ganz Besonderes für euch ausgedacht. Begrüßen wir mit Applaus Chris Rosenmüller und Jörn Kuhl!“

      Die zweihundert Kinder im Saal klatschten, johlten und pfiffen. Eine zierliche junge Frau und ein angegrauter Fuchs sprangen auf die Bühne. Scrooge senkte wieder mit seinen Händen den Geräuschpegel.

      Die junge Frau sprach nicht sehr laut. „Ich heiße Chris und das ist mein Kollege Jörn“, sagte sie, und es wurde mucksmäuschenstill. „Danke für die Begrüßung. Ich hoffe, euch gefällt die Sache, die wir euch jetzt vorschlagen wollen, ebenso gut. Wir planen nämlich etwas, das auch für unser Theater Neuland bedeutet, und wofür wir die Hilfe der Breselner Schüler benötigen – und eventuell auch der Lehrer.“

      Der graue Jörn entrollte ein meterhohes Plakat. Oben quer stand schreiendrot:

      SCHULTHEATERWOCHE

      Darunter hatte eine andere Handschrift ergänzt:

      Realschule Kaufbeuren, 6b

      Hauptschule Bresel, 8a

      Grundschule Ulm, 4d

      „Eine Schultheaterwoche“, erklärte Jörn. „Das bedeutet, wir suchen Klassen, die bereit sind, ein Stück einzustudieren, und es in der letzten Februarwoche in unserem Theater aufzuführen.“

      Die junge Frau, die Chris genannt wurde, deutete auf das Plakat. „Wie ihr seht, haben sich schon drei Klassen aus unterschiedlichen Schulen und Städten angemeldet. Wir würden uns über doppelt so viele Teilnehmer freuen. Mindestens.“

      „Stücke gibt's genug“, behauptete Jörn Kuhl. „Wer Interesse hat, braucht bloß in der Theater-Dramaturgie vorbeizuschauen.“

      „Oder …“, Chris machte eine große einladende Handbewegung zu den Schülern, „oder jemand hat eine Idee für ein eigenes Stück.“

      „Eure Lehrer haben Informationsmaterial erhalten und werden das mit euch besprechen. Und wir stehen natürlich jederzeit bei allen Fragen und Problemen zur Verfügung. Mit Rat und Tat.“

      Mit bühnenerprobter Eleganz schob Ebeneezer Scrooge die beiden Dramaturgen zur Seite. „Und ich kann euch versichern, es ist ein großartiges Gefühl, auf der Bühne zu stehen und von Maik Bröckl ins rechte Licht gerückt zu werden.“

      Die Kinder sahen noch so eben, wie er über ihre Köpfe hinweg auf die hintere Wand des Theaters deutete, wo der Beleuchter in seiner Kabine saß. Dann ging schlagartig das Licht aus.

      „Maik!“, schrie Scrooge entsetzt.

      Schon zuckten Lichtblitze durch den Saal. Unheimliche Musik kam aus versteckten Boxen und schwoll an zu einer dröhnenden Sinfonie. Wie von Geisterhand tanzten flackernde Projektionen durch die Kulissen, und irrwitziges Scheinwerfergeflimmer tauchte die Bühne in alle Regenbogenfarben. Einige Kinder kreischten, aber die meisten bekamen vor Staunen den Mund nicht mehr zu.

      Nach dreißig Sekunden war der Zauber vorbei. Scrooge, Jörn und Chris standen wieder im normalen Bühnenlicht. Scrooge drohte mit dem Zeigefinger über die Köpfe der Kinder hinweg.

      „Maik wollte euch zeigen, was ein Beleuchter so drauf hat“, lachte Chris.

      Jörn rollte das Plakat wieder ein. „Jetzt solltet ihr aber den Saal verlassen. Die Bühne muss für die nächste Vorstellung eingerichtet werden. Wir hoffen auf eure guten Ideen!“

      „Tschüss!“

      Unter Applaus verschwanden die drei hinter dem Vorhang. Der Saal ächzte erleichtert, als das zweihundertmäulige Schwatzen, Kreischen und Kichern die Türen hinter sich geschlossen hatte.

      Ganz klar, auch die 6b war begeistert. Aber zunächst einmal wurde sie von Herrn Hagemeier direkt ins Wochenende geschickt.

      „Wir besprechen alles in Ruhe am Montag – nach der Mathearbeit!“

      Wie nett, dass Lehrer immer auch noch einen Dämpfer parat haben. Lisa stöhnte und verabredete sich mit Jo am Samstag zum Lernen. Auch Freddie und Jan hatten's bitter nötig und verbrachten in den folgenden zwei Tagen so einige Stunden mit rauchenden Köpfen über den Mathebüchern. Wenigstens den Sonntag Nachmittag gönnten sich die vier auf den dick zugefrorenen Breselner Fischteichen.

      Halb Bresel hatte sich bei strahlendem Sonnenschein versammelt. Ebeneezer Scrooge – natürlich in Zivil – schlitterte mit der gleichen Eleganz übers Eis, die er auf der Bühne bewiesen hatte. Herr und Frau Bürgermeister rutschten gemächlich und nach allen Seiten grüßend am Rand entlang. Elfriede Sievers, schon über 70 und in mehrere Schals und den unvermeidlichen Kamelhaarmantel eingemummelt, kommentierte das Geschehen von der Bank aus, auf der ihr Gatte einst immer gesessen hatte. Damals, als Oskar noch lebte. Hachja.

      Pastor Ambros Himmelmeyer geleitete eine Messdienerschar um den Teich herum wie eine Glucke ihre Küken. Haustenbecks mit Freddie und Fesenfelds mit Jan lieferten sich ein Hockeyduell. Und Jo und Lisa schwebten eine Weile wie zwei Eisprinzessinen von einer Gruppe zur nächsten und verzogen sich irgendwann.

      „Zu Mädchengesprächen“, grinste Freddie und traf Jan mit seinem Schneeball genau in den Nacken.

      Ein ausgesprochen friedlicher Sonntag neigte sich dem Ende zu. Die Breselner trollten sich verfroren aber guter Dinge nach Hause.

      Wenig später versank die Sonne im Abendrot.

      Nur weit im Osten, ungefähr über Augsburg, schlichen Wolkenfäden wie ein Netz durch die Nacht. Vereinzelte Wolkeninseln leuchteten rot wie die Kniegelenke einer Vogelspinne. Allmählich verglühten die Flecken. Sterne blitzten auf und gerieten in das Netz. Und wurden von einer pechschwarzen Wolke gefressen, die sich unaufhaltsam nach Westen schob. Auf Bresel zu.

      Dann schneite es die ganze Nacht.

      Montag, 15. Dezember

      Die Mathearbeit war halb so wild. Eine von der Sorte: Gut dass ihr trotzdem so viel gebüffelt habt, das könnt ihr dann später gebrauchen …

      In der Stunde darauf kam dann der eigentlich spannende Teil dieses Vormittags. Herr Hagemeier stellte sich mit verschränkten Armen vor die Klasse.

      „Nun?“ Erwartungsvoll blickte er von einem zum anderen. „Sollen wir abstimmen, oder habt ihr euch schon entschieden?“

      Augenblicklich waren Quadratzahlen und Winkelsummen vergessen. Wie ein Rudel wild gewordener Welpen tobten mögliche und unmögliche Ideen durch die Klasse. Bis es Herrn Hagemeier zu bunt wurde und er für Ruhe sorgte.

      „Nun, euer Wunsch scheint ja eindeutig zu sein.“ Er kramte einen Zettel aus seiner Ledertasche. „Ich hab hier die Vorschläge der Dramaturgen. Von denen sollt ihr euch einen rauspicken. Hört zu.“

      Herr Hagemeier las mindestens zehn Titel und Kurzbeschreibungen der Stücke vor. Von Titel zu Titel wurde es ruhiger in der Klasse. Als Herr Hagemeier die Liste beiseite legte, blickte er in ratlose Gesichter. Fragend hob er die Augenbrauen. Jan, der Klassensprecher, stand auf.

      „Nun“,