Gerhard Gemke

Theater in Bresel


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Stichwort Zukunft leuchtete das Gesicht von Bürgermeister Müller-Pfuhr wie eines seiner Wahlplakate, unter dem Dank meiner umsichtigen Politik stand. Die Fotografin ließ ihren Fotoapparat dreimal schnell hintereinander klicken. Clemens nickte Radolf zu und fuhr fort.

      „Zum einen schätzen sich die Archäologen des Historischen Museums Bresel glücklich, in den nächsten zwei Monaten die Klosteranlage auf Herz und Nieren untersuchen zu können – dank ihrer freundlichen Unterstützung.“

      Clemens blickte in die Runde. Der gesamte Stadtrat nickte unterstützend. Clemens hustete ein wenig Mehl von den Stimmbändern.

      „Zum anderen hatten der Herr Bürgermeister …“, strahlendes Lächeln – Klick, „… und meine bescheidene Wenigkeit die Idee, das Klostergebäude zu einem zentralen Treffpunkt für die Bürger unserer geliebten Stadt Bresel umzubauen.“ Clemens nahm einen Schluck aus dem bereitgestellten Wasserglas. „Aus dem Schwimmbad im Keller entstünde eine Erlebnistherme mit Saunabereich. Konzerte, Ausstellungen, Dichterlesungen und Volkshochschulkurse würden das Breselner Leben bereichern. Und nicht zuletzt böten die unterirdischen Stollen bis hinauf ins Knittelsteiner Labyrinth, ja bis zur legendären wiederentdeckten Tropfsteinhöhle im Breselberg – dank der Aufgeschlossenheit der neuen Baronenfamilie – glänzende Attraktionen für den für unsere geliebte Stadt so wichtigen - …“, Herr Zuffhausen holte sichtlich bewegt Luft, „… Tourismus.“

      Allgemeines Nicken. Bäcker Blume nieste.

      „Die Jugend“, flüsterte Agathe Müller-Pfuhr quer über den Tisch. „Vergessen Sie die Jugend nicht!“

      Clemens schluckte und hustete in Agathes Richtung. „Richtig. Wie Sie ja alle wissen, bin ich im Hauptberuf Direktor des hiesigen Gymnasiums. Am vergangenen Freitag fand in der Aula des Adalbertinums eine Konferenz aller Breselner Schulleiter statt. Dort wurde der Wunsch geäußert, die Jugend in das Klosterprojekt einzubeziehen. Der Herr Bürgermeister …“, Klick! Die Fotografin war wieselflink, „… hat schon grünes Licht gegeben. Und so möchte ich die heute freundlicherweise anwesenden Damen und Herren des Breselner Volksblattes bitten, in ihrer Zeitung auf ein besonderes Angebot des Historischen Museums hinzuweisen. Wir suchen interessierte Schüler, die in ihrer Freizeit die Archäologen unterstützen möchten. Als Grabungshelfer. Eine einmalige Gelegenheit, davon bin ich überzeugt. Alles Weitere entnehmen sie bitte dem Faltblatt an ihrem Tisch. Ich danke Ihnen.“

      Nachdem der Stadtrat den Sitzungssaal verlassen (und Bäcker Blume seinen Sitzungsstuhl entstaubt) hatte, baten die Reporter den Herrn Bürgermeister und Clemens Zuffhausen zu einem Foto. Am besten – angesichts des strahlenden Wetters – mitten auf dem Marktplatz vor dem Kunibaldbrunnen. Dort standen nun die beiden Herren, lächelnd und händeschüttelnd. Und Doktor Jorgonson umkreiste solange den Brunnen, bis ihn Radolf mit aufs Bild bat.

      Die Volksblattjournalisten – besonders die Fotografin – waren zufrieden und zogen ab (und mussten später von den besten Bildern eine Mehlwolke digital entfernen, die vor dem Portal der Sankt-Urban-Kirche auf den Bäckerladen von Bäcker Blume zusteuerte).

      Clemens, Radolf und Doktor Jorgonson verabschiedeten sich wortreich und verließen Ritter Kunibald, der eisern die Lippen aufeinander presste. Die Menschen (und speziell die Politiker) hatten sich in den verflossenen eintausend Jahren kein Stück geändert. Was eigentlich auch nicht zu erwarten gewesen war.

      Breselner Volksblatt, 10. Dezember

      EVENT-CENTER IN GREIFBARER NÄHE

      GRABUNGSHELFER GESUCHT

      Der schon seit einigen Wochen diskutierte Umbau des baufälligen Sankt-Florian-Klosters zum Event-Center (EC) ist nun beschlossene Sache. In der gestrigen Stadtratssitzung stellte der Leiter des Historischen Museums Bresel (HMB) Clemens Zuffhausen den Stand der Planungen vor. Demzufolge sind eine Erlebnis-Therme mit Sauna, verschiedene kulturelle Events bis hin zu Führungen in die berühmte Breselberger Tropfsteinhöhle vorgesehen.

      Außerdem darf man auf die weiteren Ergebnisse der Ausgrabungen in und um das denkmalgeschützte Gebäude gespannt sein, von denen sich die Fachleute Erhellendes zur Geschichte des Klosters, ja der ganzen Stadt erhoffen.

      In diesem Zusammenhang wies Herr Zuffhausen auf ein Gemeinschaftsprojekt der Breselner Schulen und des HMB hin. Eine begrenzte Anzahl Schüler darf in den Weihnachtsferien als Grabungshelfer im Kloster den Archäologen zur Hand gehen. Interessenten melden sich bitte bis zum übernächsten Freitag im HMB.

      „Scheißname“, sagte Freddie. Jan nickte. Die beiden Jungs standen vor dem schwarzen Brett im Eingangsbereich des Adalbertinums.

      „Event-Center.“ Jan drückte schaudernd seinen Zeigefinger auf die Kopie des Zeitungsartikels. „Kommt gleich nach Mehrzweckhalle und Einkaufsparadies.“

      „Oder hier: Erlebnis-Therme“, ergänzte Freddie. „Wer denkt sich nur so'n …“ Der neuerliche Gebrauch des Wortes, das irgendwo zwischen Scheibe und Schweiß lag, wurde unterbrochen vom Klingelzeichen, das die große Pause beendete.

      „Aber Grabungshelfer klingt nicht übel“, meinte Jan, als sie die Treppe zum Klassenraum der 6b hinaufkeuchten.

      „Morgen soll übrigens Radolf den ersten Spatenstich in den Klosterkeller treten, sagt mein Vater.“ Freddie drückte die Klinke der Klassentür runter.

      „Das gucken wir uns an!“

      Das Adalbertinum war eine hufeisenförmige Renaissance-Anlage, deren Gebäudeflügel einen lauschigen Park umschlossen. Adalbert Stifterstein zu Bresel hatte sie 1556 für den Jesuitenorden errichten lassen. Damals noch vor den Toren der Stadt. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert beherbergte sie eine Schule. Ihre Umgebung war heute längst dicht besiedelt. Bresel-Neustadt.

      Von dort brachte ein Schulbus jeden Mittag einen großen Teil der Adalbertinum-Schüler zurück nach Bresel. Die Linie 7. Lisa Favretti, die Tochter der weit und breit besten Eisdielenbetreiber, saß heute auf der Rückbank und blätterte in einer zerknitterten Zeitung, die jemand dort liegengelassen hatte. Ihre blonden Zöpfe tippten auf einen fett umrandeten Artikel.

      „Hier“, sagte sie und sah Freddie und Jan erwartungsvoll an.

      „Kennen wir schon.“ Freddie gähnte.

      Jan rollte die Augen. „Event-Center!“

      Der Bus ruckelte über die Eisenbahnbrücke und rollte am Stadtpark vorbei. Lisa las murmelnd weiter. Am Ende des Artikels hob sie die Stimme: „… darf in den Weihnachtsferien als Grabungshelfer im Kloster den Archäologen zur Hand gehen.“

      Vor den schmutzigen Busfenstern verschwanden die letzten Ulmen der Grünanlage und das Breselner Theater erschien. Jan zeigte auf ein Banner, das die breite Eingangstreppe überspannte. Ein Weihnachtslied – von Charles Dickens stand darauf. Das diesjährige Weihnachtsstück.

      „Da gehen wir doch mit der ganzen Klasse rein. Weiß einer wann?“

      Freddie nickte. „Übermorgen. Freitag um neun. Wenn uns Ebeneezer Scrooge ins Theater lässt.“

      „Wer iss'n das?“

      „Der böse Onkel von der kleinen Annie.“

      „Von wem?“ Jan nervte, dass Freddie ständig in Rätseln sprach. Aber Freddie war nicht nach einer näheren Auskunft zumute.

      „Hoffentlich ist das kein Kinderkram“, sagte Jan noch.

      Lisa hob den Kopf und legte die Zeitung auf den Sitz. „Das ist doch total spannend!“

      „Sag bloß, du kennst das Stück?“

      „Welches Stück? – Ach nee“, Lisa hatte kapiert, „ich meine doch die Sache mit den Grabungshelfern. Bis nächste Woche Freitag muss man sich da anmelden.“

      Freddie zuckte mit den Schultern. „Ich guck mir morgen erstmal Radolfs Spatenstich an.“

      Jan erzählte nochmal, was er von seinem Vater wusste. Morgen würden die Umbauarbeiten im Kloster feierlich