Gerhard Gemke

Theater in Bresel


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Figuren wieder herrichtet. Na, da gab's ja auf der Burg jede Menge für sie zu tun, dachte Jan.

      Hinter ihm wurde eine Tür geöffnet. Jan drehte sich um. Eine Frau trat aus der riesigen über und über mit Schnitzereien bedeckten Kassettentür, die zur Knittelsteiner Bibliothek gehörte. Sie trug ein langes rotes Kleid und hatte die dunklen Haare zu einem Zopf gebunden, der ihr den Rücken herunterbaumelte. Wie Jo, dachte Jan. Überhaupt war die Ähnlichkeit der beiden verblüffend. Mit freundlichem Gesicht kam sie auf den Jungen zu.

      „Hallo Jan“, sagte sie und wurde ernst, als sie bemerkte, vor welchem Bild er stand. „Hat sie nicht unheimliche Augen?“

      Jan wusste sofort, wen Elvira meinte.

      „Als wollte sie herausspringen und mich …“ Elvira beendete ihren Satz nicht. Stattdessen fuhr sie fort: „Die letzte gebürtige Knittelsteinerin, wenn man von ihrer Schwester Adelgunde in Augsburg mal absieht.“

      „Adelgunde in Augsburg?“, fragte Jan neugierig.

      Elvira nickte. „Tusneldas Schwester, die Mutter von Jos Cousins.“

      Jan musste unwillkürlich an Jos Seufzer denken.

      „Aber reden wir doch über erfreuliche Dinge. Du hast Jo die Hausaufgaben gebracht?“

      „Na, wenn das erfreuliche Dinge sind.“ Jan grinste. „Wir schreiben am Montag 'ne Mathearbeit. Und da dachte ich halt, Jo könnte ein paar gute Tipps gebrauchen.“

      Elvira lachte und begleitete Jan die Galerie entlang. Jan konnte verstehen, dass Jo mit ihrer neuen Mutter gut auskam. Jedenfalls besser als mit … Tusneldas Blick stach ihnen in den Rücken, bis sie den Flur verlassen hatten. Elvira schwatzte und führte Jan durch die alten Wirtschaftsgebäude der Burg, in denen die Außenstelle des Historischen Museums Bresel untergebracht war. Vorbei an Raubritter Arnulfs Rüstung und den Wappen, Lanzen und federgeschmückten Helmen der übrigen Knittelsteiner Ritter.

      „Schön, dass du da warst“, verabschiedete Elvira Jan auf der Treppe zum Burghof. Jan lief über den gepflasterten Platz und durchquerte den mächtigen Torbogen. Dahinter überspannte die Zugbrücke den Burggraben. Jan sah die Linie 7 schon den Wendeplatz vor der Brücke ansteuern. Er drehte sich noch einmal um und winkte dem Turmfenster zu, aber Jo schlief. Nur die Elster erwiderte krächzend seinen Gruß und segelte über den Breselwald hinab auf die Mauern, Dächer und Kirchtürme der Stadt zu.

      Donnerstag, 11. Dezember

      Am nächsten Morgen erschien Jo noch immer nicht, was niemanden verwunderte. Jan erzählte Lisa und Freddie, wie heftig es ihre Freundin erwischt hatte, und richtete Jos Grüße aus.

      „Ob sie wohl morgen mit ins Theater kommt?“ Lisas Nase klebte am Busfenster. Der Bus hielt gerade an den Breselner Kammerspielen.

      Jan zuckte mit den Schultern. „Doktor Jorgonson will Jo erst Montag wieder auf die Menschheit loslassen.“

      Freddie grinste. „Aber wie ich Jo kenne …“

      In dem Moment fuhr der Bus unsanft an. Als Jan, der im Mittelgang stand, das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, fragte er: „Kommt ihr mit zu Radolfs Spatenstich im Kloster?“

      „Wann denn?“ Lisa kaute nicht gerade begeistert an ihrem linken Zopf. Was am Zopf liegen konnte, aber wahrscheinlich eher an der Aussicht auf eine Rede des neuen Bürgermeisters. Freddie nahm den anderen Zopf und biss hinein.

      „Wollten wir nicht klären, ob Grabungshelfer dort mehr zu tun kriegen, als Kisten zu schleppen?“, mampfte er.

      „He, lass das!“

      „Pfui bah!“ Freddie zog eine angewiderte Grimasse und ein blondes Haar aus dem Mundwinkel. „Wie kann man sich nur von Zöpfen ernähren.“

      Lisas Augen funkelten angriffslustig und es fehlte nicht viel, und sie hätte ihm eine geklebt.

      „Ding-Dong“, gongte Jan und ließ seine rechte Hand zwischen den beiden hindurch sausen. „Runde zu Ende. Augsburger Tor, alles aussteigen.“

      „Also wieviel Uhr?“, fragte Lisa, als sie auf dem Bürgersteig standen, und stopfte ihre Zöpfe unter die Kapuze.

      „Halb drei.“ Freddie tat so, als ob er weitere Haarreste zwischen den Zähnen finden würde.

      „Ich weiß noch nicht!“, sagte Lisa wütend und zog ab. Jungs!

      Hefezopf

      „Was riecht hier so?“ Jan drehte sich um. „Ich meine, so gut.“

      Er und Freddie standen eingeklemmt zwischen Oma Sievers' braunem Kamelhaarmantel, Jans Geschwistern Lotte (8) und Johnny (5) und weiteren dreißig bis vierzig Breselnern, die durch die Klosterpforte drängelten.

      „Das duftet nach frisch Gebackenem.“ Elfriede Sievers schlang den Mantel enger um die klapprigen Glieder und blinzelte zu Freddie hinüber. „Lecker, lecker.“

      Jan folgte ihrem Blick. „Was versteckst du da?“

      Freddie zog verlegen eine Papiertüte hinter dem Rücken hervor. Bäckerei Blume stand in der aufgedruckten Margeritenblüte.

      „Nur 'n Hefezopf“, nuschelte er.

      „Mmh“, machte Jan. Seit wann stand Freddie auf Hefezöpfe? Manchmal hatte sein Freund seltsame Ideen.

      „Ob Lisa wohl noch kommt.“ Freddie stellte sich auf Zehenspitzen und versuchte den schwatzenden Haufen Breselner zu überblicken. Dafür musste er allerdings noch ein paar Zentimeter wachsen.

      Mittlerweile hatte sich der Pulk bis in den Eingangsflur vorgeschoben. Am Ende des Flurs führte eine steile Treppe hinab zu den Kellergewölben. Heinrich II. von Kalkstein und Breselberg hatte sie 1832 erbaut, als er sich im Kloster eine Zweitwohnung einrichten ließ. Dort unten befand sich seit der Zeit ein Schwimmbad, das die Breselner, nachdem wieder Mönche das Kloster besiedelten, als Zöli-Bad verspotteten.

      Vor der Treppe hatte sich die Oberen Zehntausend von Bresel versammelt: Neben Bürgermeister Müller-Pfuhr schnippelte gerade seine Frau Agathe mit einer Riesenschere die Luft in Scheiben. Doktor Jorgonson war sichtlich bemüht, sie zu beruhigen, ohne verletzt zu werden. Baron Eduard von Knittelstein und Elvira führten ein angeregtes Gespräch mit Bauunternehmer Spreißelmeier. Jans Eltern suchten sich mit Vater und Mutter Haustenbeck und Freddies Bruder Robert einen günstigen Platz, um diese Zehntausend im Blick zu behalten.

      Und natürlich Rubens Bogdanov, Freddies Klavierlehrer. Er steuerte gleich auf die Jungs zu. „Na, wollt ihr buddeln helfen?“ Seine schwarze Mähne wallte ihm beim Lachen um die Ohren.

      „Mal schaun“, antwortete Jan ausweichend.

      „Links neben der Treppe ist ein Stand mit Infozetteln.“ Der lange Musikus konnte die Versammlung spielend überblicken.

      „Sehen Sie irgendwo Lisa?“, nutzte Freddie die guten Beziehungen zu einem Aussichtsturm. Die Mähne wallte verneinend, stockte, dann nickte sie. „Kommt gerade durchs Tor.“

      Die Bäckertüte raschelte in Freddies Hand, und Rubens Bogdanov schnupperte genießerisch. Aber Freddie ließ sich auch durch dessen neugierige Blicke nicht zu einer Erklärung hinreißen.

      In diesem Moment bimmelte Radolf Müller-Pfuhr mit der Rathausglocke, die er praktischerweise gleich mitgebracht hatte. Als der letzte Breselner das Läuten richtig gedeutet hatte und es still wurde, ließ der Bürgermeister den Arm sinken.

      „Meine lieben Breselnerinnen und Breselner. Es ist mir eine große Ehre und Freude, dass wir hier und heute dank meiner umsichtigen Politik die einmalige Gelegenheit beim Schopfe packen dürfen …“

      Ohja, es wurde ein Rede von der Sorte, die man von dem neuen Bürgermeister erwartete. Nachdem eingehend seine persönlichen Verdienste hervorgehoben wurden, unterstrich Radolf die überregionale Bedeutung des Bauunternehmers Spreißelmeier als größten Arbeitgeber im Umkreis, und verkündete der interessierten