Gerhard Gemke

Theater in Bresel


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die Gelegenheit, der Direktorin zu beweisen, wie schnell er sein konnte, wenn er nur wollte, und wetzte los.

      Frau Spitznagel atmete schwergewichtig und schloss mit einem Knall das Fenster. Und staunte den graugekleideten Herrn im Pudelfellmantel an, der mit der Rechten seinen Hut zog und ihr mit der Linken und einer artigen Verbeugung die Notizblätter reichte.

      „Und wer sind Sie“, fragte Frau Spitznagel etwas irritiert.

      „Bitte sehr“, lächelte Herr Kniest, „mein Name ist Kniest. Eggbert Kniest. Stets zu Diensten mit Hand und Fuß.“

      „Aha“, machte die Direktorin. Sie nahm hinter dem ausladenden Schreibtisch Platz und ordnete ihre zerzauste Frisur. Dann senkte sie den Kopf und linste über den Rand ihrer Lesebrille an Eggbert Kniest vorbei. Zwei Schritte hinter dem Pudelfellmantel stand Ede in dunkelblauem Arbeitsanzug wie ein langer dürrer Raumteiler. Nebendran scharrte ein merkwürdiges Wesen mit den Füßen. Pausbäckchen blähten sich um eine gerötete Nase, blonde Locken fielen auf runde Schultern, und eine bunt gemusterte Strickjacke versuchte, den gewaltigen Busen zu bändigen. Der ebenfalls üppige Rest weiter abwärts wurde gnädig von einem knöchellangen Baumwollrock mit Schottenmuster bedeckt, unter dem zwei Quadratlatschen hervorlugten.

      „Guten Tag“, piepste das Wesen.

      Eggbert Kniest machte eine raumfüllende Handbewegung, als bitte er das ungleiche Paar auf eine Bühne. „Herr und Frau Wirzbald.“

      „Aha“, machte die Direktorin wieder und erhob sich. Gemessenen Schrittes umrundete sie die beiden mit argwöhnischen Blicken.

      „Sie haben doch inseriert“, bemühte sich Eggbert weiter um eine Erklärung. „Sie suchen ein Hausmeisterpaar?“

      Frau Spitznagel nickte. Ganz langsam. „Wie war ihr Name doch gleich?“

      „Carl...“, wisperte Carlo. „Äh … Carlotta.“

      „Wird kalt?“

      Carlo schüttelte den Kopf. Im Gegenteil, ihm lief der Schweiß bis in die Kniekehlen. Eggbert sprang ihm bei. „Wirzbald.“

      „Mm-mh.“ Die Direktorin musterte Ede. „Und Sie?“

      „Ed...“, stotterte Ede. „Ed. Einfach Ed.“

      „Ed Wirzbald.“ Frau Spitznagel sog die Luft geräuschvoll ein, und Eggbert Kniest befürchtete, dass sich das Pärchen nicht gründlich genug gewaschen hatte.

      „Sie sind handwerklich begabt?“

      Ede beeilte sich zu nicken.

      „Und Sie?“

      Carlo riss die Augen scheunentorweit auf.

      „Sind ein Putzteufelchen?“

      „Hihi“, kicherte das Wesen im Schottenmusterrock. Ein Blick des Langen genügte, und es riss sich sofort zusammen. Und piepste: „So hat mich noch nie jemand …“

      „Zwei zuverlässige Kräfte“, fuhr Eggbert dazwischen. „Ich denke, Herr und Frau Wirzbald werden zu ihrer vollsten Zufriedenheit …“

      In dem Moment klopfte es schon wieder an der Bürotür.

      „Herein“, rief Frau Almuth Spitznagel und nahm wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz. Langsam schob sich die Tür auf, und vier Augenpaare senkten sich auf Klinkenhöhe. Dort erschienen ein doppelter Krauskopf, ein doppelter Ringelpullover und eine doppelte Latzhose. Und ein doppeltes Paar Arme versuchte etwas hinter den Rücken zu verstecken.

      „Kurt und Knut“, stellte Frau Spitznagel fest. „Kommt ruhig herein. Und gebt gleich den Fußball bei Herrn Wirzbald ab. Aber zackig, wenn ich bitten darf!“

      Kurt (oder Knut) schluckte und rollte umständlich einen schwarzweißgefleckten Ball um die Hüfte nach vorn. Fragend blickte Knut (oder Kurt) die Direktorin an. Die machte eine einladende Bewegung in Richtung des blauen Raumteilers. Edes Gesicht probierte daraufhin ein ungeübtes Lächeln. Mit Kindern hatte er seit … seit er vermutlich selbst mal so was war, nichts mehr zu tun gehabt. Und diese beiden Lausebengel – Ede konnte sich nicht dagegen wehren – zauberten ein Lächeln auf sein Raubvogelgesicht. Wie lange mochte das her sein, dass er auch so ein …

      „Herr Wirzbald!“ Edes Gesicht zuckte zurück. „Ihre erste Amtshandlung. Nehmen Sie den Ball in Verwahrung. Geben Sie ihn …“, die Direktorin musterte die beiden Übeltäter durch halbgeschlossene Augenlider, „… in zehn Tagen wieder heraus!“

      Ede nickte, und Carlo wisperte: „Jawohl, Frau Direktor.“

      Frau Spitznagel würdigte Carlotta keines Blickes. Sie spazierte mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf die beiden Würstchen zu. „Nun zu euch.“

      Knut (oder Kurt, wer konnte sie schon auseinanderhalten) hob vorsichtig die Augen. „Entschuldigung, Frau Spitznagel“, flüsterte er. Und der andere Bengel bemühte sich, überzeugend zu nicken.

      Frau Spitznagel sah sie an, und wer die Direktorin genauer kannte, wusste, dass in diesem Moment ihr Herz zerfloss.

      „Aber“, sagte sie und räusperte sich umständlich, „Strafe muss sein. Fußball spielen auf dem Schulhof ist verboten und Bälle gegen das Direktionsfenster zu schießen allemal.“

      Zwei Krausköpfe baumelten zerknirscht vor den Ringelpullovern.

      „Ihr zwei werdet also …“, Almuth Spitznagel hatte ein Talent für wirkungsvolle Pausen, „… unserem neuen Hausmeisterpaar, Herrn und Frau Wirzbald, die Hausmeisterwohnung zeigen.“

      Zwei Krausköpfe schossen hoch und strahlten.

      „Und!“ Pause, in der dunkle Schatten der Sorge die beiden Rotznasengesichter trübten. „Und ich werde kontrollieren, ob ihr den Stoff des jetzt versäumten Unterrichts gründlich … “ Pause „… gründlich nachgeholt habt!“

      Ernsthaftes doppeltes Nicken.

      „Und jetzt: Marschmarsch! Herr und Frau Wirzbald, ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Arbeitsbeginn. Wir sehen uns noch im Laufe des Vormittags. Herr Kniest, mit Ihnen möchte ich noch die Vertragsbedingungen besprechen. Guten Tag, meine Herren!“

      Und mit einem undefinierbaren Blick auf Carlo fügte die Direktorin hinzu: „Schönen Tag, meine Dame.“

      „Hach!“, seufzte Carlo und ließ sich auf das Bett fallen. Neben ihm schrie Ede und wurde einen halben Meter in die Höhe geschleudert. Knapp verfehlte sein Scheitel die Dachschräge, bevor er wieder zurück krachte. Carlo wippte und gluckste vergnügt. Die Flüssigkeit unter dem Laken gluckste mit. Wie das bei Wasserbetten so ist. Genervt setzte sich Ede aufrecht, wobei sein Scheitel der Holzvertäfelung erneut gefährlich nahe kam.

      „Einer von uns ist zuviel in diesem Bett“, knurrte er.

      „Och“, machte Carlo und drehte sich schwungvoll auf die andere Seite. Nun, es kam, wie's kommen musste. Ede fluchte und rieb sich den Hinterkopf. Stöhnend stieg er von der Wackelmatratze und machte sich mit schräg gehaltenem Kopf auf den Weg in die Küche.

      Die Hausmeisterwohnung lag unter dem Dach des altehrwürdigen Schulgebäudes. In der Mitte, etwa unter dem Giebel, befand sich ein Flur, in dem selbst Ede aufrecht gehen konnte. Zu jeder Seite drückte sich ein Zimmer bis in die tiefsten Dachwinkel. In einem davon stand besagtes Wasserbett.

      Am Ende des Flures zwängte Ede sich in eine Art Küche-mit-Bad. Sie war mit einem Herd, einer Waschmaschine, einer engen Dusche und einem klapprigen Esstisch nicht gerade üppig ausgestattet. Auf eine weitere niedrige Tür nach hinten raus hatte ein Witzbold ein rotes Herzchen gemalt. Daneben brummte auf einem bedenklich schrägen Holzregal ein Miniaturkühlschrank.

      Ede öffnete die Kühlschranktür. Das Lämpchen drinnen war hinüber. Rechts erspähte Ede eine abgelaufene Tube Senf. Im unteren Fach standen drei Gläser saure Gurken, und darüber lachte ihn eine junge Frau von einem vor langer Zeit geöffneten Joghurtbecher an. Eiswürfel jedenfalls gab es nicht. Eine Hausmeisterwohnung war nun mal kein Hotelzimmer.