Orkania

Im Auge der Kamera


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brauchte nur Beweise, dass sich das nicht alles in seinem Kopf abspielte. Dann könnte er zu seinem Vorgesetzten gehen und Meldung machen. Vielleicht war ja ein Kollege von der Sicherheitsfirma scharf auf den verhältnismässig leichten Job in der renommierten Agentur? Hatte man beschlossen, ihn rauszumobben? Das wäre zumindest eine Erklärung. Also verschickte Erich die Datei mit dem Standbild der Kamera, auf dem der Schatten zu sehen war, zusammen mit der Email und fuhr den Computer herunter. Es gab eine wissenschaftliche Erklärung dafür.

      Sichtlich erleichtert, dann doch eine Lösung gefunden zu haben, ging Erich am Nachmittag ins Bett. Er schlief fast sofort ein.

      Der Traum kam diesmal nicht unerwartet. Aber etwas war anders. Erich rannte wieder einen Krankenhausflur entlang und suchte nach seiner Frau. Doch als er um eine Ecke bog, war er auf einmal in der Agentur. Da wurde ihm klar, dass er wieder träumte. Es war ihm genauso bewusst wie beim letzten Mal. Mit klopfendem Herzen sah er sich um. Sein Verfolger war noch nicht da. Erich hatte also einen Vorsprung! Er könnte sich verstecken! Fieberhaft suchte er nach einem Versteck.

      Dann fiel es ihm ein! Der Aufenthaltsraum im 2. Stock! Er könnte sich dort einschliessen. Erich öffnete die Tür zum Treppenhaus und schlich sich nach oben. So leise wie möglich trat er auf und versuchte, kein Geräusch zu machen. Hinter der Tür zum 1.Stock hörte er Geräusche. Waren das Schritte?

      Er verharrte reglos. Sein Herz klopfte wie ein Presslufthammer. Langsam holte er tief Luft. Das ist nur ein Alptraum! dachte er sich. Du könntest nachsehen, wer das ist! Aber was bringt das, es ist ja nur ein Traum. Wahrscheinlich ist da dann niemand!

      Hinter der Tür wurden die Geräusche jetzt lauter. Ein merkwürdiges schleifendes Geräusch und dann folgte ein Quietschen. Erich hielt den Atem an. Ich bin der Nachtwächter und ich muss das klären. Das ist mein Beruf! Dachte er und machte sich daran, die Tür zu öffnen. Im nächsten Moment stand er im Flur zum 1. Stock. Die Geräusche klangen nun wie aus weiter Ferne. Er konnte in dem dämmrigen Licht zunächst nichts sehen. Er tastete nach seiner Taschenlampe, fand sie aber nicht. Wahrscheinlich hatte er sie in seinem Büro vergessen. Das macht nichts, ich kann ja das Licht einschalten! sprach er sich selbst Mut zu. Er ging zum Tresen der Sekretärinnen und schaltete den Hauptschalter ein.

      Mit einmal war alles in strahlendes Licht getaucht. Selbst die Wände und der dunkle Teppichboden waren weiss. Im kurzen Flur gegenüber der Theke stand Roswitha mit ihrem Putzwägelchen und sprühte Glasreiniger auf das Bild an der Wand. Dann zog sie mit einem Lappen über den Rahmen und das Rahmenglas und verursachte damit ein quietschendes Geräusch.

      „Mensch, du bist das ja nur, Roswitha!“ sagte Erich sichtlich erleichtert und kam um die Theke herum. „Aber warum machst du dir denn kein Licht?“

      „Ich sehe gut genug.“ meinte Roswitha und wischte erneut über das Glas.

      „Ich dachte, du putzt nicht mehr im 1.Stock?“ fragte Erich neugierig.

      „Ja, aber die Gerda ist doch krank geworden! Und der Fleck hier muss weg sein, bevor die Schicht rum ist! Das siehste doch wohl ein!“ Roswitha wedelte mit dem Lappen vor dem Bild herum. „Schau dir die Schweinerei doch mal an!“

      Erich betrachtete das Bild. Auf dem Glas zogen sich Schlieren getrockneten Blutes hin. Roswitha fuhr fort, diese mit ihrem Lappen über das Glas zu verschmieren.

      „Wie kommt denn das Blut dahin, Rosi?“ stammelte Erich und wich einen Schritt zurück.

      „Frag mich nicht. Ich bin bloss die Putzfrau.“

      Das Wochenende

      Samstag früh sass Erich im Zug und blickte erwartungsvoll bei der Einfahrt des Zuges in den Bahnhof aus dem Fenster. Am Gleis würde er vom Assistenten des Professors abgeholt werden. Man hatte ihn am Telefon um einen Besuch gebeten und er war neugierig geworden. Er war sehr zufrieden damit gewesen, dass man offensichtlich so schnell eine Lösung gefunden hatte. Unter der Anzeigentafel stand tatsächlich ein dicker junger Mann mit einem Pappschild, auf dem Erichs Nachname in grossen schwarzen Lettern prangte.

      Erich stellte sich vor und gemeinsam durchquerten sie die Bahnhofshalle und stiegen im nahegelegenen Parkhaus in einen kleinen roten Subaru.

      „Wir haben schon lange keinen so interessanten Fall mehr gehabt. Die Bilder sind einfacher zu bearbeiten und zu fälschen als man denkt, aber wenn man die Tricks kennt, dann findet man ziemlich schnell Spuren davon.“ Der junge Mann liess keinen Zweifel daran, dass er die Tricks kannte.

      Erich schmunzelte. Auf der Fahrt ins Institut erzählte ihm der junge Mann, der sich mit Robert vorgestellt hatte, von einigen spektakuläreren Fälschungen, die der Professor aufgedeckt hatte.

      Robert stelle ihm dabei sein technisches Fachwissen zur Verfügung. „Wo haben Sie denn die Aufnahme gemacht?“ fragte er neugierig. Erich hatte ihm nicht viel erzählt. „Das möchte ich lieber noch nicht sagen,“ meinte er daher nur.

      Robert lachte. „Normalerweise schwören die Leute, die mit Aufnahmen zu uns kommen, dass es garantiert ein Geist oder irgendein anderer Hokuspokus ist. Sie sind einer der wenigen, denen eine gewöhnliche wissenschaftliche Erklärung lieber wäre. Deshalb ist Ihr Fall auch so interessant. Scheint ja echt gruselig zu sein.“ Sie bogen ab.

      „Da! Stop!“ rief Erich und Robert klickte auf Pause. „Zwei Sekunden zurück. Da ist es.“ Erich deutete auf den Schemen. „Das sieht aus wie ein Mensch.“

      Robert betrachtete das Bild. „Das sagt der Professor auch, aber ich seh da nur Schneegeriesel.“

      Er arbeitete mit verschiedenen Programmen und war hochkonzentriert. Erich sah ihm eine Weile zu, aber als sich nichts tat und Robert auch nicht aufsah, stand er auf und nahm sich noch einen Schluck Kaffee. Er fragte sich, wann wohl der Professor endlich auftauchen würde. In dem Moment ging die Tür auf und ein älterer Mann mit grauem Vollbart und kariertem Hemd trat ein.

      „Schönen Guten Tag, Haberland,“ stellte er sich vor und drückte Erich die Hand. „Robert arbeitet schon wieder an dem Bild?“

      Der Assistent nickte. „Hab es auf Ihrem PC gespeichert, Dateiname XW47,“ meinte er ohne aufzusehen. Der Professor setzte sich hinter seinen Schreibtisch und bat Erich, sich einen Stuhl zu holen.

      „Das will ich mir nochmal mit Ihnen gemeinsam anschauen.“ Sagte er und klickte sich durch ein paar Dateien. „Schon irgendeinen Treffer?“ fragte er an den Assitenten gewand, der verneinte. „An dem Material wurde nicht rumgepfuscht. Was auch immer Sie da sehen, es ist authentisch.“

      Erich setzte sich. „Da muss irgendwo ein Fehler sein.“ Brummte er. Haberland sah ihn an. „Bislang ist alles authentisches Bildmaterial. Soweit wir das beurteilen können.“ Er vergrösserte die Aufnahme und die Gestalt füllte den ganzen Monitor aus.

      „Beschreiben Sie mir bitte, was Sie da sehen.“

      Erich deutete auf die Umrisse. „Kopf und Körper eines Mannes. Im Flur unserer Firma. Da hängt auch das Bild von dem mit der Macke.“

      Der Professor zog die Augenbrauen hoch. Erich verbesserte sich. „Ich mein den August Macke, da hängt eine Reproduktion.“

      Haberland nickte. „Ich sehe auch eine Person auf dem Bild. Robert sieht ihn nicht.“

      Erich schnaufte. „Keiner auf der Arbeit kann den Mann sehen, nur ich und Roswitha, das ist die Putzfrau.“

      Der Professor nahm einen Ausdruck von dem Bild und legte es Erich vor. „Sehen Sie den Mann auch hierdrauf?“ fragte er neugierig und sah Erich erwartungsvoll an.

      Erich nickte. Man zeigte ihm noch drei weitere Fotos. Auf keinem einzigen war eine Gestalt zu sehen. Haberland nahm einen Notizblock und einen Bleistift und beschrieb das linierte Papier mit einer kleinen, verschlungenen Handschrift. „Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, wenn das in Ordnung geht?“

      Erich nickte. „Aber nur, wenn das alles anonym bleibt. Sie müssen mir das versprechen!“

      „Selbstverständlich.“

      Beruhigt