Orkania

Im Auge der Kamera


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      „Irgendetwas anderes Aussergewöhnliches? Etwas, das Sie sich nicht erklären konnten?“

      „Nein.“ Betonte Erich.

      „Würden Sie sagen, dass da auf dem Bild ist ein Geist?“

      Erich seufzte. „Das ist bloss eine fehlerhafte Aufnahme.“

      Der Professor sah ihn mit bohrendem Blick an. „Aber warum sind Sie dann hier?“

      „Ich dachte, Sie würden mir zeigen, wo der Fehler liegt. Wieso das aussieht wie ein Mensch.“ Erich rutschte auf dem Stuhl hin und her.

      „Die Aufnahme macht Ihnen Angst.“ Stellte der Professor fest.

      „Eigentlich nicht.“ Antwortete Erich schnell. Dann fügte er hinzu. „Eigentlich macht es mir nur Angst, dass ich da etwas sehe, und die anderen nicht. Bis auf die verrückte Roswitha.“ Er schluckte, weil er sich erst jetzt daran erinnerte, dass Haberland den Mann ja auch sehen konnte.

      „Sie sind nicht verrückt. Jedenfalls nicht im medizinischen Sinne,“ meinte Haberland und fuhr fort. „Haben Sie irgendwelche körperlichen Beschwerden?“

      Erich antwortete ehrlich. „Schlafstörungen und Angstgefühle. Manchmal hab ich Atemnot. Wenn ich mich aufrege.“

      Der Professor notierte sich das. „Was sind das für Schlafstörungen? Haben Sie Alpträume, finden Sie keinen Schlaf oder wachen Sie immer wieder auf?“

      Erich bejahte. „Ich habe Alpträume.“

      Haberland machte ein Häkchen auf seinem Papier. „Wie lange schon?“

      „Seit meine Frau gestorben ist,“ entgegnete Erich.

      Haberland sah ihn an. „Aber auf dem Bild sehen Sie definitiv einen Mann?“ vergewisserte er sich.

      Erich nickte wortlos. Sein Hals war trocken.

      Haberland unterstrich etwas. „Was träumen Sie? Darf ich Sie das fragen? Sie müssen nicht antworten.“

      Erich überlegte kurz. „Erst hab ich von meiner Frau geträumt. Ich habe sie gesucht,“ er schluckte.

      „Diese Träume haben Hinterbliebene häufig,“ meinte Haberland. „Das gehört dazu, wenn man seine Trauer verarbeitet.“

      Erich nickte wieder. Die Situation kam ihm grotesk vor.

      „Was haben Sie noch geträumt?“

      „Ich werde verfolgt. Also, in letzter Zeit träume ich das häufiger. Meist bin ich dann auf der Arbeit.“ Er berichtete von seinem letzten Altraum. „So intensiv habe ich noch nie geträumt,“ meinte er zum Schluss. „Ich konnte sogar riechen und schmecken.“

      Haberland schrieb eifrig mit. „Haben Sie Medikamente genommen? Drogen konsumiert? Oder Alkohol getrunken?“

      Erich verneinte. „Ich nehme nie etwas, nicht mal Kopfschmerztabletten. Nur beim letzten Mal, da habe ich eine Schlaftablette genommen. Ich war völlig übermüdet und brauchte Schlaf.“

      Der Professor lehnte sich zurück und dachte nach. Sein Blick schweifte in die Ferne. Erst nach einer Weile sah er Erich wieder an. „Haben Sie sonst irgendetwas Komisches erlebt. Ist Ihnen etwas aufgefallen?“

      Nun war Erich derjenige, der nachdachte. Sollte er wirklich von den Vorfällen der letzten Woche erzählen? Er beschloss es zu wagen und berichtete von dem Fehlalarm, als er meinte, Schritte im ersten Stock gehört zu haben und von dem knallenden Geräusch in der Tiefgarage ein paar Nächte später. „Auf den Bändern war nichts, ich war beide Male allein im Gebäude,“ beteuerte er und schwieg dann.

      Er hatte das Gefühl, seit Stunden zu reden. So viel hatte er lange nicht mehr gesagt. Seine Zunge war ganz pelzig und Erich bat um ein Glas Wasser. Haberland schenkte ihm ein. Seine Stirn war in nachdenkliche Falten gelegt. Dann faltete er die Hände und stützte sich mit den Armen auf derTischplatte ab, als er sich zu Erich vorbeugte. „Ich möchte gern einen Kollegen dazurufen.“

      Erich stellte das leere Wasserglas ab. „Wozu?“ fragte er misstrauisch.

      „Weil Sie ganz offensichtlich weder verrückt sind, noch mir etwas vormachen wollen. Und weil wir bei den Aufnahmen bisher keinen Hinweis auf irgendeine Form der Manipulation gefunden haben.“

      Erich schluckte. „Und was bedeutet das?“

      Haberland griff nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer. „Es könnte sein, dass es bei Ihnen spukt. Wie man im Volksmund so schön sagt.“

      Am Sonntagvormittag sass Erich müde an seinem Küchentisch vor einer Tasse Kaffee. Die Zeitung lag unberührt neben ihm. Er fühlte sich jetzt nicht in der Lage, die Nachrichten und das Weltgeschehen zu verfolgen. Wieder hatten ihn Alpträume gequält und das schreckliche Gefühl in einer Plastikfolie fest eingewickelt zu sein, hatte ihn sogar dazu bewogen, auf den Bademantel zu verzichten.

      Er liebte es, im Bademantel am Frühstückstisch zu sitzen, mit Zeitung und Kaffee den Vormittag zu vertrödeln. Und jetzt fühlte er sich eingeengt und einsam. Das Gespräch gestern hatte ihn verstört und seine Frage nicht geklärt, sondern noch viel mehr aufgeworfen. Nach einigem Grübeln kam er zu dem Schluss, dass er hier nicht sitzenbleiben konnte. Er brauchte Abwechslung und Menschen um sich herum. Also griff er widerstrebend zum Telefon und wählte die Nummer seiner Tochter. Eigentlich hatte er sich nach dem Tod seiner Frau geschworen, sie nicht anzurufen, bloss weil er einsam war und nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte.

      Aber dieses Gefühl, das ihn jetzt beschlichen hatte, war anders als die Trauer und das Alleinsein. Es war beklemmender, wenig fassbar und es machte ihm Angst. Es war ihm fremd. Also hielt er gespannt den Hörer ans Ohr und wartete ungeduldig darauf, dass am anderen Ende abgenommen wurde. Als die Stimme seines Schwiegersohns durch den Hörer klang, merkte er erst, wie unglaublich erleichtert er war, einen anderen Menschen zu hören. „Erich hier. Kann ich mit Diana sprechen?“ fragte er kurz angebunden.

      Er hörte, wie der Hörer beiseite gelegt wurde und die Stimme seines Schwiegersohnes im Flur: „Dein Vater ist dran, er klingt komisch. Geh mal ran.“

      Klinge ich komisch? dachte Erich und räusperte sich. Dann hörte er Schritte auf Laminat und wie der Hörer aufgenommen wurde.

      „Morgen, Papa!“ klingelte Dianas fröhliche Stimme in seinem Ohr.

      „Morgen, Mädchen. Ich will nicht stören, aber ich hab eine spontane Idee. Das ist vielleicht ein wenig ungewöhnlich.“

      Diana antwortete: „Kein Problem, was gibt es denn?“

      Erich starrte auf die Zeitung vor sich und suchte nach Worten. „Also, ich sitze hier gerade beim Frühstück und dachte, naja, wo so schönes Wetter ist und ich meine, hier hab ich ja keinen Garten. Aber man muss ja mal raus an die Luft und so. Vielleicht kann ich ja mal mit den beiden Lausebengeln etwas unternehmen, so ganz spontan.“ begann er und kam sich dümmlich vor.

      Diana lachte: „Also du willst dir die Kinder ausborgen und einen Ausflug machen? Das wird aber schwierig, Papa. Die beiden sind Teenager. Der Benjamin schläft vermutlich wieder bis um Zwei.“ Sie seufzte. „Ich krieg sie ja nicht mal dazu, ihre Dreckwäsche in den Keller zu tragen. Also wenn du es schaffst, sie aus dem Haus zu kriegen, dann kriegst du einen Orden von mir.“

      Erich schnaubte. „Es muss doch irgendetwas geben, was man zusammen unternehmen kann und was den beiden Spass macht.“

      Diana sagte: „Wenn du dich nicht in das neueste Computerspiel verwandelt hast, dann sehe ich schwarz. Aber komm doch zu uns, wir grillen heute Abend mit den Nachbarn. Wenn du nur so nett bist und etwas mitbringst, einen Kartoffelsalat vielleicht? Das ist doch eine gute Idee, den hab ich schon lange nicht mehr gegessen. Du hast doch noch das Rezept von der Mama?“

      Erich dachte nach. „Ja, das klingt gut. Aber kann ich denn da einfach dazukommen?“

      „Du störst uns nicht. Das ist wie ein kleines Strassenfest, alle sind eingeladen, jeder bringt etwas mit. Ich würde ja sagen,