Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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mit Coleman auf eine Gruppe von vier Männern, die aus dem Kanadier Dubois, dessen beiden Begleitern und einem weiteren von ihren eigenen Leuten bestand. Erfahrungsgemäß war es die beste Methode seine Aufregung durch lockere Plauderei zu überspielen, weshalb er mit Dubois auf ihrem Weg durch die verschiedenen Korridore über dessen Pläne für den Abend redete und dabei harmlose Scherze riss. Als Coleman schließlich mehrere Codes für die Öffnung einer gepanzerten Tür an der Rückseite des Gebäudes eingab, traten sie nach draußen und näherten sich einer schwarzen Limousine mit diplomatischem Kennzeichen, die am Ende einer schmalen Zufahrt stand.

      Nachdem Dembski den Kanadier und seine Begleiter mit der angemessenen, dienstlichen Freundlichkeit verabschiedet hatte, sah er nach der Abfahrt der Limousine seine Frau Eliza in kaum 100 Yards Entfernung neben ihrem alten Volvo Kombi stehen. Als er ihr zuwinkte und sich langsam in ihre Richtung bewegte, hämmerte sein Herzschlag bis in seine Schläfen hinein und er hörte, wie ihn Colemans jüngerer, penibel auf die Dienstvorschrift achtender Kollege streng ermahnte:

      „Das ist gegen die Vorschrift, das wissen Sie, ich muss das in unser Protokoll aufnehmen!“

      Er war seinem Ziel schon viel zu nahe gekommen, um wegen dieser unerwarteten Zurechtweisung noch erschrocken zu sein. Eliza war ihm eilig entgegengegangen und stand inzwischen direkt vor ihm. Er legte beide Hände an ihre schlanke Taille, ließ dabei den kleinen Datenträger in die Tasche ihres weißen Blazers gleiten und küsste sie danach mit echter Zärtlichkeit und wahrer Überzeugung. Dann flüsterte er ihr noch etwas Nettes zu, worauf sie nur sagte: „Ich warte auf dich…“

      Er begab sich wieder zu den beiden Sicherheitsleuten zurück und bemühte sich, den heiklen Moment durch einen scherzhaften Smalltalk zu zerstreuen. Nachdem es ihm gelungen war, die Wogen zu glätten und sich der Gesellschaft der Beiden zu entledigen, ging er noch einmal kurz in den zweiten Stock zu seinem Büro hinauf, um ein paar Dinge mit nach Hause zu nehmen. Während er verschiedene Gegenstände und Papiere in seiner Aktentasche verstaute, ließ er das Geschehen noch einmal Revue passieren und glaubte, dass trotz des kleinen Zwischenfalls alles gut abgelaufen war. Als ihm zufällig sein Fernglas in einer Schreibtischschublade in die Hände fiel, gab er spaßeshalber noch einmal kurz dem allgemeinen Beobachtungs- und Überwachungstrieb nach, wie er früher oder später von fast allen Angestellten in Langley Besitz ergriff. Aus dem großflächigen Fenster seines komfortablen Büros konnte er bis zu der Stelle auf dem Parkplatz hinüber sehen, wo der dunkelblaue Volvo stand. Zufrieden beobachtete er, wie seine Frau wartend im Wagen saß und sagte sich, was für eine herrliche Komplizin sie doch war. Ein solches geheimes, gemeinsames Unternehmen mussten man in einer Ehe unbedingt einmal erlebt haben, damit man einander wirklich nah und vertraut wurde.

      Er zog wegen der Juniwärme sein Sakko aus, legte es sorgfältig über seinen Unterarm und schloss langsam und nachdenklich die Tür seiner wenig geliebten Arbeitsstelle hinter sich. Immerhin hatte ihn so wohlhabend gemacht, dass er neben seinem Wohnhaus – einem hübschen Bungalow in einer grünen und beschaulichen Straße am Rande des Wheaton Regional Parks im Norden Washingtons – auch ein kleines Strandhäuschen auf dem 130 Meilen entfernten Fenwick Island besaß.

      Seine Tochter Anna, die immer Vorbehalte gegen seine Tätigkeit gehabt hatte, könnte vielleicht irgendwann stolz auf ihn sein, denn es war gar nicht einmal so unwahrscheinlich, posthum als ein bedeutender Kämpfer für die Freiheit in die Geschichte der USA einzugehen. Er würde von nun an ein freier Mann sein und in Zukunft nicht mehr für 130 000 Dollar Gehalt im Jahr indirekt an der Seite derjenigen Kräfte stehen, die die USA schleichend zu einem digitalen Überwachungsstaat verwandeln wollten und dabei auch unrechtmäßig in die Angelegenheiten anderer Nation eingriffen.

      Das feine Piepsgeräusch und das grüne Lämpchen, das ihn unten in der Halle nach dem Scannen seines Körpers und dem Auslesen seines Dienstausweises endgültig aus dem Gebäude entließ, war nach über drei Jahrzehnten ein bescheidener, aber ihm sehr lieber Abschiedsgruß.

      Er begegnete zu seiner Erleichterung niemandem mehr, den er persönlich kannte, und so konnte er sich bald mit einem tiefen, erlösenden Seufzen in das weiche Polster des Wagens sinken lassen, den seine Frau nur wenige Minuten später ruhig und wortlos über eine der namenlosen Straßen Langleys in Richtung des George Washington Memorial Parkways fuhr.

      2

      Als David einen Monat später am frühen Morgen in dem Hotel „La Maison Rouge“ in Brooklyn erwachte, dauerte es nicht lang, bis das Telefon auf seinem Nachttisch klingelte. Die Art des Klangs ließ ihn sofort vermuten, dass es wahrscheinlich der Anruf seines Kontaktmannes war.

      Die Bezeichnung „Hotel“ war für das „Maison Rouge“ etwas übertrieben, da es nur ein dreistöckiges Gästehaus mit nicht mehr als 30 Zimmern und einem kleinen französischen Restaurant im Erdgeschoss war, das seinen Namen wegen seiner Farbe und den vielen typischen rötlichen Backsteinbauten im Stadtteil Williamsburg trug. Es handelte sich um keine besondere Gegend, weshalb er bei seiner Ankunft erstaunt darüber gewesen war, wie fein das Hotel im Inneren herausgeputzt war, so als hätte man bewusst ein Stück höhere französische Lebensart in eine unscheinbare Hülle nach Brooklyn verpflanzt und damit ein besonderes Experiment gewagt.

      Der Kontaktmann der „Independent Internet Incorporation“ (I.I.) wollte offensichtlich keine Minute Zeit verlieren und bereits am frühen Morgen zur Sache kommen, noch bevor der Gast aus Washington sein Zimmer zum Frühstücken verlassen hatte. Der Unbekannte hegte aus natürlicher Vorsicht großes Misstrauen, was absolut nicht unbegründet war. Es war nämlich jederzeit damit zu rechnen, dass einer der Geheimdienste versuchen würde, dem unliebsamen Internet- und Telefonkonzern ein faules Ei in das Nest zu legen, weil dessen Grundprinzipien von Freiheit und Unabhängigkeit bestimmten Kreisen ein Dorn im Auge waren.

      David war noch so verschlafen, dass er sich erst im letzten Moment auf seinen Decknamen „Albert Burke“ besann, bevor er an das Telefon ging.

      “Hier spricht Emerson. Herzlich Willkommen in New York, Mr. Burke! Geht es Ihnen gut? Wie haben Sie geschlafen?“, schlug ihm die Stimme seines Kontaktmannes sofort so nah und intim entgegen, als müsste es eine private Verbindung sein, die vom Hotel direkt in eines der Büros im Independent Internet-Tower in Manhattan ging. Dem Namen nach handelte es sich um die Person, mit der er vor drei Wochen den ersten Kontakt per Email aufgenommen hatte, allerdings glaubte er natürlich nicht, dass dieser Name echt sein könnte.

      „Fantastisch, Mr. Emerson, fantastisch. Dieses Hotel muss ein wahrer Geheimtipp sein – ich werde es in meinem Freundeskreis weiterempfehlen. Allerdings habe ich bis jetzt noch nicht das Frühstück probiert“, antwortete er in einem etwas übertriebenen und blasierten Tonfall, so als müsste er ein Millionär auf Weltreisen sein, der überall immer nur den besten Komfort gewohnt war. Ihm war es lieber irgendeine Rolle zu spielen, als etwa Unsicherheit zu zeigen, wodurch er von vornherein in die unterlegene Position geriet.

      „Das freut uns, Mr. Burke. Sie sollten dieses Hotel als ein besonderes Haus betrachten, in dem nicht jeder aufgenommen wird. Sie sind sozusagen unserer Ehrengast, bis wir uns sicher sind, Ihnen absolut vertrauen zu können. Vielleicht wird sich dies schon heute Abend herausgestellt haben.“

      Der Stimme war deutlich anzumerken, ernsthaft um Freundlichkeit und Kooperation bemüht zu sein, damit der „Ehrengast“ bei Laune blieb – schließlich hatte dieser etwas anzubieten, was sehr wertvoll war. Die Dateien, die „Mr. Burke“ bei sich hatte, besaßen womöglich mehr Brisanz als alle, die irgendein Whistleblower jemals zuvor in die Welt hinaus „gepfiffen“ hatte.

      „Mr. Emerson, hören Sie mir jetzt bitte sehr genau zu. Ich möchte, dass Sie Ihrem Chef folgendes mitteilen, bevor es zu einer Übergabe kommt. Wenn er mich nicht persönlich anhört, werde ich einfach wieder nach Hause zurückfahren:

      Vor einem dreiviertel Jahrhundert ist ein kleiner, jüdischer Schauspieler in Auschwitz zugrunde gegangen und hat zuvor seinen Nachfahren den Auftrag gegeben, unablässig für die Freiheit zu kämpfen. Erst Jahrzehnte später konnte sich ein Nachfahre auf diesen Auftrag besinnen und dieser Nachfahre hat einen großen jüdischen Ehrgeiz daran gesetzt, ihn auf eine angemessene und würdige Art zu erfüllen.“

      David