Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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schätzte sie sofort als eine vielseitig begabte Persönlichkeit ein, die über erheblich mehr Qualitäten als nur ihr Aussehen verfügte, während sie wiederum gleich erkannte, mit was für einem Typ von Mann sie es bei ihm zu tun bekam, als er in seinem alten, braunen Tweedjackett langsam die Treppe hinunter schritt.

      Als er sich als „Albert Burke“ vorstellte, lächelte sie mit satter Süffisanz und meinte:

      „Mein Name ist Lydia Abramovitch. Wir beide können untereinander offen sein. Ein paar hochfliegende Spatzen haben es bereits sehr laut von den Dächern Manhattans herunter gepfiffen, dass Sie Dr. David Dembski sind, noch bevor ein erster Bericht über Sie heute Morgen auf meinem Computer eingetroffen ist. Aber freuen Sie sich darüber, denn ein charmanter Doktor ist mir allemal lieber als ein gewöhnlicher Mr. Burke, der sich vielleicht nicht richtig zu benehmen weiß…“

      Bereits ihre ersten Worte hatten eine seltsame Wirkung auf ihn. Obwohl sie aus dem Mund einer Anderen etwas frech geklungen hätten, fühlte er sich durch ihr Lob irgendwie ermutigt, so als wäre er einer ihrer unzähligen Verehrer, dessen Chancen sie zu erobern um ein gutes Stück gestiegen waren. Natürlich wirkte hier bereits die angewandte, weibliche Psychologie, mit der Abramovitch seit Jahren erfolgreich operierte und schon ganz andere als ihn um den Finger gewickelt hatte.

      „Ich möchte Sie der Form halber fragen, was genau Ihr Auftrag ist. Es wäre gut das gleich jetzt von Ihnen zu erfahren, damit wir nicht etwa die ganze Zeit aneinander vorbeireden“, verlegte er sich darauf sofort konkret zu werden. Er fürchtete ernsthaft in einem allzu lockeren Gespräch irgendwann die Kontrolle zu verlieren und von ganz alleine damit zu beginnen, der überaus attraktiven Frau übertriebene Komplimente zu machen.

      „Zunächst lautet der Auftrag vor allem, Sie zu begleiten und Ihnen einen vergnüglichen Tag zu bereiten. Kommen Sie! Draußen wartet ein Wagen extra nur für Sie“, entgegnete sie mit entwaffnendem Charme und machte eine auffordernde Geste zum Ausgang hin.

      Aus ihrem Mund klang diese Ankündigung äußerst viel versprechend und großzügig, weshalb er ihr ohne zu zögern nach draußen folgte und mit ihr in eine der typischen langen Mietlimousinen mit Chauffeur einstieg, wie man sie in den großen, teuren Hotels bekam.

      „Um Ihnen meinen Auftrag näher auszuführen…“, begann sie das Gespräch erst fortzuführen, nachdem sie eine Weile gefahren waren und sie einen Knopf betätigt hatte, durch den die Trennscheibe zum Fahrer automatisch hochfuhr, „…möchte ich Sie zunächst ein wenig über die Verhältnisse in New York aufklären, Dr. Dembski. Da Sie früher in Langley waren, können Sie nicht völlig naiv sein und trotzdem werden Sie vielleicht nicht wissen, wie sehr diese Stadt von ihren eigenen Gesetzen regiert wird. Geheimdienste, die vom Staat finanziert werden, sind eine Sache, das private Kapital und die Geschäfte kleiner und großer Fische jedoch eine ganz andere. Wie überall gibt es natürlich auch in New York die Guten und die Bösen und ich muss Ihnen sicher nicht extra sagen, dass Leo Abrahams zu den Guten zählt, die ihr Kapital auf ehrliche Art aufgebaut haben und für die Prinzipien eines freien und unabhängigen Marktes einstehen.

      Mein Auftrag lautet unter anderem den guten Ruf der Firma zu schützen, nicht zuletzt weil sie weltweit tausende Angestellte ernährt!“

      Als der vornehme, weiße Wagen die Auffahrt auf die stark befahrene Interstate 278 nahm, unterbrach sie sich eine Weile, um dann fortzufahren:

      „Der Auftrag Ihre, sagen wir, Geschenke aus Langley entgegenzunehmen und an geeignete Stellen weiterzugeben, wurde mir übertragen, da ich als selbstständige Privatperson juristisch unabhängig bin. Ich übernehme das volle Risiko und bekomme guten Lohn dafür, und nun liegt es an Ihnen, ob Sie damit einverstanden sind und alles in meine Hände legen. Man könnte sagen, ich bin die Firewall von Independent Internet, damit man sich dort nicht mit dem schlimmen Virus infiziert, den man Hochverrat nennt!“

      „Sie klingen sehr geschäftsmäßig, Miss Abramovitch. Sie möchten mit etwas Handel treiben, bei dem es für mich um höhere Ideale, um den Kampf für die Freiheit geht“, wandte David voller Skepsis ein, obwohl alles, was sie sagte, plausibel klang.

      „Mein persönliches Risiko wird bald nicht mehr geringer als Ihres sein und wenn ich von einem reichen Mann dafür entsprechend belohnt werde, muss dies doch für niemanden ein Schaden sein. Wie viel haben Sie im Monat bei der CIA dafür kassiert, dass Sie bei einer Vereinigung mitgewirkt haben, die dem Kampf für die Freiheit, von dem Sie da so großspurig reden, in vielen Fällen eher entgegengewirkt hat?“

      Ihre kleine Stichelei führte zu einem angespannten Schweigen, bis sie die 495 erreicht hatten und bald darauf in den Hugh L. Carey Tunnel nach Manhattan hineingefahren waren. Das fahle Licht des Tunnels verführte ihn dazu, sich unauffällig die zarte und weiße Haut ihrer Schenkel unterhalb ihres Rocksaums anzusehen, woraufhin ihm die aufwändige Stickerei des Saums an diesem Tag so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen sollte.

      Als sie sich hinter dem Tunnel auf den FDR Drive einfädelten, um am rechten Rand der Halbinsel Richtung Norden zu fahren, erinnerte sie ihn daran, dass dieser Ausflug der Überprüfung seiner und nicht ihrer Glaubwürdigkeit diente.

      „Sie haben den Wunsch geäußert Leo Abrahams persönlich zu sehen, Dr. Dembski. Glauben Sie denn ernsthaft, jeder könnte einfach so in den Independent-Internet-Tower spazieren, in den 100. Stock zur Chefetage hochfahren und ihm irgendeine undurchsichtige Geschichte präsentieren? Aus Ihrem gesamten Verhalten spricht, dass Sie kein richtiger Profi sind, und das allein ist der Grund, warum wir Ihnen etwas Vertrauen schenken. Mr. Abrahams würde nämlich normalerweise niemals freiwillig mit jemandem sprechen, der in irgendeiner Weise mit der CIA zu tun hat.

      Er gehört übrigens zu den Unterzeichnern des bekannten Pamphletes, das damals das Vorgehen der Bush-Administration und der Geheimdienste seit 9/11 verurteilt hat und das von vielen Prominenten unterstützt worden ist.“

      Der letzte Satz beeindruckte David, denn wenn jemand wie Abrahams ein solches Pamphlet unterschrieben hatte, war das ein öffentliches Bekenntnis, das Folgen haben konnte. Prominente Hollywood-Schauspieler nahmen einen gesellschaftlichen Sonderstatus ein und hatten politisch nicht viel zu verlieren, ein großer Geschäftsmann aber besaß viele Angriffsflächen und musste mit Schikanen wie etwa dem Regin-Spionagesystem rechnen.

      „Sobald ich mich entschlossen habe, Ihnen die Geschenke – wie Sie es nennen – zu überreichen, können Sie ihren Inhalt sofort prüfen. Sie werden schnell feststellen, wie sehr dieser für sich selber spricht und keine CIA-Finte sein kann. Mr. Abrahams bleibt von all dem völlig unberührt. Ich möchte bloß einmal dem Mann in die Augen sehen, der sich in Zukunft für die Verbreitung einiger schwerwiegender Geheimnisse verantwortlich zeigt, bevor ich mich wieder zurückziehe und alles Weitere nur noch in den Medien verfolge.“

      „Wie, Sie möchten sich elegant aus der Affäre ziehen und das Risiko anderen überlassen. David?“, ging sie plötzlich dazu über, ihn mit einer verführerischen Vertraulichkeit beim Vornamen zu nennen. Er ließ sich von ihrem spöttischen Lächeln nicht beirren und entgegnete:

      „Sie wissen viele Dinge nicht und sollten nicht voreilig urteilen. Haben Sie schon einmal etwas von dem GOLIATH-Computersystem der CIA gehört? Dieses System führt ständig ein gigantisches Meer von Informationen zusammen und kann eines Tages Schlüsse ziehen, die plötzlich zu einem Verhör und einer Verhaftung führen.

      Ich genieße einen gewissen Schutz, solange mein Partner noch an der Quelle sitzt und einige Manipulationen vornehmen kann. Aber die Risiken sind schon jetzt zu groß geworden, um sich noch wirklich sicher zu fühlen.“

      „Wir alle tragen unsere Risiken, David.“

      „Während Sie noch immer irgendwo in New York in einem komfortablen Apartment sitzen und all die Geldscheine zählen, die Ihnen Abrahams für die verschiedensten Aufträge zusteckt, könnte ich eines Tages am Fließband einer Fabrik in Area Zero stehen und jahrelang in die grauen und hoffnungslosen Gesichter namenloser Häftlinge sehen…“, malte er ein düsteres Bild seiner möglichen Zukunft und spielte mit „Area Zero“ auf ein amerikanisches Sondergefängnis an, das sich an der Grenze zu Mexiko befand und ähnlich wie Guantanamo einer eigenen Hoheitsregelung unterlag.