Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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sein, wo irgendwann das schwarze Telefon auf seinem Nachttisch klingeln und sich am anderen Ende der Leitung ein gewisser Mr. Emerson melden würde, hätte ihn dieser Zustand der Orientierungs- und Erinnerungslosigkeit bald verrückt gemacht.

      Nachdem er sich trotz seiner Benommenheit und seines Kopfschmerzes im Zeitlupentempo an der Bettkante aufgesetzt und angezogen hatte, setzte er sich aufrecht in einen Sessel, wodurch er nach und nach richtig zu sich kam. Es dauerte insgesamt fast zwei Stunden, bis er in der Lage war langsam in die Empfangshalle hinunterzugehen, in der zu seiner großen Erleichterung nichts Auffälliges zu bemerken war. Er zwang sich den ihm unendlich lang vorkommenden Weg zur übernächsten Querstrasse zu gehen, um seinen dort geparkten Wagen zu kontrollieren. Der weiße BMW war offensichtlich durchsucht worden, da seine Zentralverriegelung geöffnet war, wenn auch keine weiteren Veränderungen an ihm zu bemerken waren. Als er nach geraumer Zeit wieder das Hotel betrat, tat er das, was er eigentlich als Erstes hätte tun sollen – er ließ den Inhalt seines Safes überprüfen. Da alles seine Ordnung hatte und die Tasche mit den vier Festplatten noch immer an Ort und Stelle war, ging er erleichtert auf sein Zimmer zurück, wo er nach irgendwelchen Hinweisen und versteckten Spuren zu suchen begann. Als er dabei die Türklinke und das Türschloss genauer unter die Lupe nahm, kündigte sich durch lautes Klingeln endlich der Anruf an, auf den er bereits sehnsüchtig gewartet hatte.

      „Mr. Burke? Hier Emerson. Ich wünsche einen guten Morgen“, klang es wieder so nüchtern und dienstbeflissen durch die Leitung, als wäre das Hotel direkt an die Büros des Independent-Internet-Towers angeschlossen und als ob zwischenzeitlich nicht das Geringste geschehen wäre.

      „Endlich rufen Sie an! Wir haben einiges zu besprechen! Die Begegnung mit Ihrer Miss Abramovitch hat mir alles Andere als Glück gebracht!“

      Davids Stimme geriet vor Aufregung ins Stolpern und Emerson schnitt ihm voller Ungeduld das Wort ab:

      „Die Begegnung mit Miss Abramovitch!? Ist sie etwa gestern tatsächlich bei Ihnen im Hotel erschienen?“

      „Ja… aber natürlich ja… sogar mit absoluter Pünktlichkeit… Eine äußerst bemerkenswerte Frau, aber leider konnte ich mir mit ihr nicht einig werden. Hat Sie Ihnen noch nichts von dem Ergebnis unserer Unterhaltung mitgeteilt?“

      Er war noch immer so benommen, dass er das Wichtigste noch gar nicht sofort begriffen hatte.

      „Sie haben ihr also noch nichts übergeben oder ihr etwa den Aufbewahrungsort Ihrer Datenträger genannt?“, wollte Emerson mit noch größerer Ungeduld wissen.

      „Nein, ich bestand darauf, zuerst mit Mr. Abrahams persönlich zu sprechen. Ich dachte, das wüssten Sie bereits.“

      „Sehr gut, Mr. Burke, dann bin ich sehr erleichtert. Hören Sie mir jetzt bitte genau zu und erschrecken Sie sich nicht: Die echte Lydia Abramovitch wurde gestern Mittag von zwei Unbekannten in ihrer Wohnung festgehalten und betäubt und wachte heute Morgen mit einem brummenden Schädel auf!“

      „Warten Sie einen Moment, Mr. Emerson, warten Sie! Ich muss kurz nachdenken, denn das gleiche Brummen habe ich auch!“, stieß David erregt hervor, während seine Gedanken ins Rotieren gerieten. Er konnte die Konsequenzen aus dieser Information natürlich noch nicht gleich vollständig überblicken, erkannte aber sofort, dass dadurch zumindest ein bestimmter Verdacht hinfällig wurde. Schließlich klärte er den Anderen auf:

      „Irgendwer hat mir heute Nacht einen Besuch abgestattet, mich betäubt und danach alles gründlich durchsucht. Ich dachte zuerst, Ihre Abramovitch steckt dahinter, weil ihr die Übergabe nicht schnell genug verläuft und sie Angst bekommen hat, mein Zögern könnte sie um ihr Honorar bringen.

      Die CIA wird es ebenso wenig gewesen sein, da die falsche Abramovitch unmöglich eine amerikanische Agentin sein kann - das habe ich im Gespür. Eine Frau wie sie handelt entweder auf eigene Rechnung oder wurde von einer fremden Macht geschickt.“

      „Dann kann ich wirklich nur hoffen, Ihr Gespür trügt Sie nicht und resultiert aus ausreichender Erfahrung, denn sobald die CIA im Spiel ist, brechen wir von unserer Seite sofort den Kontakt zu Ihnen ab.

      Wir glauben, dass der Überfall auf unsere Mitarbeiterin auf das Konto der Russen geht, auch wenn man sich darüber natürlich nicht sicher sein kann. Es hat in den letzten Jahren in New York immer wieder Vorfälle gegeben, die den Verdacht nahe legen“, klärte ihn Emerson in einer so betont nüchternen und unaufgeregten Art auf, als würde er selber Mitarbeiter einer Art von Geheimdienst sein. Als David in diesem Moment in seiner Hosentasche den Zettel mit der Nummer wieder fand, die er sich tags zuvor in dem Club notiert hatte, entgegnete er:

      „Abramovitchs Doppelgängerin ist mit mir in den High Times Club am Times Square gefahren und hatte einen Clubausweis mit dem Namen Patricia Stratford dabei. Ich werde Ihnen die Mitgliedsnummer nennen, vielleicht können Sie ja irgendetwas herausfinden. Sie lautet HTC 1000 11 123.“

      „Wir werden eine kleine Untersuchung in Auftrag geben, Mr. Burke, das verspreche ich Ihnen. Falls wir dazu weitere Informationen von Ihnen benötigen, könnte sich ein Mr. Walter Silverman bei Ihnen melden. Er arbeitet für unsere Sicherheitsabteilung und wird für den Fall zuständig sein.

      Wir sollten die Übergabe solange verschieben, bis wir neue Erkenntnisse haben. Das Beste wird sein, wenn Sie einfach im Hotel bleiben und nichts Besonderes unternehmen. Ich frage Sie nun, ob das, was Sie für uns aus Washington mitgebracht haben, an einem sicheren Ort verwahrt ist. Aber nennen Sie mir diesen Ort bitte nicht am Telefon!“

      „Sie bringen mich da auf etwas, was Sie mir bei unserem ersten Telefongespräch gesagt haben: Eine sicherere Leitung gibt es in New York nicht, haben Sie geprahlt. In Wahrheit könnte diese Leitung allerdings so löchrig wie ein durchrostetes Eisenrohr sein. Ich frage mich nämlich, auf welchem anderen Weg bestimmte Dinge nach außen gedrungen sein könnten. Insofern haben wir gerade schon viel zu viel gesagt.

      Zu den Festplatten ist zu sagen: Natürlich befinden sie sich an einem sicheren Ort!“

      „Das mit dem Telefon werde ich überprüfen lassen“, entgegnete Emerson zerknirscht. Dann klang gleich wieder die beruhigende Nüchternheit in seiner Stimme durch, die zu verraten schien, dass der ganze Vorfall für ihn nicht weltbewegend war.

      „Gehen Sie jetzt frühstücken, Mr. Burke. Und regen Sie sich nicht weiter auf. Meiner Ansicht nach war all das nur ein kleiner Streich, wie man ihn von den Brüdern des Ostens längst gewohnt ist.“

      „Ich verstehe gar nicht, warum diese Brüder so ungeduldig sind. Vielleicht hätte die Welt doch sowieso bald alles erfahren, was auf diesen Festplatten gespeichert ist.“

      „Das steht zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs fest. Solche Angelegenheiten sind stets von großer Unsicherheit und vielen unvorhergesehenen Wendungen geprägt. Die Aussicht, dass vielleicht bald, irgendwann oder auch niemals ein gewisser amerikanischer Whistleblower seine Geheimnisse laut genug bis nach Moskau herüber pfeift, hätte wohl auch umgekehrt niemanden bei uns je ausgereicht...“

      3

      Während Dembski im „Maison Rouge“ eine Tablette gegen seinen starken Kopfschmerz nahm, schloss Mr. „Emerson“, der als Sohn irischer Einwanderer in Wahrheit Tosh O’Brian hieß, in der Tiefgarage des Independent-Internet-Towers die Tür seines schwarzen Cadillacs auf. O’Brian hatte sich bei Independent Internet (I.I.) zu der rechten Hand von Leo Abrahams hochgearbeitet, in welcher Funktion er viele verschiedene Aufgaben zu bewältigen hatte und nicht allein auf ein fest umrissenes Arbeitsfeld beschränkt war.

      Da Freitagvormittag war und er jeden Freitag auf Abrahams’ Landsitz auf Long Island herausfuhr, um diesem den Bericht der Woche zu überbringen und mit ihm die Aufgaben für die folgende Woche zu besprechen, hatte er während der eineinhalb- bis zweistündigen Fahrt ein wenig Zeit für sich, die er als eine willkommene Abwechslung genießen konnte.

      Tosh war ein Meister darin, alle nervenaufreibenden Aufgaben und bedeutenden Arbeiten so geschickt und ruhig an Untergebene zu delegieren, dass ihm auch in den geschäftigsten Zeiten genügend Gelegenheiten blieben, einen