Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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lässt man Sie doch eines Tages wieder frei. Noch leben wir nicht im George-Orwell-Staat! Oder gehören Sie zu den naiven Menschen, die denken, in anderen Ländern wäre es besser?“

      Sie machte eine affektierte Handbewegung, bei der der teure Silberschmuck an ihrem Handgelenk einen besonders verführerischen Kontrast zu ihrer schneeweißen Haut einging. Als sie ihm dann noch kurz sanft und tröstend über seine Schulter strich, fühlte er unter ihrer Hand eine seltsame Erregung entstehen. Sie öffnete die kleine Bar der Limousine und schenkte roten, italienischen Likör in zwei Gläser ein. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, erklärte er über das GOLIATH-Computersystem weiter:

      „Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Gefühl es ist, in demselben Land, ja sogar in derselben Stadt wie mit einem gigantischen Rechner zu leben, der einem jederzeit durch einen plötzlichen und unvorhersehbaren Informationszufluss zur Gefahr werden kann und Agenten wie menschliche Roboter auf einen hetzt! Bei all dem muss man allgemein auch bedenken, dass die Fähigkeiten der Computer ständig erweitert werden und exponentiell in immer kürzeren Zeiträumen steigen.“

      „GOLIATH ist jedem in unseren Kreisen ein Begriff. Die Gefahr, die von ihm ausgeht, beweist nur, wie wichtig es ist, Independent Internet vor der Macht der Geheimdienste zu beschützen.

      Ich hoffe nur, Sie haben uns nicht bereits jetzt eine Menge Ärger mit nach New York gebracht! Bei Menschen wie Ihnen muss man auf der Hut sein, David, sie wissen zwar viel, verstehen aber nicht immer vorsichtig genug zu sein…“

      Was für einen Moment vorwurfsvoll klang, wurde durch einen gutmütigen und freundlichen Ton in ihrer Stimme wieder ausgeglichen, in dem unterschwellig eine sehr merkwürdige Ironie anklang. Es war eine Ironie, die er zu diesem Zeitpunkt unmöglich verstehen konnte.

      Sie waren inzwischen am UN-Hauptquartier angelangt und bogen vor dem Gebäude vom FDR Drive in die 42nd Street ab, auf der sie bald im stockenden Verkehr zum Stehen kamen. Durch den Stillstand des Wagens wirkte die Nähe zwischen ihnen plötzlich um einiges intimer und David bemerkte, wie er die ungewöhnlich attraktive Frau neben sich langsam ernsthaft zu begehren begann. Glücklicherweise dauerte die Stockung nicht allzu lang an, weshalb sich sein Gemüt durch das Beobachten der an ihnen vorbeiziehenden Gebäude, Menschen und Straßen schnell wieder abkühlen konnte. Sie bogen in die 7th Avenue ein und befanden sich irgendwann auf der Höhe des Times Square, als Lydia dem Fahrer durch eine Sprechanlage die Anweisung gab, in der Nähe eines bestimmten Gebäudes anzuhalten.

      „Ich möchte Sie in einen Club einladen, in dem man hervorragend sitzen und das Leben in den Straßen aus angemessener Distanz beobachten kann“, erklärte sie ihr Vorhaben, während sie aus der Limousine stiegen. Sie führte ihn über die Straße und dann in das Foyer eines fünfzigstöckigen Wolkenkratzergebäudes hinein, dessen erste drei Etagen durch einen offenen Aufzug zu erreichen waren. Als sie schließlich im zweiten Stock vor einer Glastür standen, auf der „High Times Club“ zu lesen war, ahnte David, dass er in diesem Club in den exklusiven Zirkel reicher Snobs geriet. Lydia zog einen Mitgliedsausweis durch einen Scanner, woraufhin sie durch die sich automatisch öffnende Tür in eine mit Marmor ausgekleidete Vorhalle gelangten, von der ein breiter Korridor in den luxuriös eingerichteten Hauptraum führte. Die halbkreisförmig arrangierten weißen Ledersessel, auf denen sie nahe der überaus langen, im Mittelpunkt des riesigen Raumes befindlichen Bar Platz nahmen, standen direkt an einer der voll verglasten Wände, sodass man auf die zahlreichen, rund um den Times Square flanierenden Touristen von einer erhabenen Distanz wie auf einen großen menschlichen Zoo herabsah. Die wenigen Gäste, die um diese Zeit in dem Club verkehrten, verteilten sich weit verstreut im Raum und hatten scheinbar nicht viel mehr zu tun, als bereits tagsüber raffinierte Cocktails zu trinken und hin und wieder ein paar Telefongespräche zu führen.

      Nach einem Drink und etwas harmlosem Geplänkel kam Lydia bald wieder auf den eigentlichen Anlass ihrer Begegnung zu sprechen.

      „Ich möchte es Ihnen ganz direkt sagen, David: Ich habe die Anweisung erhalten, das Spiel nach unseren Regeln zu spielen oder die Sache einfach fallen zu lassen. Es liegt nun an Ihnen, ob Sie sich darauf einlassen, oder Ihre Geschenke wieder mit nach Washington nehmen. Ich rate Ihnen mir entgegenzukommen, damit Ihre Mühe nicht vollkommen umsonst gewesen ist!“

      „Ich wundere mich, dass Sie plötzlich Bedingungen stellen. Von was für Regeln reden Sie da?“

      „Eigentlich ist es nur eine einzige Regel und die ist sehr simpel: Da Mr. Abrahams zurzeit schwierige Verhandlungen wegen der Übernahme eines seiner bedeutendsten Geschäftsbereiche durch den LOGO-Konzern führt, ist es unmöglich, ihn persönlich zu treffen. Sie müssen mit mir Vorlieb nehmen, da ich in der Angelegenheit zu seiner Vertreterin erklärt worden bin.“

      „Darauf lasse ich mich nicht ein. Das, was ich anzubieten habe, könnte für einen Mann wie Abrahams eines Tages einen großen Wert bekommen, weshalb man es meiner Meinung nach mit etwas mehr Freundlichkeit entgegennehmen muss“, wich er von seiner Hauptbedingung um keinen Deut ab.

      „Es ist, wie ich sage und nicht zu ändern. Mr. Abrahams ist mit den Vorbereitungen für die bald beginnenden Übernahmeverhandelungen sehr beschäftigt. Wie Sie sich denken können, ist LOGO kein leichter Verhandlungspartner. Hier geht es um Milliarden und nicht um ein paar Dateien, die vielleicht nach einem kurzen Aufruhr schon bald niemanden mehr interessieren werden!“

      Die unüberhörbare Ungeduld und der Anflug einer latenten Aggressivität, die plötzlich an der schönen Abramvotich zu bemerken waren, gefiel David ganz und gar nicht. Über die Pläne von LOGO hatte er in der Zeitung gelesen; es war allgemein bekannt, dass der mächtigste aller Internetkonzerne, der nicht nur in den USA, sondern weltweit das unangreifbare Monopol anstrebte, den alten Abrahams sehr weit in die Ecke gedrängt hatte, weshalb dieser bereits vor ein paar Jahren damit begonnen hatte, einen massiven Umbau aller Geschäftsbereiche von „Independent Internet“ vorzunehmen.

      „Wir haben vorhin über den treuesten Mitarbeiter der CIA, GOLIATH, gesprochen. Vielleicht haben Sie noch nie etwas über seinen Bruder BRAVEHEART gehört, der zu einem ebenso treuen Diener der NSA geworden ist.

      Wenn die Welt erfährt, was auf diesem Rechner alles gespeichert wird, können alle früheren Whistleblower wieder in die USA zurückkehren oder frei gelassen werden, da ihre Enthüllungen im Verhältnis dazu nicht mehr von Interesse sind.

      Ich bin nicht auf Mr. Abrahams angewiesen, es gibt bestimmt genügend andere Menschen, die hierüber etwas wissen wollen!“

      „Mr. Abrahams ist zurzeit sehr misstrauisch, das sollten Sie verstehen, David. Man könnte es schließlich nicht nur als einen reinen Zufall interpretieren, dass Sie ausgerechnet jetzt auf der Bildfläche erschienen sind, wo gerade die Verhandlungen mit LOGO begonnen haben. Es könnte sich um ein abgekartetes Spiel handeln, durch das ihm irgendein unvorhersehbarer Nachteil entsteht.

      Vielleicht wissen Sie nicht genug über die Gesetze der Macht, David. Sie scheint zwar naturgemäß mächtig zu sein, aber in ihrem innersten Gefüge ist sie so sensibel wie eine Feder, die in einen Windstoß gerät. Sie kann jederzeit aus den Fugen geraten und muss mit allen Mitteln beschützt werden. Denken Sie darüber nach und bringen Sie ein wenig Verständnis für Mr. Abrahams besondere Lage auf! Während Sie das tun, werde ich uns noch etwas zu trinken bestellen…“

      Als sie sich erhob und zur Bar begab, konnte er kurz darauf beobachten, wie sie in einem Kosmetikraum verschwand. In einem plötzlichen Anfall von Misstrauen begann er die Handtasche zu durchsuchen, die sie auf ihrem Sessel vergessen hatte, und fand neben allerlei bedeutungslosem Krimskrams vor allem Bargeld, einen Schlüssel und den Mitgliedsausweis darin, mit dem sie sich Eintritt in den Club verschafft hatte. Der Ausweis erwies sich als Volltreffer, da auf ihm der Name „Patricia Stratford“ sowie eine Mitgliedsnummer zu lesen war, die er sich schnell notierte. Zwar musste „Stratford“ nicht unbedingt echter als „Abramovitch“ sein, doch stärkte dieser zweite Name paradoxerweise sogar sein Vertrauen, da er den ersten ohnehin für falsch gehalten hatte. Als Lydia wenige Minuten später wiederkam, unterbreitete sie ihm sofort einen Vorschlag. Sie wollte es so wirken lassen, als wären ihre Worte das Resultat intensiven Nachdenkens, aber in Wahrheit hatte sie in der Zwischenzeit mit jemandem telefoniert.

      „Wir