Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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mit einem genialen Dirigenten verglichen, der über dem Schaffen seiner Mitarbeiter wie ein Geist über dem Klang der Noten schwebte, denen er nur hin und wieder eines von oben mit seinem Taktstock verpassen musste, während die Musiker des Orchesters ordentlich ins Schwitzen gerieten. Er stand in der Hierarchie weit genug oben, um für die Fahrt eine Limousine mit Chauffeur zu beanspruchen, aber als Individualist zog er es vor, langsam mit seinem liebevoll gepflegten, betagten V8-Caddy blubbernd durch die Straßen von New York zu cruisen, eine sündhaft teure Zigarre dabei zu rauchen und einige noch unbekannte Feinheiten in den Klanglinien einer seiner Lieblingssymphonien zu entdecken, deren neu eingespielte Fassung ihm seine Frau Eleanor gerade zum 65. Geburtstag geschenkt hatte.

      Während der Fahrt kamen ihm nicht nur verschiedene Einzelheiten seiner wöchentlichen Präsentation bei Leo Abrahams in den Sinn, sondern er musste natürlich auch an „Mr. Burke“ denken, dessen richtigen Namen sie inzwischen herausgefunden hatten. Am liebsten wäre er auf seinem Weg nach Long Island im „Maison Rouge“ in Williamsburg vorbeigefahren und hätte endlich den Mann persönlich kennen gelernt, der auf so leichtfertige Weise seinen gut dotierten Ruhestand aufs Spiel setzte und offenbar seinem lang verstorbenen Großvater einen unauflösbaren jüdischen Ehrenschwur geleistet hatte. Er hatte diesen Dembski anfangs für verrückt gehalten, aber inzwischen glaubte er, es bei ihm mit einem intelligenten Mann zu tun zu haben, der nur noch nicht sehr erfahren in der hohen Kunst der Geheimhaltung war. Tosh O’Brian hatte in seinem früheren Leben selber einiges über diese Kunst gelernt und war daher zunächst zum Leiter der Sicherheitsabteilung bei I.I. aufgestiegen, bevor er sich auch als ein findiger Manager erwiesen hatte.

      Er hielt nicht an dem Hotel an diesem Tag und besuchte dafür das unscheinbare Kirchengebäude einer kleinen Baptistengemeinde in Jericho, das genau an seiner Strecke lag und in dem er jede Woche in Leos Namen dem Pfarrer tausend Dollar für Bedürftige übergab. Für Leo, dem es als Jude wichtig war, auch eine Brücke zur Christenheit zu schlagen, war Gott selbstverständlich größer als der jeweilige Glaube verschiedener Religionen und Konfessionen, weshalb er sich mit seinen 79 Jahren längst zu einem überreligiösen, alles verbindenden Pantheismus aufgeschwungen hatte, der in seinen Augen der höheren Vernunft entsprach.

      Für Tosh lag ein symbolischer Zusammenhang darin, dass er – nachdem er auf seiner wöchentlichen Strecke den traditionellen Obolus für die Armen entrichtet hatte – noch auf dem Parkplatz des Gemeindehauses einen ersten Blick in die Zahlen warf, die ihm die Chef-Controllerin Agnes Bloomingdale bereits in der Nacht zugemailt hatte. Das Zahlenwerk sah auf den ersten Blick sehr solide aus, wenn auch – wie üblich – die Telefonsparte große Verluste generierte und nach Toshs Überzeugung am besten verkauft werden sollte. Sie brauchten dringend frisches Kapital, um all die vielen, kleinen Neuerwerbungen verdauen zu können, die Leo manchmal fast so ungerührt und gewohnheitsmäßig auf seine Einkaufsliste setzte, wie eine Hausfrau kurz bevor sie zum nächsten Supermarkt ging.

      Als Tosh am Mittag an der Toreinfahrt des Anwesens „Abrahams Gardens“ vorfuhr, das sich am Rande eines kleinen Naturparks in der unmittelbaren Nähe des Ozeans befand, tippte er seinen persönlichen Sicherheitscode in ein Zahlenfeld ein und wartete, bis sich das automatische Tor leise surrend öffnete. Danach fuhr er den breiten Kiesweg durch ein kleines Kiefernwäldchen hoch und kam schließlich auf einem großen, kreisrunden Rondell vor dem Hauptgebäude zum Stehen.

      Wer in „Abrahams Gardens“ ein nach englischem Vorbild kopiertes, prächtiges Herrenhaus erwartet hätte, wurde auf den ersten Blick enttäuscht, weil es sich um ein Gebäude im Stil der allerneuesten Sicherheitsarchitektur handelte, das gegen alle Arten eines feindlichen Angriffs gewappnet war. Trotz der imposanten Auffahrt und der exponierten Lage des aus drei schlichten Kuben bestehenden, auf einem kleinen Hügel liegenden Hauses sah es im Verhältnis zu dem großen, amerikanischen Mythos „Abrahams“ beinahe etwas bescheiden aus und spiegelte weniger das Repräsentations- als das Sicherheitsbedürfnis eines Menschen wider, auf den bereits zwei Anschläge verübt worden waren. Die drei ineinander verschlungenen Gebäudekuben verbanden den Anspruch von Sicherheit und Ästhetik auf gelungene Weise und wirkten durch die ungewöhnliche und futuristische Kombination von rötlichem und anthrazitfarbenem Sand- und Lavagestein, als wären sie von einem fremden Planeten auf die Erde heruntergefallen. Jeder der Kuben besaß drei Stockwerke, von denen das mittlere durch eine Galerie verbunden war und durch große, gepanzerte Fensterflächen einen weiten Blick in die parkähnliche Landschaft bot.

      Als Tosh auf die weit verzweigte Terrassenanlage des Gebäudes trat, sah er, wie Leo auf einer freien Rasenfläche beim Mittagessen saß. Dabei wurde er von seinem jungen, französischen Koch bedient und hatte wegen der kräftigen Septembersonne Schutz unter einem riesigen Sonnenschirm gesucht. Leos chinesische Hausdame Li Lin führte Tosh mit einem exakten Schrittmaß, das so theatralisch wie in einer Peking-Oper wirkte, an den langen Holztisch, auf dem bereits wie üblich ein Gedeck für ihn vorbereitet worden war.

      Außer zwei Sicherheitsleuten, die sich im Nebentrakt hinter einer großen Glaswand befanden und das Gelände rund um die Uhr überwachten, sah man niemanden, da Leos Frau Sue-Anne vor zwei Jahren gestorben war und sich sein Sohn Theodore zurzeit meist in Los Angeles aufhielt. Leo war trotz seines hohen Alters nichts Greisenhaftes anzusehen, da er sich unter dem Einfluss seiner Hausdame und eines speziellen Lehrers jeden Morgen verschiedenen asiatischen Bewegungstechniken widmete, durch die er sich eine sportliche Statur und eine straffe Haut bewahrt hatte. Er hatte grazile Hände, einen langen, schmalen Kopf mit hoher Stirn und einen cäsarischen Haarkranz um die feine Halbglatze, die von einer Vielzahl von Leber- und Pigmentflecken übersät war. Durch seine überlegen wirkende, große und schlanke Gestalt bekam man den Eindruck, dass sich in ihm das alte Sprichwort „Mens sana in corpore sano“ bestätigte, was sich indirekt auch in dem gesunden Ebenmaß aller Formen seines durchdacht angelegten Landsitzes widerzuspiegeln schien. Jeder konnte an ihm sofort eine ungewöhnliche geistige Kraft und eine fein „durchgetaktete“ Exaktheit spüren, die sich durch Vieles an ihm und um ihn herum ausdrückte und dem besonderen mentalen Energiestrahl entsprach, der aus seinem innersten Wesen bis in die verschiedensten Winkel seines ganzen Unternehmens reichte.

      Als Tosh den gewohnten Platz an Leos rechter Seite einnahm und sofort den schwarzen Koffer öffnete, in dem sich die Papiere mit den Zahlen der Woche befanden, stellte er in einem vertraulichen Tonfall die gleiche Frage, die er jede Woche als erstes stellte und die Leos peinlich genau dokumentierten Gesundheitszustand betraf:

      „Wie sind die Werte diese Woche?“, lautete sie und wie so oft nahm er daraufhin das vorbereitete Glas mit dem üblichen Aperitif zu sich.

      „Der Blutdruck geht ein bisschen hoch, aber ansonsten hervorragend! Auch du solltest mal mit Han Shan in den Gymnastikraum gehen, dann würde es deinem Rücken bald wieder besser gehen. Der Mann ist ein echtes Wundertier!

      Worum es bei mir allerdings etwas schlecht bestellt ist, sind meine Rechenkünste. Einige Zahlen, die Bloomingdale mir gesendet hat, möchte ich am liebsten gar nicht verstehen, ich habe sie mir heute früh angesehen“, kam Leo sofort recht eloquent zur Sache, wie es seine Art war. Herrisch wurde er dabei allerdings nie und obwohl er über die schlechten Zahlen wirklich ungehalten war, konnte er sie jemandem wie Tosh nicht persönlich zum Vorwurf machen. Der begann sofort geschäftig mit seinen Papieren zu hantieren, war aber nicht im Mindesten nervös dabei. Bald hatte er das Blatt mit einer bestimmten Übersicht gefunden und präsentierte sie ihm.

      „Ich nehme natürlich an, du spielst mal wieder auf die Telefonsparte an. Ich kann es nun einmal nicht ändern, es ist und bleibt ein Trauerspiel. Wahrscheinlich muss ich dir erst Woche für Woche ähnliche Zahlen vorlegen, bis du dich endlich zum Verkauf entschließen kannst.“

      Tosh knüpfte mit diesen Worten an eine Empfehlung an, die er schon seit zwei Jahren immer wieder vorgebracht hatte. In diesem Moment servierte ihm der Koch eine Suppe, woraufhin er sein elegantes Jackett aufknüpfte und zum Essen näher an den Tisch heranrückte.

      „Im Moment liegt einiges an, Toshi-Tosh“, sprach Leo seinen alten Gefährten nun mit seinem intimsten Spitznamen an, um ihn sanft auf bedeutende Neuigkeiten vorzubereiten. „Ich hoffe, du hast die Kraft eine wichtige Neuerwerbung mitzuorganisieren, ansonsten gebe ich die Sache komplett an Longfield-Whitehouse ab. Ein paar von denen, besonders dieser Snyder, können ein so unglaublich