Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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erlauben, Mr. Abrahams: Warum wollen Sie diese Dateien überhaupt noch haben? Was können Sie mit ihnen schon anfangen? Möchten Sie ernsthaft in einen geheimen Kampf gegen den Überwachungsstaat oder etwas Ähnliches ziehen, wo Sie sich doch gerade erst selber mitten in die Höhle des Löwen gewagt haben? Der Deal mit Rutherford und der Intelligence Community wird für I.I. ungeheure Konsequenzen haben und dem Konzern einen vollkommen anderen Charakter verleihen. Ich verstehe Ihr Handeln ehrlich gesagt nicht, Sir, und ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie sich quasi vor den Augen aller Geheimdienste auf ein gefährliches, doppeltes Spiel mit einem Whistleblower einlassen!“

      Der mehr als berechtigte Einwand hatte Abramovitch bereits die ganze Zeit auf der Zunge gelegen und der alte Leo Abrahams ließ darauf eines der vieldeutigsten, wissendsten, ja sogar weisesten Lächeln sehen, das sie je an ihm gesehen hatte.

      „Die Würfel sind noch lange nicht gefallen, liebe Miss Abramovitch. In einem wirklich guten und großen Spiel muss es natürlich eine Karte geben, die noch nicht aufgedeckt worden ist. Ich habe mich zwar – wie Sie sagen - in die Höhle des Löwen begeben, das bedeutet jedoch nicht, mich auch wirklich mit ihm von Herzen verbündet zu haben. Bedenken Sie das bitte.“

      Als Leo nicht weiter sprach, fragte sie noch einmal:

      „Ja, aber glauben Sie denn wirklich, Sie könnten mit den Geheimdiensten kooperieren und zugleich Ihre alten Ideale aufrechterhalten und Ihren Geschäften weiter im gewohnten Stil nachgehen?“

      „Na, warum denn nicht? In fortgeschrittenem Alter kann man auch fortgeschritten denken und zur Not auf mehreren Gleisen fahren. Sie müssen außerdem verstehen, dass ich meine intimsten Pläne auch vor Ihnen nicht offen legen kann. Bereits mein Großvater Isaac lehrte mich in großen Zügen zu denken und über längere Zeiträume hinaus zu schauen und sich solange nicht von dem äußeren Bild der gegenwärtigen Lage blenden zu lassen, bis man auch ihre Hintergründe richtig zu deuten gelernt hat. Zwei Dinge darf ich Ihnen zumindest verraten, die Mr. Rutherford besser nicht hören sollte.

      Erstens: Ich lasse mich nicht folgenlos erpressen, und wir alle wissen, wie sehr der Verkauf der Internetsparte unter diesen Bedingungen einer Erpressung gleichkommt, auch wenn dafür mein neues Projekt sehr verlockend ist.

      Zweitens: Ich lasse mich nicht in meinem eigenen Land ausspionieren, einem Land, in dem mein Konzern tausende Familien ernährt, Millionen Dollar Steuern zahlt und niemandem Unrecht tut. Das Regin-System, das man mir untergeschoben hat, ist also noch lange nicht vergessen, und obwohl ich eigentlich nicht für Rache bin, werde ich dafür zumindest Dembski und seinem Partner helfen - wofür es übrigens auch noch ein paar andere Gründe gibt…“

      „Wenn ich gläubig wäre, Mr. Abrahams, würde ich dafür beten, dass Ihnen Rutherfords Durchtriebenheit und die seiner Kollegen nicht eines Tages zum Verhängnis wird und Sie bei Ihren neuen Geschäften immer den Durchblick behalten“, entgegnete Abramovitch für ihre Verhältnisse ungewohnt sentimental und zeigte ihm damit, wie sehr sie bedingungslos auf seiner Seite stand. Sie hoffte aufrichtig darauf, dass sich der alte Mann in diesem großen Spiel nicht irgendwann einmal schwer verrechnete.

      „Wenn irgendwer das Beten nötig hätte, dann wohl dieser Dr. Dembski“, stellte daraufhin Tosh O’Brian wieder den direkten Bezug zu dem Whistleblower aus Washington her. „Mir wäre es wirklich lieb, wenn ihm nichts geschähe, weil er mir auf unerklärliche Art am Herzen liegt. Ich habe zwar nur zwei Mal mit ihm telefoniert, aber nach allem, was wir inzwischen über ihn wissen, scheint er ein sympathischer Kerl mit Überzeugungen zu sein. Es sieht so aus, als hätten wir es mit einem alten, sentimentalen Juden zu tun, der aufgrund eines Ehrenschwures handelt und bei seiner ganzen Mission vor allem an seinen Großvater denkt. Der Mann ist in Auschwitz umgekommen und hat seinen Nachfahren ein besonderes Eintreten für die Freiheit aufgetragen.“

      Die Bemerkung löste einiges Erstaunen bei Abramovitch und Silverman aus, aber sie äußersten sich nicht weiter dazu, da sie merkten, dass Leo die Besprechung aufgrund seines streng getimten Terminkalenders beenden wollte. Tatsächlich dauerte es nicht lang, bis er auf gewohnt professionelle Weise seine abschließenden Anweisungen gab:

      „Ich danke Ihnen für Ihre Berichte, Miss Abramovitch und Mr. Silverman. Hören Sie bitte gut zu, ich möchte, dass alles Weitere wie folgt abläuft:

      Tosh, du wirst Dembski noch heute anrufen und ihn über die Ergebnisse unserer Untersuchungen informieren. Es dürfte ihn bestimmt interessieren, dass dieses Agent O keine gesundheitlichen Schäden hinterlässt und seine gestrige Begleitdame wahrscheinlich eine russische Spionin gewesen ist, die ihn in ein bekanntes Agentennest ausgeführt hat. Des Weiteren soll er am Montag von zwei zuverlässigen Leuten aus dem Maison Rouge abgeholt werden, damit er pünktlich gegen 13 Uhr im Warteraum des Heliports im Tower erscheint. Er soll mit mir am frühen Nachmittag im Helikopter zum Harriman Countryclub fliegen, wo die Verhandlungen mit LOGO beginnen. Ich werde mir zwischendurch ausreichend Zeit für ihn nehmen und alles mit ihm besprechen. Es wäre ziemlich kleinlich, ihn mit fünf Minuten abzuspeisen, bei allem was er auf sich nimmt.

      Es wäre mir lieb, wenn Sie, Mr. Silverman, zu den Leuten gehören, die Dembski vom Hotel abholen, damit er uns nicht etwa im letzten Moment noch abhanden kommt! Und Ihnen, Miss Abramovitch, möchte ich hiermit nochmals einschärfen, Dembski nicht vor der Übergabe der Dateien über die EDNA aufzuklären. Außerdem wäre es gut, wenn Sie am Montag mit uns kämen und ein wenig die Augen offen hielten, falls ihm noch immer die Russen an den Fersen kleben.

      Du, Tosh, wirst sowieso mit mir fliegen, um an den Verhandlungen teilzunehmen. Da auch Mr. Snyder dabei sein wird, kannst du bei dieser Gelegenheit den Kontakt zu ihm schon einmal vertiefen, weil er für uns auch das Geschäft abwickelt, über das wir eben gesprochen haben!“

      Wie immer sorgte Leo dafür, dass alles Hand in Hand ging und seine wertvolle Zeit mit verschiedenen Projekten zugleich belegt wurde, deren jeweils spezifische Probleme er in seinem langen Leben souverän und virtuos parallel zu beherrschen gelernt hatte.

      So wartete etwa auch, wenn er am Montagabend von den Verhandlungen aus dem noblen Harriman Countryclub zurückkehren würde, am nächsten Morgen bereits die außerordentliche Hauptaktionärsversammlung im Tower auf ihn, in der der Verkauf der Internetsparte auf der Tagesordnung stand. Aus diesem Grund sollte noch an diesem Nachmittag Prof. Dr. Fuller auf Abrahams Gardens erscheinen, der als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates die wesentlichen Punkte der Versammlung mit Leo zu besprechen hatte. Der musste dazu vorher mindestens eine halbe Stunde alleine sein, um sich innerlich auf die wichtige Unterredung vorzubereiten, weshalb Abramovitch und Silverman ein paar Minuten später mit guten Wünschen für das beginnende Wochenende zurück nach New York geschickt wurden. Tosh flanierte derweil zu seiner Entspannung über die Wiesen und durch die Haine von „Abrahams Gardens“ zum Ozean hinüber und genoss dabei das wunderschöne Gelände wie immer so, als ob er dort selber zu Hause wäre.

      4

      Drei Tage später saß David im Fond eines wuchtigen, weißen GM-Trucks neben einem sehr dicken Mann, dem ein erloschener Zigarrenstummel im Mundwinkel hing und eine speckige, weiße Bauchfalte aus seinem Hemd hervorquoll. Der Andere, der den Wagen lenkte, sah im Vergleich zu Walter Silverman geradezu vornehm aus. Es handelte sich um einen schlanken, kräftigen Chinesen mit feinen Gesichtszügen, der einen schwarzen Anzug trug und nichts von der typischen Nüchternheit eines Sicherheitsangestellten an sich hatte. Akuma He vertrat seine ganz eigene Klasse, da er sich wie viele bei Independent Internet einen besonderen Individualismus leistete, der mit der allgemeinen Firmenphilosophie zusammenhing. Von der hohen Zahl chinesischstämmiger Angestellter bei I.I. wusste David noch nichts und er sollte an diesem Morgen durch He von Leo Abrahams’ großer Vorliebe für die chinesische Kultur erfahren.

      Erst als der schwere Wagen dröhnend in die riesige Tiefgarage des I.I.-Towers am Central Park einfuhr, konnte David endgültig aufatmen und überzeugt davon sein, nicht erneut Opfer einer Täuschung geworden zu sein. Nachdem sie in einem besonderen, durch ein automatisches Tor gesicherten Bereich der Garage gehalten und einen Fahrstuhl betreten hatten, wurde er von seinen beiden Begleitern auf dem engen Raum so bedrohlich eingerahmt, dass er das Gefühl bekam, ein Gefangener zu