Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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I.I.-Tower, Mr. Burke? Es ist über mehrere Blocks der höchste Wolkenkratzer auf dieser Seite des Central Parks. Obwohl ich schon ein paar Jahre hier arbeite, hat es immer noch etwas Erhebendes an sich, wenn man von dem Dach des Gebäudes über halb Manhattan blickt. Mr. Abrahams hat vor, dort oben eine kleine chinesische Pagode aufzubauen, ein echtes, hölzernes Teehäuschen, aus dem er Tee trinkend direkt in den Himmel schauen kann. Verrückt, nicht wahr? Wussten Sie von seiner besonderen Vorliebe für mein Land?“

      „Nein, wusste ich nicht. Leider verfüge ich über keine eigene Informationsabteilung und muss mir all mein Wissen selber besorgen. Wahrscheinlich ist mir noch sehr viel mehr über Mr. Abrahams entgangen“, erwiderte David etwas zerstreut, da er mit ganz anderen Gedanken beschäftigt war. Der große Tower schüchterte ihn ein und während sie minutenlang bis zum 80. Stockwerk hochfuhren, um dort in ein anderes Aufzugssystem umzusteigen, spürte er mit jeder Etage, die es höher ging, was für eine unvorstellbare Macht und Finanzkraft hinter einem Unternehmen steckte, die ein solches Gebäude zum Stammsitz hatte.

      Bald schaltete sich auch der dicke Walter Silverman nicht sehr freundlich in die Unterhaltung ein:

      „In unseren Zeiten ist eine fähige Informationsabteilung wertvoller als viele hundert Barren Gold, Mr. Burke. Ein einziger richtiger oder falscher Hinweis kann einem Konzern wie I.I. große Gewinne oder Verluste bescheren. Ich hoffe nur, Sie bringen uns nicht zu viele Informationen mit und werden nicht durch das, was Sie bei sich haben, eine tiefe Krise in den ganzen USA auslösen.

      Sie sollten wissen, dass Sie nicht der Erste sind, der sich mit einem Anliegen wie Ihrem an uns wendet. Seit der Internetrevolution ist für uns Sicherheitsleute die Welt so unübersichtlich wie ein tiefer, nächtlicher Urwald geworden, aus dem jederzeit ein unentdeckter Angreifer auftauchen und alles gehörig auf den Kopf stellen kann! Ich möchte mich gar nicht an den letzten Fall erinnern, der uns zwei unserer besten Mitarbeiter gekostet hat, die eines Tages von ein paar dunkel gekleideten Herren in schwarzen Limousinen abgeholt worden sind.“

      Silvermans Sarkasmus ließ offen, ob diese „dunkel gekleideten Herren“ wirklich erschienen waren oder ob sich dies bloß metaphorisch auf Mitarbeiter des FBI, CIA oder anderer Behörden bezog. Als sie kurz darauf im 80. Stock in den anderen Aufzug umstiegen, fühlte sich He verpflichtet beschwichtigend einzugreifen:

      „Hören Sie nicht auf ihn. Walter will Ihnen nur ein bisschen Angst einjagen. Seit er die 250-Pfund-Marke überschritten hat, schnellt sein Blutdruck bei jedem kleinen Problem und jeder zusätzlichen Arbeit gleich in die Höhe. Sie sind uns sehr willkommen, Mr. Burke, und Sie sollten sich von dem alten, schnaufenden Walross nicht vergraulen lassen!“

      Silverman war solche Bemerkungen offenbar gewohnt, da er überhaupt nicht erbost reagierte und sogar einen erheblich freundlicheren Tonfall anschlug.

      „Sie sollten mich nicht falsch verstehen. Ich respektiere, was Sie tun, Mr. Burke, solange Ihre Beweggründe nicht anti-amerikanisch sind. In diesem Fall würde ich keinen Finger für Sie rühren und Sie sogar persönlich in den Felsblock überführen...“

      Seine Worte klangen wie ein nicht ernst gemeintes, gutmütiges Drohen, wobei er mit dem „Felsblock“ auf das unterirdische Verhörzentrum „Boulderfield“ bei Washington anspielte, dessen drei Abteilungen von verschiedenen Geheimdiensten genutzt wurden.

      „Vielleicht liebe ich mein Land mehr als Sie, Mr. Silverman, sonst würde ich heute hier nicht stehen. Falls allerdings ein überzeugter Demokrat, der die Freiheit liebt, inzwischen als anti-amerikanisch gilt, müsste man sich wohl fragen, wie es um die Demokratie in diesem Land bestellt ist!“

      David klang leicht gereizt und gerade als Silverman darauf etwas erwidern wollte, erreichten sie den 98. Stock, wodurch das Gespräch ein Ende fand. Sie betraten ein Foyer und mussten die zwei schweren Glastüren einer Sicherheitsschleuse passieren, um in die beiden Chefetagen zu gelangen, die nur den höchsten Angestellten, den Mitgliedern des Vorstands und der Abrahams-Familie vorbehalten waren. In einem breiten, Licht durchfluteten Korridor, auf dem wegen der Mittagspause nur wenige Menschen zu sehen waren, bestiegen sie einen von mehreren kleinen Aufzügen, der sie direkt in den Warteraum des groß angelegten Helikopterairport des Gebäudes brachte. Der Raum befand sich in der letzten und hundertsten Etage und bot durch die bodenlangen Fensterscheiben eine so grandiose Aussicht, dass den Wartenden schon vor dem Abflug schwindelig werden musste. Während David mit zwiespältigen Gefühlen in die Tiefe hinunterstarrte, wies Silverman seinen Kollegen an, den Gast aus Washington der Leibesvisitation zu unterziehen, wie sie für Firmenfremde vor dem Abflug routinemäßig üblich war.

      „Nicht dass Sie uns am Ende noch in die Luft sprengen, wo Sie doch solch explosives Material mit nach New York gebracht haben“, kommentierte der dicke, schwitzende Mann scherzend die Durchsuchung, bei der der Chinese sehr gründlich vorging. Als er schließlich Davids Portemonnaie aus dem Jackett zog und ungerührt dessen Inhalt überprüfte, war „Mr. Burkes“ wahre Identität auf denkbar einfachste Weise ans Licht gekommen. He kontrollierte die Namen auf seinem Ausweis, zwei Kreditkarten sowie diversen Papieren und meinte dann mit verhaltenem Spott:

      „Wenn wir das FBI wären, wären Sie nun aufgeflogen, Dr. Dembski. Ich möchte Ihnen den Rat geben, bei solchen Missionen in Zukunft nicht immer das komplette Sortiment Ihrer Papiere bei sich zu tragen. Das wirkt extrem anfängerhaft, muss ich sagen.“

      Als in diesem Moment Lydia Abramovitch erschien, begann sie sofort, David mit großer Neugier über ihre Doppelgängerin auszufragen. Er bekam kaum eine Minute Zeit ihr die wichtigsten Einzelheiten zu schildern, da ein Techniker hereinkam und Abramovitch vertraulich beiseite nahm, um sie über den baldigen Abflug zu informieren. Danach wandte sie sich wieder an David und erklärte:

      „Übrigens wundert es mich sehr, dass Mr. Abrahams persönlich mit Ihnen sprechen will. Das ist wirklich eine große Ausnahme und Sie sollten es als eine besondere Ehre verstehen! In wenigen Minuten wird der Helikopter aus Long Island eintreffen und dann werden wir in den Harriman Countryclub weiterfliegen. Mr. Abrahams hätte natürlich gern mit Ihnen in seinem Büro gesprochen, hat aber in den nächsten Tagen anstrengende Verhandlungen vor sich und glaubt, dass Sie zur Ihrer eigenen Sicherheit New York so bald wie möglich wieder verlassen sollten. Aus diesem Grund ist Eile geboten.

      Ich muss Sie dringend bitten, bei dem Gespräch möglichst höflich zu bleiben und Mr. Abrahams keine unnötigen Schwierigkeiten zu machen. Er hat zurzeit einen sehr vollen Tagesplan und kann keine zusätzliche Aufregung gebrauchen!“

      Bevor David irgendetwas entgegnen konnte, bat der Techniker sie alle zu der Treppe, die auf das Dach zu dem Landeplatz führte. Der Helikopter befand sich bereits im Landeanflug und sollte nur wenige Minuten den Boden berühren, um danach sofort weiterzufliegen. Bereits auf der Treppe hörten die vier Passagiere das fulminante Dröhnen des schweren Bell-Hubschraubers, der genau in dem Moment aufsetzte, als sie die schallgedämmte Tür zum Dach öffneten. Sie warteten in ausreichender Entfernung am Rand der markierten Landefläche, bis das Drehen der Rotorblätter langsam genug wurde und sie aufgefordert wurden, durch eine große Hecktür in den schneeweißen Hubschrauber einzusteigen. Als sie in den komfortablen Ledersitzen der 14 Passagiere fassenden Maschine Platz nahmen, wurde David durch He informiert, dass der Mann vorn am Ruder, der genau wie sein Co-Pilot den obligatorischen Kopfhörer, eine verspiegelte Fliegerbrille sowie eine Schirmmütze trug, Leo Abrahams höchstpersönlich war, der alle Flüge zu seinem Vergnügen selbst übernahm. Kurz bevor sich die Umdrehungszahl des Rotors zum Starten wieder erhöhte, öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seite des Dachs eine andere Tür, hinter der nun Tosh O’Brian zusammen mit Wesley Snyder, dem Chef-Unterhändler der Unternehmensberatung „Longfield-Whitehouse“, erschien, um exakt getimt im allerletzten Moment die Maschine zu besteigen.

      Danach konnte jeder in dem Helikopter genau spüren, was für eine Freude es für den Piloten war, den beiden, fast jeweils 1000 PS starken Turbinen den nötigen Schub zum Start zu verleihen. Dabei hatte Abrahams kaum Notiz von seinen Passagieren genommen und ließ bei der Entfesselung der großen Maschinenkräfte bloß ein überlegenes Zucken in seinen Mundwinkeln sehen. Die Aussicht auf den Start von einem Schwindel erregend hohen Wolkenkratzer führte bei David zu Beklemmungsgefühlen, weshalb er O’Brians Händedruck nur schwach erwiderte und sich von diesem