Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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dem Start neigte sich der Helikopter für sein Empfinden viel zu weit nach vorne und nahm dann nach links abdrehend die ihm per Funk zugewiesene Flugroute ein. Eine kurze Unterhaltung mit dem neben ihm sitzenden O’Brian wurde ihm zu einer willkommenen Ablenkung, auch wenn sie nicht sehr positiv verlief.

      „Beeindruckend, nicht wahr Mr. Burke? Aus der Vogelperspektive wird der Big Apple auf eine annehmbare Größe zusammengeschrumpft, was uns kleinen Menschen für einige Minuten zu einem Triumph über die große Stadt verhilft! Ich habe selber erst durch Mr. Abrahams meine Leidenschaft für das Fliegen entdeckt. Es verleiht einem ein subtiles Gefühl von Überlegenheit, das auch am Boden bestehen bleibt!“

      O’Brian schien im Gegenteil zu ihm völlig entspannt zu sein und hatte einen harmlos-unterhaltsamen Plauderton aufgelegt, wobei sich seine Stimme kaum anstrengen musste gegen die Fluggeräusche der gut gedämmten Maschine anzusprechen.

      „Ich habe etwas von diesen Gefühlen durch einige Ausflüge mit einer alten Piper Seminole erfahren, die ein Freund von mir besitzt. Ihre Stimme kommt mir übrigens ziemlich bekannt vor, Mr. O’Brian. Sie sprechen dieses vornehme und gestochen scharfe Ostküsten-Amerikanisch, wie man es von reichen und gebildeten Menschen kennt, selbst wenn man mit ihnen nur am Telefon spricht“, deutete David an, ihn sofort als den Anrufer „Mr. Emerson“ erkannt zu haben.

      „Dann haben wir jetzt wohl endgültig den Punkt erreicht, an dem wir das alberne Spiel mit falschen Namen nicht mehr nötig haben. Wir alle wissen längst, dass Sie Dr. Dembski sind. Sie sollen übrigens gleich wissen, dass ich Mr. Abrahams heute Morgen vor einer Begegnung mit Ihnen und vor einer Berührung mit diesen Dateien aus Sicherheitsgründen abgeraten habe.“

      „Sie klangen ganz anders, als Sie sich noch Emerson nannten. Was hat Sie plötzlich so pessimistisch gemacht?“

      O’Brians letzter Satz hatte sofort sehr schlechte Gefühle bei David ausgelöst und er hatte große Mühe seine Enttäuschung zu verbergen.

      „Jeder muss sich doch fragen, wie lange es noch dauern wird, bis unsere eigenen Geheimdienste auf Sie kommen, wenn sogar die Russen Sie schon verfolgen. Der Vorfall mit der falschen Lydia Abramovitch und der nächtliche Besuch im Maison Rouge hat meines Erachtens alles verändert. Ich habe noch einmal über alles nachgedacht und halte es inzwischen für viel zu riskant, an Ihrem Vorhaben weiter festzuhalten. Ich würde wirklich gern herausfinden, ob Ihr Handeln eher von Mut oder eher von Naivität bestimmt wird.“

      „Dann bleibt mir nur übrig zu fragen, was Mr. Abrahams dazu bewogen hat, trotzdem mit mir zu sprechen.“

      „Möglicherweise ist sein eigener Stolz der Grund dafür. Vielleicht sympathisiert er auch mit Ihrem Kampf für die Freiheit und der damit verbundenen Zivilcourage. Die Sache mit dem Regin-Spionagesystem, die Sie ja selbst am Telefon erwähnten, hat sicher auch damit zu tun.“

      „Haben Sie inzwischen eine Erklärung dafür, woher die Russen über alles Bescheid wussten? Ich meine, falls sie wirklich damit zu tun hatten…“

      O’Brian zögerte merklich, etwas dazu zu sagen und entgegnete schließlich mit einigem Widerwillen:

      „Was weiß ich… vielleicht haben die Russen ein paar Maulwürfe bei der CIA oder NSA eingeschleust, die ihnen bereits etwas über ein großes Datenleck verraten haben. Oder es war einfach ein Zufallstreffer und man hat die Emails mitgelesen, die Sie an uns geschickt haben. Es wäre sogar nicht auszuschließen, dass bei Independent Internet ein Verräter sitzt und die Information über Ihren Besuch in New York direkt an die Russen weiterverkauft hat. Mit Sicherheit wissen wird man dies möglicherweise nie.“

      O’Brian hatte einen lapidaren Ton aufgelegt, durch den er das Thema wie eine Nebensächlichkeit zu behandeln schien. Er hatte ganz offensichtlich keine Lust mehr die Unterhaltunng fortzuführen und schwieg sich behaarlich aus, bis er irgendwann mit einer Handbewegung auf das in der Ferne sichtbar werdende Ende des unendlichen Gebäudemeeres hinwies. Im dunstigen Himmel sah die direkt dahinter beginnende, grüne Insel des Harriman State Parks wie eine Fata Morgana am Rande einer gigantischen Steinwüste aus. Als sie nach nur wenigen Minuten das Naturparkgebiet erreichten, blickten alle mit großem Interesse auf die Waldungen und Seen hinunter, die einem im Kontrast zu New York auf den ersten Blick geradezu paradiesisch vorkamen.

      Abrahams flog eine Weile Richtung Norden an der Interstate 87 entlang, wobei die Route von seinem alten Freund und Co-Piloten Donald King dirigiert wurde, der wie er weit über siebzig Jahre alt war. Das eingefahrene Gespann navigierte den schweren Helikopter mit routinemäßiger Sicherheit zum nördlichen Teil des State Parks, wo sich das mehrere Hektar große Gelände des noblen Harriman Countryclubs befand. Als David während des Landeanfluges das erste Mal das im neoklassizistischen Stil erbaute, riesige Hauptgebäude der Anlage sah, fühlte er sich an einen Bericht über eines der legendären „Bilderberger“-Treffen erinnert, bei dem sich führende Persönlichkeiten der westlichen Welt vor nicht langer Zeit in einem ähnlichen Gebäude irgendwo in den USA getroffen hatten, um streng geheime Beratungen über bedeutende politische und ökonomische Entscheidungen abzuhalten. Er beobachtete gebannt die ausgedehnten Wald- und Rasenflächen sowie das weitläufige Netz bekiester Wege, das Verbindungen zwischen dem palastartigen Herrenhaus, den verschiedensten Nebengebäuden und einem großen, mit einer beachtlichen Zahl von Luxuslimousinen gefüllten Parkplatz schuf.

      Das Dröhnen und Vibrieren nahm während der Landung wieder stark zu und er musste innerlich darüber lächeln, wie der grauhaarige und stämmige Wesley Snyder von der Unternehmensberatung „Longfield-Whitehouse“ ängstlich seinen schwarzen Aktenkoffer auf seine Knie presste, sich verkrampft nach vorne beugte und in seinem teuren Maßanzug so aussah, als wäre er sonst nur den Flug in einem leise summenden Learjet gewohnt. Der Landeplatz befand sich nur etwa 130 Yards vom Herrenhaus entfernt, sodass das mächtige Kreischen der schweren, prestigeträchtigen Maschine aus New York einiges Aufsehen erregte.

      Als der Rotor nach erfolgreicher Landung langsam auszulaufen begann, liefen Angestellte des Clubs über den fein gestutzten englischen Rasen zur Landefläche, um die Türen des Helikopters zu öffnen und die Gäste gebührend in Empfang zu nehmen. Derweil versammelte sich auf einer der Terrassen eine kleine Gesellschaft, um von dort die Ankunft der achtköpfigen Gruppe zu beobachten. Abrahams wurde nach dem Verlassen der Maschine sofort von Walter Silverman und Akuma He eingerahmt, die ab jetzt für die persönliche Sicherheit des Chefs verantwortlich waren. David konnte mit ihm nur ein paar wenige, erste Worte wechseln, da Abrahams ihn kaum ausreden ließ und ihm sofort die nötigen Erklärungen gab. Dabei sprach er ihn ungeniert mit seinem richtigen Namen an und hielt eine Weile seine ausgestreckte Hand in der seinen fest.

      „Seien Sie so gut, lieber Dr. Dembski, und haben Sie etwas Geduld mit mir. Wie Sie wissen, bin ich für wichtige geschäftliche Besprechungen hier und werde mir zwischendurch etwas Zeit für Sie nehmen. Schauen Sie sich in Ruhe um und lassen Sie sich von Miss Abramovitch in das Restaurant begleiten. Mein Vater war Gründungsmitglied in diesem Club und ich habe in dem Haus eigene Räumlichkeiten, in denen wir uns nachher treffen werden.“

      Daraufhin bewegte sich Abrahams mit schnellen Schritten direkt auf das Herrenhaus zu, wohin ihm He, Silverman, O’Brian und Snyder auf dem Fuß folgten. Als David schließlich allein mit Abramovitch langsam auf die Terrasse zuschlenderte, wurde er von ihr informiert:

      „Falls es Sie interessiert, Dr. Dembski. Der Harriman Countryclub ist natürlich nur rein äußerlich ein Ort für Freizeit und Unterhaltung, da er vor allem eine wichtige Bühne für hochkarätige Geschäftsbesprechungen darstellt, wenn diese auf neutralem Boden stattfinden sollen. Mr. Abrahams hat mich gebeten, mit Ihnen etwas abseits zu bleiben, damit er nicht mit Ihnen zusammen gesehen wird. Zwar werden hier im Allgemeinen nicht die Geheimdienste vermutet, aber natürlich man weiß nie genau, wer sich hier alles herumtreibt.“

      Es klang wie eine Entschuldigung für die Tatsache, dass sie nun von dem breiten, zur Terrasse führenden Hauptweg abbogen und sich zu einem Nebeneingang des Gebäudes begaben, der für all diejenigen gedacht war, die keine Erlaubnis hatten, die innersten Räumlichkeiten des Elite-Clubs zu betreten.

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      Abrahams’ Wunsch, „Mr. Burke“ aus dem Zentrum des Geschehens