Benedict Dana

Der letzte Weg des Dr. Dembski


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der oberste Kopf von Independent Internet, selber Jude war. Er hatte durch die wenigen Sätze bereits ziemlich viel über sich selbst verraten, aber aus irgendeinem Grund hatte er Emersons Stimme sofort Vertrauen geschenkt. Natürlich hätte die Einladung in das „Maison Rouge“ auch eine groß angelegte Täuschung sein können, die von irgendeinem der Geheimdienste eingefädelt worden war, nachdem man seine Email an Independent Internet abgefangen hatte.

      „Ich danke Ihnen sehr für diese ungewöhnliche Mitteilung, Mr. Burke. Ich versichere Ihnen, wir nehmen alles, was Sie betrifft, sehr ernst und deshalb werde ich Ihre Nachricht noch heute weiterleiten. Für den nächsten Schritt müssen Sie uns jedoch ein bisschen Zeit geben, bis wir uns über Sie etwas mehr im Klaren sind. Lassen Sie es sich solange in ihrem Hotel gut gehen – die Rechnung zahlen selbstverständlich wir!“

      Emerson redete mit einer Aussprache und Höflichkeit, die höhere Bildung durchblicken ließ, weshalb David vermutete, es mit einem leitenden Angestellten von „Independent Internet“ zu tun zu haben. Er hielt es plötzlich für nötig, noch eine ernsthafte Warnung auszusprechen.

      „Falls Sie Nachforschungen über mich anstellen wollen, sollten Sie das entweder sehr, sehr vorsichtig tun oder es am besten gleich unterlassen. Ich fühle mich dazu verpflichtet Sie darüber zu informieren, dass ich ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter bin. Denken Sie bitte immer daran, Mr. Emerson, denn Sie könnten mit Ihren Nachforschungen einen schlafenden Riesen wecken. Eigentlich dürften wir nicht einmal telefonieren! Für wie sicher halten Sie diese Leitung?“

      „Eine sicherere Leitung gibt es in New York nicht. Ich halte sie für so sicher, dass das Spiel mit Decknamen eigentlich überflüssig ist. Ich fühle mich sogar frei genug Ihnen zu verraten, dass wir diese Leitung selbst installiert haben, weil das Hotel zum Firmenbesitz zählt. Diese erste, kleine Information haben Sie sich durch Ihr Vertrauen in uns bereits verdient, Mr. Burke“, verriet „Emerson“ mit unverhohlenem Stolz.

      „Wenn Sie so sicher sind, dass man an diesem Apparat frei reden kann, möchte ich Ihnen folgendes sagen: Mich wundert ein wenig, wie sehr Sie auf Ihre interne Sicherheit vertrauen. Wie ich vor einigen Monaten in der Zeitung lesen musste, wurde ihrem größten Computerzentrum durch die NSA das Regin-Spionagesystem untergeschoben. Wenn ich mich recht entsinne, hat daraufhin Ihr Chef in aller Öffentlichkeit erwogen, seinen Firmensitz in das Ausland zu verlegen. Er muss wirklich sehr erbost gewesen sein – jeder vernünftige Mensch kann das natürlich nachvollziehen!“

      „Verfügen Sie diesbezüglich über spezielle Informationen?“

      Der anonyme Anrufer hatte plötzlich eine ungewöhnliche Schärfe in seiner Stimme und zeigte sich an dieser Frage ganz besonders interessiert.

      „Nein, nein, beruhigen Sie sich, Mr. Emerson. In dieser Sache bin ich nur der kleine Leser einer Zeitung, der wie Millionen anderer braver Bürger die Meldungen der Massenmedien als Basis seiner Informationen nehmen muss. Ich wollte nur ein passendes Beispiel dafür finden, wie schlecht es mit der Sicherheit heutzutage leider oft bestellt ist.“

      Erst jetzt verließ David endgültig das Bett und ließ sich auf einem Sessel neben dem Telefon nieder, um fortzufahren:

      „Leider kann man in einer Welt, die längst von unzähligen geheimen Machenschaften unterwandert ist, absolut niemandem mehr vertrauen, und selbst die, die für die Freiheit einstehen, müssen untereinander misstrauisch sein. Es wäre doch schön, wenn wir einfach aufeinander zugehen könnten, dann bräuchte ich nicht lange in diesem Hotel zu sitzen und könnte bald wieder nach Hause fahren!“

      „Haben Sie schon einmal über das alte Wort Divide et Impera nachgedacht, Mr. Burke? Spalte und Herrsche lautet die Devise all der Kräfte auf dieser Erde, welche die Freiheit der Menschen zerstören! Meiner persönlichen Überzeugung nach ist es in der Summe nichts Anderes als die Macht Satans, die genau diese Spaltung der Menschen untereinander bewirkt und sie dadurch viel zu oft zu Feinden macht, die bereitwillig in eine Menge kleiner und großer Kriege ziehen. Wobei es natürlich Definitionssache ist, was man genau unter Satan verstehen will…

      Aber verzeihen Sie mir bitte, wenn ich bereits am frühen Vormittag etwas philosophisch werde. Es ist manchmal so meine Art.“

      „Sie scheinen ein nachdenklicher Mann zu sein und Prinzipien zu haben“, wunderte sich David über Emerons tiefsinnigen Ton. „Ich hoffe nur, dass sich mir Ihr Chef ebenfalls als Mann mit Prinzipien und höheren Überzeugungen erweist. Das könnte manches zwischen uns vereinfachen und wir bräuchten uns nicht so zu verhalten, als ob wir Gegner wären.“

      „Mein Chef ist ein wandelndes, lebendiges Prinzip, Mr. Burke. Dieser Mann verkörpert alles an höheren Werten, was Andere, die auf diese Art groß im Geschäft sind, längst über Bord geworfen haben. Sie haben sich also genau an die richtige Adresse gewandt und natürlich glaube ich nicht, dass dies aus Zufall geschehen ist.

      Aber nun frühstücken Sie erst einmal! Heute Nachmittag werden wir Ihnen dann eine junge Dame vorbeischicken, die sich mit Ihnen ein bisschen die Zeit vertreiben wird. Vielleicht haben Sie Lust mit ihr in ein Theater am Broadway zu gehen oder sonst etwas zu tun. Sie sollen sich bei uns wohl fühlen, Mr. Burke. Diese Dame wird für ein oder zwei Tage unsere Vertreterin sein und am Ende hoffentlich der Ansicht sein, dass man Ihnen voll vertrauen kann.“

      Emerson klang plötzlich aalglatt und geschäftsmäßig; es passte nicht recht zu dem, was er vorhin im Zusammenhang mit „Divide et Impera“ gesagt hatte. David ahnte sofort, was dieser Besuch zu bedeuten hatte: Diese „Vertreterin“ war wahrscheinlich eine attraktive, clevere, junge Dame, die seine Glaubwürdigkeit mit ihren eigenen Methoden überprüfen würde, während man bei Independent Internet noch solange recherchierte, bis man mindestens seine richtigen Namen herausgefunden hatte.

      „Ich werde auf keinen Fall darauf verzichten, Ihren Chef persönlich zu sehen!“, insistierte er nachdrücklich auf seiner wichtigsten Bedingung.

      „Der Besuch unserer Vertreterin ist unverzichtbar für uns, das müssen Sie verstehen. Sie arbeitet übrigens als unabhängige Person, weshalb wir für ihr Tun keinerlei Verantwortung übernehmen. Sie wird heute gegen 3 Uhr in der Hotelhalle auf Sie warten und sich zu erkennen geben. Ich selber rufe Sie zur gegebenen Zeit wieder auf diesem Telefon an. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag, Mr. Burke!“

      David konnte gerade noch eine kurze Floskel zum Abschied sagen, da hatte der unbekannte Anrufer schon wieder aufgelegt. Plötzlich war alles ziemlich schnell gegangen und er war mit vielen neuen Gedanken mit sich allein.

      Nach längerem Nachdenken zog er sich an und ging hinunter in das kleine Restaurant. Als er beim Frühstück saß, reifte in ihm der Entschluss, die vier Festplatten, die sich in seinem Koffer befanden, im Safe des Hotels einschließen zu lassen. Falls ihm in New York irgendetwas zustoßen sollte, würden sie so früher oder später in die Hände von Independent Internet gelangen.

      Im Grunde hätte es genügt, danach einfach wieder nach Hause in sein Strandhaus auf Fenwick Island zu fahren, dort das Ende einer schönen Sommersaison zu genießen und nur noch eine Email an Emerson zu senden, in der er den Safe des „Maison Rouge“ als das Versteck seiner brisanten „Ware“ aus Langley verriet. Es war die Ahnung, die Hilfe eines mächtigen Verbündeten wie Leo Abrahams vielleicht irgendwann einmal nötig zu haben, die ihn davon abhielt.

      Hätte sich diese Ahnung plötzlich in einen klaren Blick in die unmittelbare Zukunft verwandelt, wäre er womöglich direkt nach dem Frühstück mit seinem Wagen zur Verrazano-Narrows-Bridge zurückgefahren und hätte seinen Koffer mitsamt des brisanten Inhalts an der Mündung des Hudson River tief in das Meer versenkt…

      -

      Die attraktive Frau, die pünktlich um 15 Uhr kerzengerade auf dem einzigen Sofa in der Hotellobby des „Maison Rouge“ saß, zog mit ihren langen blonden Haaren und ihrem schlichten, weißen Baumwollkostüm schon seit ein paar Minuten die bewundernden Blicke aller vorbeigehenden Männer auf sich. Sie wirkte trotz einer Spur von Vornehmheit durch ihre helle und frische Ausstrahlung für New Yorker Verhältnisse ziemlich natürlich und hatte kaum etwas von der kühlen Unnahbarkeit an sich, hinter der hübsche Frauen gern