Joana Goede

Eine Nacht in Rimini


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Ich war gezwungen, mir auszurechnen, ob ich mir eine Rückfahrt mit dem Zug leisten konnte. Allerdings hat ein Mensch ohne Job nicht so viele Wahlmöglichkeiten. Es war nicht ganz auszuschließen, dass ich bald irgendeine Arbeit würde annehmen müssen, um mich über Wasser zu halten, nachdem ich für meine geliebte Regine meinen Job gekündigt hatte. Nur für flexible Arbeitszeiten, nur für die winzige Chance einer Anstellung in einem fremden Land? Oder hatte sich diese Frau in den Kopf gesetzt, mich zu vernichten und das war ihr erster Schritt dorthin? Hatte ich soeben den Vertrag zu meinem eigenen Ruin unterzeichnet?

      Hilflos stierte ich aus dem Zugfenster in die vermaldedeite Landschaft, die ich früher für schön befunden hatte, ab diesem Tag aber mit Argwohn betrachten musste. Wie mir auch Regine in ihrer ganzen perfekten Art von Minute zu Minute unheimlicher wurde. Der Zug stampfte geräuschvoll vorwärts, ich verlor mich in seinem Lärm und in meinen Gedanken, die mich folterten und quälten. Denn ich wusste eines genau: sobald ich in die Arme meiner Liebsten fiel, waren alle Zweifel wie fortgefegt, ich sagte nur noch Ja und Amen – ich hatte nicht die geringste Chance, mich gegen ihren Charme, ihre Verzauberungstechniken zur Wehr zu setzen, denen jeder Mensch erliegen musste!

      Und trotzdem, trotzdem setzte ich meinen Weg fort, kämpfte mich durch zu ihr, um in ihren Armen zu landen und zumindest dort für einen kurzen Moment, auf den der Tag, das Wochenende, die Woche zusammenschrumpfte, glücklich und zufrieden zu sein. Zu kurz war es ohnehin immer. Kam ich an, musste ich schon wieder weg. Meine Arbeitslosigkeit änderte an diesem Gefühl nicht viel. Wie ernüchternd. Die Arbeitssuche verlangte mir sogar noch größere Kräfte ab, als die Arbeit es vorher getan hatte. Zwar konnte ich länger bei Regine bleiben, doch fort von ihr musste ich immer, so oder so.

      Es war ein Elend, ein furchtbares Elend – es ging mir so schlecht, als ich bei ihr eintraf – jedes Mal wieder, und als ich sie sah, war alles dahin, war alles gut. Mein Kopf fragte mich, wo denn bitte das Problem war. Das bisschen Weg, das konnte man ja wohl auf sich nehmen, dabei waren sie ja immer viel zu kurz, diese Besuche, die Zeit dazwischen dehnte sich ins Unermessliche, eine Qual, eine ewige Qual und ich mitten darin. Sie dagegen war immer unbeschwert, immer hübsch, immer ausgeruht – ein kleines Energiebündel, zum Anbeten, aber sie machte mich fertig.

      Es war in unserem vierten gemeinsamen Monat, bei unserem achten Treffen, als ich mich anschickte, unsere ernste Sachlage einmal gründlich und vernünftig durchzusprechen. Immerhin war ich ohne Arbeit und nur mit geringen Ersparnissen, sie machte keine Anstalten mit mir in mein Land zu ziehen, obwohl sie die Sprache gut beherrschte, wohingegen ich ja bis auf wenige Brocken nichts Sinnvolles auf Italienisch zusammenbrachte – als was hätte ich mich da bewerben sollen? Zuhause war ich auf der Suche nach einer Arbeit, die möglichst vom Computer aus zu erledigen war – die viel Freiraum ließ, aber bislang ohne jeden Erfolg.

      Regine saß mir gegenüber in einem knappen Kleid, das ihre wohlgeformten Beine nur bedingt bedeckte. Obwohl wir uns dem Winter näherten, trug sie keine Strumpfhose. Ich fragte mich insgeheim, ob sie dadurch meine Konzentration zu stören beabsichtigte, damit ich nicht zu irgendwelchen Ergebnissen gelangen konnte, die ihr missfielen. Im Gegensatz zu mir war Regine nämlich recht zufrieden mit unserer Beziehung. Zwar klagte die manchmal jämmerlich, wenn sie mich eine Woche nicht gesehen hatte und noch eine weitere warten musste, aber ansonsten war sie die pure Lebensfreude. Ich dagegen wurde ja zusehends depressiv. Diese ständigen Flüge, die quälenden Bahnfahrten, die beinahe tödlichen Busfahrten – alles ein Graus und nichts, das ich auf Dauer durchhalten konnte, durchhalten wollte. Auch wenn ich mittlerweile ja länger am Stück bei ihr bleiben konnte.

      So sagte ich im Ernst: „Regine, ich kann so nicht mehr. Ich bin quasi pleite. Ich bin total fertig. Was soll ich machen?“

      Regine schlug als Antwort ihre Beine übereinander, sah mich mit ihren großen blauen Augen lange an und meinte dann: „Du liebst mich doch oder nicht?“

      Was blieb mir anderes übrig als in Anbetracht ihrer französischen Schönheit und italienischen Leidenschaft zu beteuern: „Ja, ja! Selbstverständlich liebe ich dich, mehr als ich jemals irgendwen oder irgendwas geliebt habe!“

      Daraufhin erwiderte sie: „Dann finde einen Weg. Gib nicht auf, einen Job zu finden. Du kannst Englisch, versuch es an einem Flughafen. Versuch es in Mailand.“

      Ich rief entsetzt: „In Mailand? Soll ich denn täglich diese schreckliche Zugfahrt auf mich nehmen? Was glaubst du denn, wie lange es da dauert, bis ich komplett zusammenbreche und du mich hier begraben musst? Was ist mit dem Flughafen in Bologna? Oder willst du nicht, dass ich immer hier bin? Außerdem habe ich gar keine Ausbildung dafür!“

      Regine meinte ruhig: „Dann such dir was, was zu deiner Ausbildung passt, mon Cheri.“

      Ich wusste nicht, ob ich mich entrüsten oder aufgeben sollte, ob ich mich gleich in den Rinnstein legen und obdachlos werden oder vorher noch Arbeitslosengeld beantragen sollte, ob ich zukünftig diese Reise nach Bologna überhaupt noch bezahlen konnte oder das Fahrrad nehmen musste – ich wusste gar nichts mehr. Mein Leben war ein Trümmerfeld. Und inmitten dieser Trümmer, wo rein gar nichts mehr heil geblieben war, wo nichts mehr stand, das mir Sicherheit gegeben hätte, da saß Regine in ihrem Kleid – knapp, rot, feurig – ich saß ihr gegenüber – erbärmlich, verliebt, blöde gaffend – welche Chance hätte ich gehabt? Musste einem angesichts einer solchen Frau nicht alles egal sein? Wen interessierte schon das Leben, die Zukunft, was überhaupt sollte eine Zukunft ohne Regine sein? Es konnte keine Zukunft ohne Regine geben!

      Ich sagte ihr also: „Ich kann mir keine Zukunft ohne dich vorstellen.“

      Sie nickte und behauptete: „Das hatte ich auch nicht erwartet.“

      Nun tat ich einen langen Seufzer, bevor ich erklärte: „Aber es macht für mich keinen Sinn, nach Italien zu ziehen, hier finde ich nie Arbeit, ebensowenig in Frankreich, du musst zu mir ziehen, Regine – ich habe ein kleines Haus, ich habe nette Nachbarn und einen hübschen Garten – und du wirst dort sicher Arbeit finden, eine Frau wie du mit diesen Sprachkenntnissen – die werden sich um dich reißen!“

      Regine starrte mich irritiert und fassungslos an. Sie fragte: „Deutschland? Ich soll dahin ziehen? Weißt du, wie kalt und grau es da ist? Weißt du, was ich für Depressionen kriege, wenn es das ganze Jahr über kalt und grau ist? Willst du, dass ich mich umbringe für dich?!“

      Ich erwiderte: „Aber es wäre doch das Vernünftigste, Regine, glaube mir bitte, wirklich das Allerbeste – gib dem Land eine Chance, du bist ja immerhin mal ein paar Monate dagewesen...“

      Regine rief: „Schrecklich, es war schrecklich!“

      Ich: „Aber, ich bitte dich, nimm Urlaub, komm mit mir, sieh dir alles an, vielleicht gefällt es dir, vielleicht möchtest du bleiben!“

      Sie schüttelte entschieden den Kopf und wenn eine Frau wie Regine etwas entschieden hat, dann kann nichts in der Welt sie mehr umstimmen, ihr Wille ist Gesetz – ich war machtlos. Vollkommen machtlos. Mit ergebener Miene hockte ich auf meinem Stuhl, auf dem ich immer in ihrer kleinen Wohnung saß, weil es einfach nicht viele Alternativen gab, auf denen ich hätte Platz nehmen können – dort hockte und hing ich wortlos, fassungslos, hoffnungslos. Wie zusammengeschlagen fühlte ich mich, wie getreten und verraten. Regine hatte eine kerzengerade Haltung angenommen, ihre kleinen, weißen Hände in ihren Schoß gelegt und blickte mich freundlich-mitfühlend an, in etwa, wie wenn man einen kleinen Hund anlächelt, der zwar keine Ahnung von der Welt hat, aber unheimlich niedlich ist. So kam ich mir vor. Dumm, aber niedlich. Ahnungslos, aber putzig. Liebte sie mich?

      Ich fragte sie unsicher: „Regine, liebst du mich?“

      Sie lachte und es versetzte mir einen tiefen Stich in den Magen, wobei aus der Öffnung direkt das Blut schoss – erst, als es sich schon etwas auf meinem T-Shirt verteilt hatte, stellte Regine das Lachen ein und meinte versöhnlich: „Natürlich liebe ich dich, mon Cheri, wie kannst du nur so etwas Dummes fragen?“

      Nun, das Loch blieb, mein Magen blutete aus, er krampfte sich zusammen, ich spürte ihn als festen Klumpen, als unnützes Organ, als verschrumpeltes, vertrocknetes Überflüssiges, das nichts konnte, als Gefühle anzuzeigen – und zwar in der Regel nicht die Besten. Am liebsten